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Ausgabe:

1992

Spalte:

336-339

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

In Erscheinung treten 1992

Rezensent:

Fangmeier, Jürgen

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335

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 5

336

Ansätzen (mit Beiträgen von: Wilhelm Breuning, Edna Brocke,
Albert H. Friedländer, Jean Halperin, Hanspeter Heinz, Bertold
Klappert, Johann Baptist Metz, Rolf Rendtorff, Klemens Richter
, Herbert Vorgrimler, R. J. Zwi Werblowsky), III. Der Anstoß
der gemeinsamen Gottesgeschichte (mit Beiträgen von: Rudolf
Brändle, Peter Fiedler, Hildegard Gollinger, Ulrich Luz, Peter
von der Osten-Sacken, Erich Zenger), IV. Jüdische und christliche
Identität in der Geschichte (mit Beiträgen von: Micha
Brumlik, Alex Carmel, Dan Diner, Peter Lewenski [Levinson],
Hans Maier, Reinhold Mayer, Friedrich-Wilhelm Marquardt,
Pnina Nave Levinson, Martin Stöhr, Marcel Weinzierl) und
schließlich V. Gemeinsame Verantwortung für Gerechtigkeit
und Frieden (mit Beiträgen von: Israel M. Levinger, Erika Marcus
, Klaus-Henning Rosen, Hans-Peter Schreiber, Ekkehard W.
Stegemann). Beschlossen wird diese schöne Festschrift mit einer
Bibliographie der Werke, Aufsätze und Rezensionen des in
Dankbarkeit Geehrten, die nochmals anschaulich und eindrücklich
die Vielzahl der Themen benennt, denen sich Ernst Ludwig
Ehrlich gewidmet, gestellt und verpflichtet gewußt hat und weiß.
Auch beim Lesen dieser Bibliographie wird deutlich: ohne Erinnerung
haben wir keine Zukunft, und wir bedürfen großen
Mutes, um gemeinsam neue Wege zu gehen: dies sind Wege der
Thora. Denn „werThora mehrt, mehrt das Leben." Und Vergessen
wäre Schuld. Wir (d.h. die Christen, die Kirchen) dürfen
unsere Schuld nicht vergessen, auch nicht unseren tödlichen
Hochmut: zu sehen an den Kirchenportalen unserer großen
Dome in Magdeburg, Worms, Straßburg, Bamberg und anderswo
- Ekklesia und Synagoge: triumphierend im Glanz des Sieges die
Kirche; blind, gebeugt und geschlagen die Synagoge, der die Tafeln
des Bundes aus der Hand gleiten. Der stille (aber sehbare!)
Protest der Künstler hat die Gestalt der Synagoge mit Liebe gesehen
und gestaltet: kalt und hart steht die Ekklesia.

Auch hier müssen wir um Vergebung bitten, gar nicht zu reden
von der Schandtat der „Judensau", zu sehen z.B. in Wittenberg
und im Kreuzgang zu Brandenburg: die Wege der Juden sind zumeist
Kreuzwege gewesen. Die Synagoge hat das getroffen, was
der Kirche als Schicksal vorgezeichnet war: „Sie werden euch
vertreiben Auch hier müssen wir unsere Schuldgcschichte
heimholen. Wir haben zuviel geherrscht - und: der Schleier liegt
vor unseren Augen. Wir fangen erst an, so Hanspeter Heinz,
„Juden als unsere älteren Brüder und Schwestern zu entdecken."
Können wir überhaupt unsere Liturgie feiern ohne die Synagoge?
Die Antwort von Heinz ist eindeutig: „Ohne die Synagoge kann
die Kirche nicht Liturgie feiern!" (p. 89). Denn die Kirche steht
mit Abraham, Moses und Paulus fürbittend für das Volk und die
Völker, das Reich des Himmels und die Welt vor IHM, hochgelobt
sei ER. Ostern kann als Fest der Versöhnung nicht ohne
Hinwendung zu den Juden gefeiert werden. So hat denn auch die
Kirche jenes schandbare „pro perfidis Judaeis" aus der Karfreitagsfürbitte
genommen, in der es jetzt heißt: Gott möge die
Juden „in der Treue zu seinem Bund" bewahren, und ER gebeten
wird: „Gib, daß es zur Fülle der Erlösung gelangt." Wenn die Kirche
ruft: „Heiliger, unsterblicher Gott, erbarme dich unser!" -
dann klagt die Kirche sich selber an. Dies unterstreicht Hanspeter
Heinz voller Hoffnung, um auch in den christlichen Gottesdiensten
zu erleben, was er als besonderes Geschenk im jüdischen
Gottesdienst erfahren hat: eine Kunst, die Kirche und
Synagoge „bei bleibender Unterschiedenheit" geschwisterlich
miteinander verbindet. Der Rez. sieht sich gezwungen zu fragen:
weiß das die Kirche wirklich? Oder ist es nicht doch so, daß die
Kirche meint, die Fülle der Erlösung schon zu besitzen, in die Israel
erst noch eintreten muß, wird? Sollte das Gebet der Karfreitagsliturgie
nicht ganz anders sein und auch unsere Schuld benennen
? Etwa so: „Laßt uns auch beten für die Juden, denen wir
so viel Leiden zugefügt haben, daß sie uns vergeben durch Gottes
Barmherzigkeit und in Treue weitergehen auf dem Weg, den Gott

ihnen gewiesen hat." Israel ist Sein, hochgelobt sei ER, Augapfel.
Aber auch für dieses Gebet gilt, mutatis mutandis, was J. B. Metz
über den Dialog gesagt hat: „Opfern bietet man keinen Dialog
an." (p. 110). Wir haben um Vergebung zu bitten - und zu hoffen
auf die Zwiesprache mit dem Volk, in dem geboren wurde „unser
Herr Jesus Christus". Der ist Jude, nicht Christ.

Die Kirche nach Auschwitz kann nie mehr triumphieren, nur
hoffen. Hoffen mit dem Juden Elic Wiesel, „daß die Erinnerung
stärker ist als ihre Widersacher." Vielleicht können Christen und
Juden gemeinsam „künftige Generationen davor bewahren, daß
unsere Vergangenheit ihr Erbe für die Zukunft wird." Das ist, so
sagt es J. B. Metz, p. 122, „die jüdische Mitgift für Europa, für die
Menschheit, für eine „Kirche nach Auschwitz". Für eine solche
Umkehr müssen wir uns entscheiden. Unsere Schuld-Geschichte
gibt Martin Luther recht, der in seinen 95 Thesen immer wieder
fordert: „man muß die Christen lehren." Und was ist das, was
man lehren muß? - „daß das ganze Leben der Gläubigen Buße
sei."

Man möchte hinzufügen: im Namen unsresjüdischen Bruders
und Herrn Jesus Christus. Amen.

Die Festschrift schließt mit einem Zitat von Ernst Ludwig Ehrlich
: „Wenn das ehemals große deutsche Judentum noch heute
einen Sinn für die deutsche Umwelt hat, so vielleicht den, daß
darüber nachgedacht wird, ob nicht auch heutige Deutsche das
benötigen, was die besten dieser ermordeten oder vertriebenen
Juden einte: kritisches Bewußtsein und der Wille zur Humanität
." Wir benötigen beides.

Beides habe ich mit Erschütterung wiedergefunden in der Rede
zur Abiturfeier von Peter Lewinski (Levinson) vom 21. März
1940, gehalten in der Aula der Joseph-Lehmann-Schule in Berlin
(pp. 294ff), der seiner Rede den verpflichtenden Satz vorangestellt
hat: Omnia deficiant, animus tarnen omnia vincit.

Dieser Satz eines Abiturienten, den er als Motto über alle Epochenjüdischer
Geschichte gesetzt hat, hat standgehalten. Es ist in
der Tat alles untergegangen - aber der Geist hat alles besiegt. Allerdings
nicht irgendein Geist, sondern der jüdische Geist der
Hebräischen Bibel, der in die Welt ein „Af gam sot", ein großes
Dennoch des Lebens zu setzen wagt, weil es ein Dennoch Gottes
zum Leben ist. Peter Levinson wagt einen „steilen Satz": Es gibt
nur ein einziges Gut für die Menschen: die Wissenschaft, - und
nur ein einziges Übel: die Unwissenheit." Drei Jahre später wird
Dietrich Bonhoeffer in seinem Rechenschaftsbericht „Nach
zehn Jahren" schreiben: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind
des Guten als Bosheit." Das ist wohl wahr.

Auch wir setzen voller Hoffnung an den Schluß dieser Rez. das
Wort, das auch in jener Abiturrede das letzte war: „ Bajom hahu
akim et sukat david hanofelet/ w'gadarti pirzehen/ waharissotaw
akim uw'nitiha kirne olam" - „Am selbigen Tage werde ich aufrichten
die zerfallene Hütte Davids und vermauern ihre Risse, -
ja, ich richte auf ihre Trümmer wie in den Tagen der Vorzeit.
(Arnos 9, 11)", p. 297.

Berlin Gerhard Bcgrich

Hauff, Günther, Schweizer, Hans Rudolf, u. Armin Wildermuth
[Hg.]: In Erscheinung treten. Heinrich Barths Philosophie des
Ästhetischen. Basel: Schwabe 1990. 326 S. 8 .

Ein Sammelband von 10 überwiegend schweizerischen Autoren
zum 100. Geburtstag Heinrich Barths (1890-1965), des Ph>'
losophenbruders von Karl Barth. Die Mitglieder des Teams sind
sich bewußt, mit diesem Buch einen nicht eben stark beachteten
Denker zu ehren. Weshalb ist Heinrich Barth wenig beachtet worden
? Weil er sich in seinem Philosophieren auf das Grundsätz'1'
che konzentrierte und wenig konkretisierte? Weil er zu seine1"