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Ausgabe: | 1992 |
Spalte: | 296-297 |
Kategorie: | Systematische Theologie: Dogmatik |
Titel/Untertitel: | Glaube als Zustimmung 1992 |
Rezensent: | Ulrich, Michael |
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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 4
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Form einer erkenntnistheoretisch bestimmten Mystik zuneigen,
den Zugang zu Jaspers leicht.
Freilich ist das nicht das erklärte Ziel dieser Arbeit. Ihr Gegenstand
ist vielmehr die Periechontologie (= Ontologie des Umgreifenden
) als der alles umgreifenden Transzendenz. Ihr noch bestimmteres
Thema ist dann „Die Verflechtung von Seins- und
Bewußtseinsproblematik in Jaspers' Philosophie als Periechontologie
" (8). Denn: „Ohne fundierte Kenntnis dieses" (eben genannten
) „Sachverhaltes ist die Eigenart, wie er das Seinsproblem
behandelt, nur unzulänglich nachvollziehbar. ...Der
Aufweis dieses Zusammenhanges wird darum zum Hauptanliegen
der Dissertation" (8). Damit ist es das Hauptanliegen dieser
Arbeit, die von Jaspers angegangene Seinsproblematik von der
Bewußtseinsproblematik, also von der erkenntnistheoretischen
Fragestellung her zu klären. „Die Interpretation seiner" (Jaspers
') „Philosophie als Seinsphilosophie ist damit unabdingbar
auf die erkenntnistheoretische Klärung seines Bewußtseinsbegriffes
verwiesen,..." (40).
Nun freilich ist nicht zu leugnen, daß Jaspers' Philosophie - so
sehr man ihr inhaltlich zustimmen mag - in ihrer erkenntnistheoretischen
Fundierung ihre immer wieder bemerkte Schwäche
hat. Deshalb ist eine umfassende erkenntnistheoretische - formallogische
- Klärung der Jaspersschen Philosophie eine wünschenswerte
Aufgabe. Aber wie soll sie angegangen werden? Man
kann ihr ein erkenntnistheoretisches und formallogisches Fundament
zu geben versuchen, das neuschöpferisch und nicht aus dieser
Philosophie selbst heraus erarbeitet ist. Das geschieht in dieser
Dissertation im wesentlichen nicht - obwohl öfter auf I. Kant,
E. Husserl und N. Hartmann zurückgegriffen wird. Die Dissertation
will vielmehr die hier notwendigen Klärungen aus den
Schriften von Jaspers selbst gewinnen. „Jaspers" hat „das Ineinander
epistemologischer und ontologischer Probleme nicht eigens
herausgearbeitet" (109-110). Es „ist ... zu zeigen, wie mit
der Beantwortung der Frage nach den Voraussetzungen der
Seinsfrage das von Jaspers selbst nicht systematisch dargestellte
Fundament der Periechontologie in einer Art ,Patchwork-
Konstruktion' sich rekonstruieren läßt" (174). Ein solcher Weg
ist selbstverständlich möglich. Aber wenn er das Hauptanliegen
einer Arbeit ist, so wird - bei ungenügender Vorsicht - leicht die
Jasperssche Philosophie in ihrer Interpretation ins Logische und
Erkenntnistheoretische hinein überzogen und umgedeutet. Man
hat den Eindruck, daß die vorliegende Arbeit dieser Gefahr nicht
völlig entgangen ist.
Das zeigt sich auch in ihrem Aufbau: Nach einer Einleitung
und einem l. Teil, der einen Überblick über die Jasperssche Philosophie
gibt, folgt im 2.Teil die „Erkenntnistheorie (Bewußtsein
)". Hier steht „die periechontoiogische Urteilslehre", wie sie
aus Jaspers' eigenen Werken herauszuschälen versucht wird, im
Mittelpunkt. Aber ist eine Interpretation von Jaspers, der doch
mehr in Antinomien und im Blick auf die Transzendenz denkt,
nun gerade aus der Logik der Urteilslehre heraus ohne beständige
Berichtigung der Akzente nicht eine gefährliche Umgewichtung
innerhalb seiner Philosophie? Es folgt im 3. Teil „Seinserhellung
(Sein)". Dies könnte die Korrektur zur Umgewichtung im
2. Teil sein - und in der Tat erkennt man hier die Jasperssche Gewichtung
besser wieder -, aber fortwährende Rekurse auf die Urteilslehre
, auf das „Bewußtsein überhaupt" und das „allgemeine
Gegenstandsbewußtsein" lassen das Denken von Jaspers auch
hier als logisch geschlossener erscheinen, als er es selbst in seiner
Daseins- und Existenzbezogenheit gewollt haben dürfte. Aber
freilich ist das ja gerade das systematische Anliegen der Arbeit,
das eben nur mit dem interpretatorischen streitet. Der 4. Teil:
„Existenz und Transzendenz (Seinsbewußtsein als absolutes Bewußtsein
)" bringt dann die Philosophie von Jaspers als ganze.
Der Denkstil dieser Arbeit erscheint mir schwerfällig, gegenüber
den benutzten Quellen nicht souverän und frei werdend.
Auch fragt es sich, ob die Begriffsinterpretationen immer ganz
korrekt sind (ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel: „hypo-
keimenon" wird mit lat. „substantia" wiedergegeben (97, Anm.).
die exakte Wiedergabe müßte aber „substratum" heißen, da
„substantia" die Übersetzung von „usia" ist). Doch das mögen
Kleinigkeiten sein, auch mag ein anderer hier anders urteilen.
Zum Schluß sollen noch einmal Zitate aus dem 4. Teil der Arbeit
zeigen, wie lohnend eine Neubeschäftigung mit Jaspers sein
kann, besonders auch für den - wenn man der vorliegenden Arbeit
folgen will -, der selbst der Mystik zuneigt. „Die ,unio my-
stica' gilt ihm [Jaspers] als Erfahrung, die durch ihre Bedeutung
ins Leben hineinwirkt. Zu einer von der mystischen Erfahrung
durchtränkten Lebensführung in der Welt fühlt er sich ebenso
hingedrängt wie zur .indirekten Mitteilung' der nur inadäquat
mitteilbaren Erinnerungsreste" (Erinnerungsreste im Sinne der
platonischen Anamnesislehre, die grundsätzlich bejaht wird)
(185). „Mit der .Wiederholung'" des hohen mystischen Augenblicks
„ist kein endgültiges Ziel erreicht, da auch der neue ,hohe
Augenblick' mögliche Existenz sehnsüchtig ins Zeitliche zurücksinken
läßt. Was bleibt, ist die .metaphysische Erinnerung', die
den Aufschwung zu neuen Augenblicken absoluter Ruhe in der
Gegenstandslosigkeit des absoluten Bewußtseins wirklicher Existenz
immer wieder möglich und erforderlich macht" (200).
Marburg Günther Keil
Systematische Theologie: Dogmatik
Beinert, Wolfgang [Hg.] :Glaube als Zustimmung. Zur Interpretation
kirchlicher Rezeptionsvorgänge. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1991. 168 S. 8 = Quaestiones Disputatae, 131. Kart-
DM 36,-.
Der „Internationale Arbeitskreis von Dogmatikern, Fundamentaltheologen
und Kanonisten", bestehend aus katholischen
Theologen der Bundesrepublik Deutschland, der (bisherigen)
DDR und Polens, hat sich in seiner Frühjahrstagung 1990 mit
dem Thema „Rezeption als theologische Kategorie" beschäftigt-
Mit dieser Veröffentlichung tritt er nach der Wende erstmals an
das Licht der Öffentlichkeit. Ihre vier Beiträge behandeln das Tagungsthema
von vier verschiedenen Aspekten: Wolfgang Beinert
aus dogmatischer Sicht, Hermann Josef Pottmeyer aus fundamentaltheologischer
, Klaus Schatz aus historischer und Frank
Ochmann aus kanonistischer Sicht.
Rezeption ist ein Begriff, der in bisherigen evangelischen und
katholischen theologischen Wörterbüchern noch nicht zu finden
ist, der aber nach dem II. Vatikanischen Konzil zunehmende Bedeutung
erlangt hat. Der Sache nach ist die „Annahme" (der Offenbarung
Gottes, der Verkündigung des Evangeliums, der
Heilsgnade, der Gemeinschaft der Zeugen, der Verkündiger, der
kirchlichen Vorgesetzten und ihrer Gesetze) von Anfang an Voraussetzung
zum Zustandekommen von Kirche. Aber erst in unserer
Zeit beginnt man, zusammenhängend darüber zu reflektieren
. Ähnlich hat es ja auch Kirche von Anfang an gegeben, aber
erst zum Ende des Mittelalters denkt man systematisch über sie
nach.
Was ist eigentlich Rezeption, welchen Bedingungen unterliegt
sie, wie kommt sie zustande und was bedeutet sie für das Kirchesein
der Kirche? Der kirchengeschichtliche Teil von Schatz und
der kirchenrechtsgeschichtliche Teil von Ochmann breiten weites
historisches Material aus. Durch ihre induktive Methode helfen
sie das ganze Phänomen in den Blick zu bekommen, so
daß es
sinnvoll ist, die Lektüre mit diesen Beiträgen zu beginnen. Schatz
beschreibt den langen Weg der vollzogenen und verweigerten Rezeption
der ökumenischen Konzilien im ersten Jahrtausend der
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