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Ausgabe:

1992

Spalte:

228-230

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Autor/Hrsg.:

Pospischil, Hans T.

Titel/Untertitel:

Der solidarische Umgang mit Eigentum und Einkommen in christlichen Gemeinschaften und Gruppen 1992

Rezensent:

Langer, Jens

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 3

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scheiterte am Widerstand der deutschen Kirchenfürsten; aber
auch in Italien gab es Widerspruch. Im Kloster Nonantola, nördlich
Rom, schrieb ein Mönch Placidus den Liber de Honore Ec-
clesiae, er forderte die wesensmäßige Einheit des Amtes mit dem
Besitz der Kirche.

Jörg Busch untersucht die Entstehungsumstände und Handschriftenüberlieferung
sowie die Herkunft der verwendeten Argumente
. Am Anfang der systematischen kanonistischen Vorlagen
steht das Dekret des Bischofs Burchard von Worms (76-191),
dem „nachburchardianische Reihen" aus dem 11.Jh. folgen
(102-126). Unter den chronologischen Kanonessammlungen
spielen die des Dionysius Exiguus (127-134) sowie Pseudoisidor
(134-151) eine Rolle. Texte aus dem späteren 11. Jh. wurden herangezogen
, z.B. von Gregor VII. und Urban IL, aber auch römisch
-rechtliche Texte könnte es im Kloster Nonantola gegeben
haben (1580- Von 63 Kirchenväterzitaten sind 17 aus den Vorlagen
übernommen, weitere 46 Stellen werden untersucht: Mehrere
Zitate stammen von Ambrosius, Augustin und Gregor I.
(163-181), die Regel Benedikts wurde zweimal zitiert, je einmal
tauchen Cassiodor, Hieronymus und Sulpicius Severus auf. Eine
Schlußbetrachtung untersucht den „Zusammenhang zwischen
den verwendeten Vorlagen und der Argumentation des Placidus"
(191-229). Es wird Placidus bescheinigt, „daß er sich überwiegend
treu an den vorgegebenen Text gehalten hat. Dennoch
scheute er sich nicht, in bestimmten Fällen stillschweigend in die
übernommenen Texte einzugreifen" (206). Er hat seinen Textübernahmen
„einen breiten, bis dahin nicht gekannten Raum"
zugestanden (207).

Die gründliche Quellenarbeit ist nützlich für die kirchengeschichtliche
und kirchenrechtliche Erforschung des hohen Mittelalters
.

G. H.

Religions- und Kirchensoziologie

Daiber, Karl-Fritz [Hg.]: Religion und Konfession. Studien zu politischen
, ethischen und religiösen Einstellungen von Katholiken
, Protestanten und Konfessionslosen in der Bundesrepublik
Deutschland und in den Niederlanden. Hannover: Luth.
Verlagshaus 1989. 155 S. 8 . Kart. DM 24,80.

Dieser Band enthält etwas, das hier gleich eingangs besonders
erwähnt zu werden verdient: Eine m. W. in deutscher Sprache
sonst nirgends greifbare und dazu noch bewundernswert knapp
gefaßte Religionssoziologie der Niederlande. Jan Peters und Os-
mundSchreuderschildern die niederländischen „konfessionellen
Kulturen "(113-138), und Gerhard Dekker und Hijme C. Stoffels
sind der für die Niederlande besonders typischen „Religion der
Konfessionslosen" (139-154) auf der Spur. Zwei Gefahren - die
See im Westen und Deutschland im Osten - haben in den meisten
gesellschaftlichen Gruppen in den Niederlanden ein Verhalten
verstärkt, das auf Bedachtheit hinausläuft.

Diese Beiträge und drei weitere faßt der Herausgeber in einer
Einleitung zusammen, welche die letzthin stattgehabte Entwicklung
auf einen Nenner zu bringen versucht. Gerhard Schmidtchen
, dessen Forschungen nun schon eine Generation zurückliegen
, hatte Aufsehen erregt mit der Botschaft: Trotz allem
kirchenamtlichen und gemeindealltäglichen „Ökumenismus"
bestehen zwei und mehr konfessionelle Typen des Christseins
fort - am deutlichsten erhebbar an sekundären Indizien der Lebensgestaltung
. Das sollte zumindest für Deutschland, Österreich
und die Schweiz gelten; daß Schmidtchens Verfahren für die
Niederlande kaum anwendbar sei, wurde schon früh betont (vgl.
136). Für die vergangenen 80er Jahre nun lautet der Befund,
„daß mit dem Schwinden gesamtgesellschaftlicher Plausibilität

von christlichen Deutungsmustern die Konfessionen aneinander
heranrücken und sich gegenseitig stabilisieren, eine Art Außendruck
Konfessionsgegensätze reduziert" (Daiber, 16).

Was die fünf Studien erheben, ist sozusagen zeitlos - weil der
Zustand von etwa 1982, den sie beschreiben, durch die rasante
Entwicklung in Mitteleuropa schon wieder durcheinandergewirbelt
ist. Was alles sich wandelt und umbricht (und in der DDR sowieso
ganz anders verlief), wird künftig nur im Rückvergleich
mit diesen Ergebnissen deutlich zu machen sein. Ingrid Lukatis
und Wolfgang Lukatis nehmen die „Wert- und Orientierungsmuster
" in den Blick (17-71). Hans- Werner Eichelberger untersucht
die „Einstellung zum Schwangerschaftsabbruch" (72-92). Wolf
gang Pittkowski und Rainer Volz wollen klären, wie die „ Konfessionslosen
" sich politisch orientieren (93-112). Alle letztgenannten
Vff. werten dabei überwiegend das Datenmaterial der
„Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften
(ALLBUS)" von 1982 aus.

Religions-, Kirchen- und Konfessionssoziologen überführen
sich gern gegenseitig „ unzulässiger", da nicht unmittelbar datenbezogener
Deutung. Die strengen Zunftgesetze haben einen gewissen
Positivismus und die Neigung zur Folge, nicht-quanti-
fizierbare Vorgegebenheiten außer Betracht zu lassen. Aber
zumindest eben erwähnt werden müßten doch einige Tatsachen:
Wir leben in Verhältnissen, wo a) die konfessionsverschiedene
Ehe in zweiter Generation häufig wird und die unikonfessionelle
(Groß-)Familie eine Seltenheit geworden ist, wo b) die Not des
Schwangerschaftsabbruchs zu einem beträchtlichen Teil mitverursacht
ist vom Fehlen einer anleitenden Botschaft zur Empfängnisverhütung
, und wo c) Konfessionszugehörigkeit oder aber
Konfessionslosigkeit einerseits und politische Orientierung andererseits
miteinander verklammert waren und sind durch das
Vollbringenwollen einer guten Tat (Wer Bayernpartei wählt -
hieß es einst -, kriegt einen kleinen Ablaß.).

Es scheint an der Zeit zu sein, neue Interpretationskategorien
einzuführen, denen nicht Riesenumfragen voraufgehen müßten,
aber sehr wohl ein geduldiges Beobachten und ein sorgfältiges
Auswerten. Von konservativer oder progressiver Grundhaltung
zu sprechen ist üblich. Den eigentlichen Aufschluß aber böte erst
eine weitere Unterscheidung. Sie müßte versuchen, Art und Maß
des inneren Engagements zu erheben. Kommt in ihm Ignoranz
oder aber Subreflexion (um einmal so die in Gruppen vcrmittel-
oder entwickelbare Reflexion zu bezeichnen) zum Zuge? Ist besagter
Konservatismus/Progressismus ignoriert oder subreflexiv
? Wie kommt das innere Engagement an, was erreicht es bei
wem und wie vielen? Dumpfheit, Ignoranz, lebt von Kredit bis
zur Zahlungsunfähigkeit. Bedachtheit, Subreflexion, lebt vom
Kalkül, ohne vor Erkenntnisunfähigkeit gefeit zu sein - doch
wird Subreflexion lange nicht aufhören können, nach Glaubenswegen
und gesellschaftlichen Lösungen zu suchen.

Bensheim Heiner Grote

Pospischil, Hans Thomas: Der solidarische Umgang mit Eigentum
und Einkommen in christlichen Gemeinschaften und
Gruppen. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1990. XIII, 416 S. 8
- Freiburger theologische Studien, 124. Kart. DM 48,-.

Daß am Rande der Kirche durch Gruppen die Weichen für
entscheidende Entwicklungen gestellt werden, hat ein Teil des
Protestantismus in Deutschland jüngst äußerst anschaulich erfahren
. P. widmet sich dem Gruppenphänomen im interkonfessionellen
Rahmen und kann verdeutlichen, daß es sich nicht lediglich
um ein begrenzt aktuelles, sondern um ein grundlegend
ekklesiologisches Problem handelt. Auf letzteres legt er den
Schwerpunkt, ohne daß seine Untersuchung dadurch auch nur
ein wenig an Aktualität verlöre.