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Ausgabe:

1992

Spalte:

222-225

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fraas, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Die Religiosität des Menschen 1992

Rezensent:

Thilo, Hans-Joachim

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 3

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wird so ständig ein Nachholebedarf suggeriert und die einsichtige sieren: Eine lebendige Vertrautheit mit den Worten der Bibel.

Rückkopplung zu biblischen Texten wie zu theologischen Grund- eine konzentrierte theologische Reflexion, eine gelungene Inte-

aussagen häufig selbst überlassen. gration humanwissenschaftlicher Kenntnisse in die persönliche

Mit dem Buch „Praktische Seel-Sorge-Theologie" führt H. Ausdrucksform, eine breite Erfahrung in der Seelsorge-Praxis

Eberhardt (H. E.) den Leser einen anderen Weg. Bezugspunkt ist und der entsprechenden Qualifizierung sowie eine Offenheit für

für H. E. der Begriff „Seel-Sorge". So geht es zunächst darum, zu die Fragen des menschlichen Lebens und der Probleme unserer

klären, was „Seele" bedeutet, um dann die entsprechende Zeit. Gerade von der Lektüre der hier angesprochenen Passagen

„Sorge" um die so gekennzeichnete Seele zu entfalten. Zu dieser her können Leser aufs neue oder überhaupt erst für Fragen der

Klärung werden die entsprechenden Termini und Textstellen im Seelsorge interessiert und engagiert werden. Durch die Art der

Alten und im Neuen Testament erhoben und analysiert. Im AT ist Darstellung werden Leser dann auch ermutigt, sich den Fragen

„Seele" Leben; sie begegnet in allem, was menschliche Lebendig- der theologischen Begründung einer so verstandenen Seel-Sorge

keit ausmacht; sie ist ein Beziehungsgeschehen. Auch im NT ist zuzuwenden und die damit notwendig verbundenen geistigen

„Seele" leibhaftige Lebendigkeit des Lebens, d.h. Leben in sei- Anstrengungen nicht zu scheuen.

ner Ganzheit - getragen von der lebendigen Beziehung zu Gott Über diese Wirkung hinaus macht H. E. mit seinem Buch auch

Vater, Sohn und Heiligem Geist, zum leibhaftigen Selbst und etwas für die Praktische Theologie als theologische Disziplin

zum leibhaftigen Mitmenschen" (52). Das in diesem Enwurf Entscheidendes deutlich: Zunächst gilt auch hier, daß solche

e'ner „Biblischen Psychologie" erhobene Verständnis von Seele Seel-Sorge nicht als ein Bereich, sondern als eine Dimension

übersteigt die traditionellen dogmatischen Denkmuster, die in Praktischer Theologie zu verstehen ist. Ferner ist jede praktisch-

der Form einer „Trichotomie" zwischen Leib, Seele und Geist theologische Konzeption, die sich nicht an eine dogmatische Tra-

unterscheiden. Dieses trichotomische Denken in abgeschlosse- dition anhängt, stets dazu genötigt, ihre eigene theologische Be-

nen Bereichen möchte H. E. überwinden, um zu einem Denken gründung, die eigene „Theologie" darzustellen - so wie es der

■n Dimensionen zu gelangen. Anders ausgedrückt: Von einem Autor mit der „Biblischen Psychologie" vorgeführt hat. Jeder

durch „Haben" bestimmten Denken hin zu einem durch „Sein" praktische Theologe kann nicht nur Spezialist sein; er muß stets

bestimmten Denken; der Mensch ist Leib, Seele und Geist. In „Theologe" sein. Mit dem vorliegenden Buch wird dieses vom

diesem Argumentationsgang wird mehrmals das Chalcedonense Autor eindrucksvoll belegt.

als Erklärungshilfe herangezogen. Es liegt in der Konsequenz des theologischen Ansatzes, daß die
Nach solcher Klärung des Verständnisses von „Seele" geht es vorliegende „Seel-Sorge-Theologie" in Praxiselemente der Seel-
nun um die Klärung der entsprechenden „Sorge". Zunächst führt Sorgeausbildung einmündet. So weist der Schlußteil des Buches
E. einen Längsschnitt durch die neuere Seelsorgelehre vor, der auf wesentliche Lehrelemente solcher Ausbildung hin: Ge-
von 1928 (Thurneysen) bis in die jüngste Vergangenheit reicht sprächsanalyse; Selbst-Erfahrung; Einzelsupervision (Seclsorge
(1985, Thilo und Scharfenberg). Dem Rez. erscheint dieser Ab- am Seelsorger); Geistliches Leben; Predigtanalyse; „Geist" und
schnitt nicht sehr ertragreich; er dient - zumal in der notwendi- „Leib"; „Zeit"; Maßstäbe. Hier wünschte man sich manches
8en Abbreviatur - mehr der Selbstvergewisserung des Autors als ausführlicher. Aber diese Abschnitte sind weniger als praktische
der Information des Lesers. Hinweise zu lesen. Vielmehr werden die Praxiselemente als orga-
z*ei Anmerkungen sind zu diesem Abschnitt zu machen: nisch aus dieser „Seel-Sorge-Theologie" herauswachsend deut-
Eine kurze Berücksichtigung von Seelsorgekonzepten liberaler Thcolo- lieh. So gehört auch solche Praxis nicht primär einem Bereich zu
gen wäre eine interessante Ergänzung, zumal bei dem von H. E. gewählten erwerbender Techniken an, sondern bleibt wirklich ein Teil von
"sgangspunkt bei der Biblischen Psychologie. Theologie, eben eine „Praktische Seel-Sorge-Theologie".
^rner.stzukonstatiercn.daßmi.A.D.MÜllerundO.Haendlerzweiin j-j E versteht sein Buch auch a,s Einladung, seinen Weg mit
cl iruhcrcn DDR wirkende Theologen behandelt werden, deren Bücher ., , ■ , n n . i. ur-ri. l.
abpr 0,,„u • .i u . u j r> imo theologischer Reflexion und mit praktischer Erfahrung nachzubauen
in westlichen Verlagen erschienen sind. Daß eine 19/8 nur in . , _ 9

Berlin-Ost erschienene Seclsorgekonzeption. wie die des Rostocker Prak- vollziehen (5). Die Lektüre des gesamten Buches macht eingehen
Theologen E.-R. Kicsow (Die Seelsorgc. in: HPTh (Bln.) Bd. 3, drücklich deutlich, daß dieses Vorhaben vom Autor verwirklicht
'41-261) einem so gründlich arbeitenden Autor wie H. E. wohl gar nicht wurde. Die Stringenz der Argumentationen und Überlegungen,
bekannt geworden ist, kann nur als traurig stimmende Feststellung zu den die disziplinierte Beschränkung auf das Wesentliche - die bibli-
Barrieren in der Vergangenheit konstatiert werden. sehen Grundlagen und die dogmatischen Klärungen - stellen

Te'l 3 des Buches von H. E. entfaltet nun die entsprechende einen entscheidenden Vorzug des Buches dar. Dieser Vorzug

»Sorge" um die Seele. Waren in dem wissenschaftsgeschichtli- kann aber zugleich das Problem des Buches sein. Die bewußte

ch-en Durchblick die Konzeptionen zunächst der Leitkategorie Beschränkung auf die theologische Argumentation macht den In-

"Martyria" zuzuordnen, spätere Entwürfe dann der „Diakonia" halt des Buches über die Grenzen der theologischen Disziplin

Und vereinzelt auch der „ Leiturgia", so stellt für H. E. die „ Koi- hinaus nur schwer vermittelbar. Das ist kein Nachteil, sollte je-

"onia" die Leitkategorie dar. Seele = Leben - In-Beziehung-Sein doch im Zeitalter interdisziplinärer Bemühungen vermerkt wer-

J" darin ist die Grundgleichung der Sorge um die bereits beschrie- den. Zum anderen ist das Buch darauf angewiesen, daß der/die

ene Seele zu sehen. Eine alleinige Begründung der Seelsorge in Leserin bereit ist, dem Weg des Autors zu folgen. Wer sich darauf

Psychischen Defiziterfahrungen oder theologisch gedeuteten einläßt, der wird das Buch mit großem Gewinn lesen und manche

°nfliktsituationen ist dann ausgeschlossen. Ebenso ist die Un- Bereicherung erfahren.
,erscheidung eines „Uneigentlichen" von einem „Eigentlichen"

ln der Seelsorge damit unmöglich gemacht. Vielmehr „ist auch Kavelstorf Franz-Heinrich Beyer
J^de menschliche Begegnung scelsorgerlich qualifiziert, wenn
' eelsorge' bedeutet, das In-Beziehung-sein der ,Seele' wahrzu-
neh-men" (

195). Das so gewonnene Verständnis von Seel-Sorge Fraas, Hans-Jürgen: Die Religiosität des Menschen. Ein Grund-

wirdvnr.u c ■ rv_ _:. u i__ja „r-u riß der Religionspsychologie. Göttingen: Vandenhoeck & Ru-

■ u von H. E. in vier Dimensionen - mit abnehmender Ausfuhr- ,..% -?,3 „ D, .... , r. ...

Iichkpit .r i. . i r^- , f~, . d ■ u zu precht 1990. 336 S. 8 = UTB für Wissenschaft: Um-

S ) TL~ 3 tCt: ' D,mens,onen der Gottes-Bez.ehung (31 Taschenbücher 1578. Kart. DM 34,80.
g . • Dimension der Selbst-Beziehung (22 S.); 3. Dimension der

^eziehung zum Mitmenschen (13 S.); 4. Dimension der Bczie- Nachdem über lange Jahre die Pastoralpsychologie und in den

ün8 zu Mit- und Umwelt (4 S.). Insbesondere in diesen Ab- letzten Jahren die Tiefentheologie (Drewermann) führend in der

Schnitten wird deutlich, was den Autor und sein Buch charakteri- Begegnung zwischen Theologie und Psychologie gewesen sind.