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Ausgabe: | 1992 |
Spalte: | 189-191 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Howell, David B. |
Titel/Untertitel: | Matthew's inclusive story 1992 |
Rezensent: | Luz, Ulrich |
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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 3
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Ersatz bietet immerhin der umfangreiche kombinierte Namen- Charakter des Matthäusevangeliums und den partizipatorischen
und Sachindex, der die behandelten Gegenstände vielfältig auf- und kommunikativen Charakter jeder Lektüre einer Erzählung
schlüsselt und zusätzlich zahlreiche Querverweise gibt. vernachlässigen (900; interpretiert wird hier ein theologisches
Der Stellenindex erlaubt, nach Schwerpunkten innerhalb des Konstrukt ihrer Autoren, nicht die Erzählung des Matthäus. Für
herangezogenen Textkorpus zu fragen. Ergebnis: Bei einem ge- sie ist Howell's Grundthese im Anschluß an einen beiläufig gewissen
Übergewicht der Ew. und der Act (zus. 66,58% der aufge- äußerten Gedanken des Rezensenten 1 die, daß das Matthäusführten
NT-Stellen bei 60% der Nestle-Seiten; zum Vergleich evangelium eine inklusive Erzählung sei (14), die die Erfahrun-
BDR: 59,59%!) kann doch die Anführung von Textbeispielen gen und die Geschichte der matthäischen Gemeinde einschließt
■nsgesamt als repräsentativ für das ganze Neue Testament beur- und so zu einem Kommunikationsprozeß führt, in dem Leserinteilt
werden (lediglich Apk ist mit 1,81 % gegenüber 7,21 % der nen „ihren" Sinn des Textes konstruierten und konstruieren.
Nestle-Seiten deutlich unterrepräsentiert). Der eigentliche Untersuchungsteil besteht aus drei Kapiteln
Das Literaturverzeichnis enthält an exegetischen Titeln im we- über „Narrative Temporal Ordering and Emploiment" (93-
sentlichen englische Kommentare, dafür aber um so mehr gram- 160), „Implied Author, Narrator and Point of View" (161-203)
matische und sprachwissenschaftliche Spezialliteratur älteren und „Implied Reader" (205-248), gefolgt von einer Zusammen-
Und neueren Datums, u. zw. nicht allein auf das ntl. Griechisch fassung (249-259). Es liegt in der Natur solcher erzählungskriti-
bezogene. Es ist damit wichtiger und hilfreicher Bestandteil die- scher Untersuchungen, deren Gegenstand ja immer der Makro-
ser Spezialgrammatik. text eines Evangeliums, nie bloße Einzcltextc und auch nie die
Am schmerzlichsten vermißt man einen griechischen Wortin- hinter dem Text liegende „historische" Welt ist, daß die Ergeb-
dex (vgl. BDR!). Angesichts der Bedeutung, die F. semantischen nisse oft auf methodisch und begrifflich präzise Art und Weise
Faktoren für den Aspektgebrauch beimißt, ein geradezu unver- das sagen, was man längstens wußte oder ahnte. Es kam deshalb
ständliches Manko! bei mir als Leser dieser Dissertation weniger das an, was der
Dennoch kann empfohlen werden, Fannings Buch nicht im Autor sagen wollte, also z.B. daß Verheißung und Erfüllung
Regal verschwinden zu lassen, sondern es zu häufiger Benutzung („Prolepsen") ein wichtiges Moment der Spannungserzeugung
"i den Handapparat zu stellen! beim Leser sind (1110 oder daß der implizite Autor (= das von
Leserinnen aufgrund der Strategien des Textes konstruierte Au-
Leipzig Karl-Wilhelm Nicbuhr torbild) weithin den ideologischen und zeitlichen Standort Jesu
übernimmt (1 720- Sind solche Erkenntnisse recht banal, so nicht
die Art und Weise, wie der Vf. zu ihnen kommt. So bin ich ihm
Hr>..,„n rx jn m. , .oj iv, z-B sehr dankbar, daß er mir anstelle meines unklaren Begriffs
"owell, David B.: Matthews Inclusive Story. A Study in theNar- c. . ,, „ „ „ . ..„. „ .
r,,;, n, , r .u i-- . /- i ou «- u rrnT r> „Signal - im Anschluß an Genette ein differenziertes Begnftsin-
rative Rhetoric of the First Gospel. Sheffield: JSOT Press 6 ,. „ , , , , _, 6
1990. 292 S. 8 - Journal for the Study of the New Testament, ventar zur Verfügung stellt, das es erlaubt, das Phänomen prazi-
Suppl. Scries 42. Lw. £ 25 -. ser zu erfassen (99-104), oder daß er im Anschluß an Chatman
differenziert, was kommentierende und evaluierende Urteile des
Das vorzustellende Buch, eine Oxforder Dissertation unter der Autors sind (180-190). Weniger überzeugt haben mich seine Verleitung
von J. C. Fenton und R. C. Morgan, ist der Methode suche, zwischen dem impliziten Autor und dem Erzähler im
e'nes leserorientierten "narrative criticism" verpflichtet. In einem Matthäusevangelium zu differenzieren. Diese - in anderen lite-
Slänzenden Eingangskapitel (13-53) wird diese wesentlich W. rarischen Erzähltexten sinnvolle - Unterscheidung hat im Mat-
^°oth, S. Chatman, S. Fish, G. Genette, W. Iser und F. Kermode thäusevangelium, wo der implizite, allwissende und Jesu Stand-
Verpflichtete Methode vorgestellt. Leider ist der narrative criti- punkt durchweg teilende Autor selbst der Erzähler ist, m. E. kei-
eism, der im angelsächsischen Sprachbereich z. B. durch die Arbei- nen Sinn.
ten von J. Kingsbury weite Anerkennung gefunden hat, im deut- Am interessantesten war für mich das Kapitel über die implizi-
Schen Sprachbereich immer noch weithin nicht aufgenommen ten Leser (i.e. die von der Erzählung vorausgesetzten Adressatln-
*Orden; auch hierzulande gilt die Regel, daß ohne das Vorhanden- nen ihrer rhetorischen Kommunikationsstrategien). Hier ist das
sein von Übersetzungen fast nichts mehr rezipiert wird! Howells Hauptanliegen des Vf.s dies, zu zeigen, daß die impliziten Lese-
lngangskapite! ist als methodische Einführung glänzend geeignet rinnen nicht einfach mit der Gruppe der im Matthäusevange-
Uf d sei dem hiesigen Leserpublikum angelegentlich empfohlen. lium transparenten Jünger identisch sind3, sondern mehr sind als
■ehtig sind insbesondere die sorgfältige Verhältnisbestimmung diese, nämlich die Summe der aus den Autorkommentaren und
tischen narrative criticism und historisch-kritischer Methode allen Aktanten in der Geschichte sich ergebenden rhetorischen
"9-32) und die kluge Balance zwischen einer einseitig Autor- Strategien des Textes (vgl. 216f.229-236.250). Vom allgemeinen
Pr'entierten und einer einseitig Leser-oricntierten Lektüre der Gesichtspunkt leserorientierter Methodik muß man hier gewiß
Cx'e. H. will sich sowohl vor "referential fallacy" (i.e. der Vcr- unterscheiden. Faktisch aber Übersicht H., daß im besondern
*echslung der erzählten mit der wirklichen Welt, 260. als auch Fall der Evangelien die Jünger einzigartige Identifikationsfigu-
0r "intentional fallacy" (i.e. der Verabsolutierung der Absicht ren der Leserinnen sind, mit denen sie nicht nur in einer ekklesia-
es Autors und damit der Geschlossenheit der Texte, 340, als len Interpretationsgemeinschaft stehen, die historische und so-
*uch der "receptor's fallacy" (i.e. der Verabsolutierung der Rolle ziologischc Kontinuität einschließt, sondern vermutlich sogar
^er Leser als alleiniger Sinnkonstitutoren, und damit der Offen- den Namen „Jünger" teilen. Daß die impliziten Leserinnen
^e't der Texte. 41) hüten. Für Erzählungen besonders wichtig ist dabei an ihrem Ort „wissender" sind als die Jünger, spricht nicht
'e unidirectional. linear experience" (43) der Lektüre und der gegen diese These, weil das „inklusive" Evangelium ja eben in
r'n entstehenden Kommunikation zwischen Lesern und Text; seiner Jesusgeschichte erzählt, wie die Jünger des irdischen Jesus
^'Schen dem bei der Erstlektüre eines Textes und bei retrospek- zu dem geworden sind, was die Jesusjünger = Gemeinde in der
er Lektüre entstehenden Sinn muß genau unterschieden wer- Gegenwart sind. Ebensowenig spricht gegen diese These, daß die
n- Jünger im Matthäusevangelium nicht „ideale Jünger", sondern
^ n einem zweiten vorbereitenden Kapitel bespricht H. einige als „aktuale" Jünger unvollkommen sind4, denn die impliziten
^''geschichtliche Entwürfe matthäischer Theologie (Strecker, Leserinnen des Evangeliums, auf die die Strategien des Textes
te ' Meier, H. Frankemöllc, J. Kingsbury). Sein berechtig- zielen, sind dies auch nicht, sondern sie leben in einer Spannung
r Vorwurf an alle ist, daß sie paradoxerweise den narrativen zwischen ihrer Wirklichkeit und ihrer Ideologie.