Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1992

Spalte:

184-185

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Mußner, Franz

Titel/Untertitel:

Dieses Geschlecht wird nicht vergehen 1992

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

183

Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 3

184

achtung bei der Lektüre des Beitrags von E. Tov zur LXX1 fügt
sich hier an: Der Leser erfährt nur, daß für christliche Theologen
die LXX als inspiriert galt, während "within Judaism the LXX
was never esteemed as much as in Christianity" (163). Die Korrektur
dieser Sicht findet sich im Beitrag von Y. Amir im Abschnitt
über die Wertung der LXX als inspiriertem Schrifttext bei
Philo; er stellt als Ergebnis für Philo fest: "in the making of the
Greek version the same prophetic forces were at work as in the
Hebrew text. In the Greek version, too, every word was chosen
with divinely inspired accuracy, so that the exegete [gemeint ist
Philo] ... has the same Chance as the Hebrew exegete of arriving
at the original truth which dictated the word" (444). Wäre nur
noch hinzuzufügen, daß Philo hierin sicher nicht eine - im Rahmen
der alexandrinischen Exegese - singuläre Position vertreten
haben dürfte.

Fragen ergeben sich auch beim Beitrag von E. E. Ellis zur Geltung
des alttestamentlichen Kanons in der Alten Kirche2, wenn er
formuliert: "The growth of the OT canon involves an interpreta-
tive process that continues in the biblical interpretation of Jesus
and his apostles and prophets" (680). Die Fortdauer dieses Prozesses
sei dort möglich gewesen, wo man sich weiterhin im Besitz
des Geistes wußte (Qumran und frühes Christentum), so daß dort
der Kanonsprozeß noch nicht abgeschlossen war (689). Wird
dabei nicht übersehen, a) daß die neutestamentlichen Schriften
schon hinsichtlich ihrer ganz anderen Gattungen nicht so bruchlos
als Fortschreibung und Fortsetzung der alttestamentlichen
Literaturformen angesehen werden können? Der Unterschied zu
Qumran ist ja nicht zufällig. Wird nicht weiterhin übersehen, daß
b) die jüdische „Schrift" der frühen Kirche schon immer als abgeschlossene
Größe vorgegeben war, deren Geltung als Ganze
zeitweilig zur Debatte stand (Marcion)? Der Vorgang der neutestamentlichen
Kanonsbildung dürfte kaum ausreichend erfaßt
sein, wenn man darin letztlich nur die Ergänzung des vorgegebenen
dreiteiligen Kanons durch einen vierten Teil sieht.3

Der Band enthält als Abschluß ein umfassendes Stellenregister
und eine Gesamtbibliographie. Diese ist sehr umfangreich, dagegen
sind die bibliographischen Hinweise am Ende der einzelnen
Artikel häufig recht schmal ausgefallen. Das ist dort erträglich,
wo auf gedruckte Bibliographien verwiesen werden kann. Doch
ist z. B. die Literatur zur Diskussion über die „Synode" von
Jabne, die in der Gesamtbibliographie verarbeitet ist, dem entsprechenden
Beitrag nicht zu entnehmen, zumal nicht nur die
kurze Bibliographie (S. 86), sondern auch die Literaturverweisungen
in den Anmerkungen begrenzt sind. Hier ist der Leser gezwungen
, die Gesamtbibliographie (55 Seiten!) durchzuarbeiten
.

Münster Dietrich-Alex Koch

1 Der deutsche Leser sei auf den Artikel von E. Tov: Die griechischen Bibelübersetzungen
in ANRW II, 20.1, Berlin/New York 1987, S. 121-189
verwiesen, mit dem sich der Beitrag in ,Mikra' weitgehend deckt. Allerdingsbietet
der Artikel in ANRW sowohl für LXX selbst (Textzeugen. Ausgaben
, Hilfsmittel) als auch zum Problem der verschiedenen Rezensionen
wesentlich mehr Informationen.

- Eine überarbeitete Fassung beider Beiträge von E. E. Ellis ist jetzt erschienen
in E. E. Ellis: The Old Testament in Early Church. Canon and Interpretation
in the light of Modern Research, WUNT 34, Tübingen 1991.
und zwar in dergleichen Abfolge (3-50; 77-121).

3 Im übrigen ist es m. E. schon aus historischen Gründen unsachgemäß,
bei der berechtigten Frage nach dem Zusammenhang zwischen frühchristlicher
und zeitgenössisch jüdischer Schriftauslegung das frühe Christentum
als „messianic Judaism representcd by Jesus and the (sie!) NT wri-
ters" zu bezeichnen (E. E. Ellis: in ,Mikra' S. 702)

Mußner, Franz: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen. Juden?
tum und Kirche. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1991. 185 S.
gr.8 .Lw. DM 39,-.

Das Schriftwort, das dieser Aufsatzsammlung den Titel gab.
gehört zu jenen Stellen, denen Franz Mußner eine eigenwillige
Deutung gegeben hat. Das Logion Mk 13,30 bezieht sich nach ihr
nicht auf die gegenwärtige Generation noch auf die Menschheit,
sondern auf die Juden ; es ist eine prophetische Aussage, „genuin
jesuanisch" (27) und vom Redaktor der synoptischen Apokalypse
(nach 70) als bestätigte Weissagung angesehen (21-28 =
Kairos 29, 1987, 23-28). Die wohl berühmteste unter den Neudeutungen
, die Mußner einer einschlägigen neutestamentlichen
Stelle hat zuteil werden lassen, seine Interpretation von Röm
11,26 (Kairos 18, 1976, 241-255), brauchte nicht noch einmal
vorgelegt zu werden, da sie in einen früheren Band Eingang gefunden
hat. Wohl aber wird nun unter dem Titel „Der von Gott
nie gekündigte Bund" eine Auslegung von Röm 11,27 geboten
(39-49). Sie stellt den Vers in den Kontext von Röm 9-11. bezieht
ihn auf alle Sünden Israels (nicht nur auf die Verstockung
gegenüber dem Evangelium) und begreift ihn als Verheißung
eines „Sündenvergebungsbundes" mit „ganz Israel in seiner dia-
chronen Erstreckung" (43). Zu einer weiteren kontroversen
Stelle Röm 10,4 bleibt es bei der Übersetzung Christus des Gesetzes
Ende (nicht Ziel), aber mit dem Nachdruck auf dem „ zur Gerechtigkeit
für jeden, der glaubt", was keineswegs im Sinne von
H. J. Schoeps ein Mißverständnis der abrogatio legis ist. sondern
Schlüssel der paulinischen Theologie (77-86).

Auf die Thematik von Röm 9-11 kommt Mußner in 7 der 16 in
diesem Band vereinigten Beiträge (teils bereits veröffentlichte,
teils noch ungedruckte) zurück. Neben den genannten Vcrsaus-
legungen stehen die Studien, die biblisch-theologische Gesamt'
aspekte herausarbeiten. Die Regensburger Abschiedsvorlesung
„Heil für alle - der Grundgedanke des Römerbriefs" (29-38 **
Kairos 23, 1981, 207-214). „Warum muß es den Juden post
Christum noch geben?" (51-60 = Christus bezeugen, FS Wolf-
gang Trilling, Leipzig 1990, 67-73). „Die Logik Gottes nach Röm
9_11" (61-64). „Hilfen aus Röm 9-11 zum Abbau des christlichen
Antijudaismus" (65-72). „Paulinischcr Antijudaismus-
Zum Widerspruch zwischen l. Thess 2,14-16 und Röm 9-11"
(73-76). Immer wieder leuchtet die Grunderkenntnis auf. daß
eine enge Relation zwischen der heilsgeschichtlichen Rolle Is'
raels und der recht verstandenen Gnadentheologie besteht. Man
wird dies wohl als den Zugangsweg betrachten dürfen, auf dem
Franz Mußner, der wie nur wenige um eine biblische Fundierung
der Gandenlehre bemüht ist (vgl. in diesem Band 143, Anm 42-
sowie vor allem MySal IV,2,611-628), zum Israelthema gelang1
ist.

Die Sammlung führt den Untertitel Judentum und Kirche-
Dies kann als Leitlinie verstanden werden, die die Mehrzahl def
erneut oder erstmalig vorgelegten Beiträge beherrscht. Darüber
hinaus finden sich Stücke, die wir als Ergänzung zum Werk eine5
Autors verstehen dürfen, der als Verfasser von Kommentaren im
exegetischen Gespräch unserer Tage in vielfältiger Weise präsen1
ist. Mit dem Aufsatz „Was ist Kirche? Die Antwort des Ephesef-
briefs" (163-175 = Dienst in eurer Mitte, FS Bischof Antonius
Hofmann, Passau 1984, 82-90) gibt er ein aktualisiertes Pos1'
scriptum zu seinem Epheserkommentar (ÖTK 10, Gütersloh/'
Würzburg 1982) und nimmt zugleich ein Lebensthema auf. daS
bereits den von der ekklesiologischen Erneuerung inspiriertefl
Trierer Neutestamentier bewegt hat (Christus, das All und d'e
Kirche, 1955). Eine Grundaussage des Kommentars zur Aposte''
geschichtc (NEB NT5, Würzburg 1988) wird im Beitrag überd'e
„Erzählintention des Lukas in der Apostelgeschichte" erneu'
herausgearbeitet (101-114). Er charakterisiert das Werk a's
„heilsgeschichtlich orientierte Missionschronik, die den allmäh'