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Ausgabe:

1992

Spalte:

179-181

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Raabe, Paul R.

Titel/Untertitel:

Psalm structures 1992

Rezensent:

Reventlow, Henning

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Theologische Literaturzeitung 117. Jahrgang 1992 Nr. 3

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ihrer literarischen Verarbeitung grundsätzlich zu werten. Dabei
beschränkt er sich auf die biblischen Themen, die in den Einzelbeiträgen
am häufigsten zur Sprache gekommen sind. Die dabei
gewonnenen Ergebnisse bestätigen ihm grundsätzlich das methodische
Verfahren einer literarischen Typologie. Trotz der Vielfalt
der Themen und der Verschiedenartigkeit der Formen lassen sich
„sehr deutlich Perioden unterschiedlicher Signifikanz und unterschiedlicher
Anverwandlung des Alten Testaments erkennen"
(934). Von den Werken der Kirchenväter angefangen bis in die
christliche Literatur des Mittelalters hinein ist das Alte Testament
dem Neuen Testament eindeutig untergeordnet. Mit der
Renaissance und dem Humanismus treten neben die biblischen
Themen Mythen der griechischen und römischen Antike. Vor
allem im katholischen Bereich haben die antiken Stoffe die altte-
stamentlichen fast vollständig in den Hintergrund gerückt. Zu
einem neuen Verständnis biblischer Themen kommt es erst im
18. und 19. Jahrhundert in Folge der Aufklärung. Charakteristisch
für dieses Verständnis sind eine „vertiefte psychologische
Motivierung der Personen" und eine „Individualisierung der
Figuren" (936). Im 19. Jh. führt dies zu einer ganz bewußten
Umwertung alttestamentlicher Aussagen. Es fehlt hier nicht an
Versuchen, biblisch negative Verhaltensweisen psychologisch
einsichtig zu machen und damit in gewisser Weise zu rechtfertigen
bzw. Gottes Anspruch an biblische Gestalten wie Abraham
oder Hiob als ungerechtfertigte Zumutung dem Menschen gegenüber
aufzufassen. In eine ähnliche Richtung läuft auch die Tendenz
, „dem Künstler die Aufgabe des Schöpfergottes zu übertragen
... Die Säkularisierung erweist sich in diesem Falle darin,
daß der Künstler eine Offenbarung verkündet, die nicht im Auftrag
Gottes geschieht, sondern aus ihm selber kommt. Als Apotheose
dieses Künstlers erscheint das Originalgenie der Romantiker
" (937). Obgleich biblische, besonders alttestamentliche
Themen in der Literatur unseres Jahrhunderts scheinbar sehr
viel häufiger Verwendung finden, setzen sich diese Tendenzen im
Prinzip fort. Allerdings wird der ursprüngliche Sinn der biblischen
Texte noch weiter aufgelöst. Insgesamt läßt sich für das 20.
Jahrhundert eine .vorwiegend kritische, wenn nicht negierende'
Haltung dem Alten Testament gegenüber feststellen. Mit
Stephane Moses erklärt Link diese Haltung aus dem grundlegenden
Paradigmenwechsel..., „ der seit der Aufklärung in der westlichen
Kultur eingetreten ist" und der bewirkt hat, „daß die vorherrschende
Beschäftigung mit Negativität" zum Kennzeichen
„für die philosophische und künstlerische Stimmung des
20. Jahrhunderts" wurde. „Der Geist der Moderne nimmt in diesem
leeren Raum, der durch das Zurücktreten der jüdischchristlichen
Tradition entstanden ist, sehr verschiedene Formen
an ... Dennoch bleibt das Bedürfnis oder gar die Notwendigkeit,
den leeren Raum mit,Geschichten' zu füllen, die dem Leben .irgendeinen
' Sinn zu verleihen vermögen, auch wenn sie nur... als
Spiel erfunden sind. Selbst als solches bedienen sie sich wieder
der im Alten Testament vorgegebenen Muster" (938f)-

Am Ende dieses hochinteressanten Bandes findet sich ein Register
(945-953), in dem literarische Werke und biblische
Namen, die für die vorliegende typologische Untersuchung von
Bedeutung waren, verzeichnet sind.

Halle (Saale) Ernst-Joachim Waschke

Raabe, Paul R.: Psalm Structures. A Study of Psalms with Refrains
. Sheffield: JSOT Press 1990. 240 S. 8" = Journal for the
Study of the Old Testament, Suppl. Series 104. Lw. £ 25,-.

Der Band stellt die (wenig überarbeitete) Dissertation eines
Schülers von D. N. Freedman dar und ist maßgeblich von dessen
poetologischer Methodik geprägt (vgl. auch 158). Ihr Ziel ist es.

die literarische Struktur von Psalmen in ihren Hauptblöcken zu
bestimmen (vgl. 155), wobei die Ebenen von Kolon, Vers, Strophe
und Stanze unterschieden werden.

Als Mustertexte, an denen ein Ergebnis am leichtesten zu erzielen
ist, wählt der Vf. Psalmen, deren Stanzen durch das Auftreten
von Refrains besonders deutlich abgegrenzt sind. Sieben davon
werden genauer untersucht: Ps 42-43; 46; 49; 56; 57; 59. Vier
andere werden in einem Anhang (197-203) kurz statistisch erfaßt
: Ps 39; 67; 80; 99.

Die Statistik spielt als methodisches Handwerkszeug in dieser
Untersuchung eine zentrale Rolle. Zu jedem einzelnen der näher
untersuchten Psalmen bietet der Vf. im Hauptteil der Arbeit (29-
153) zunächst eine strukturell gegliederte Wiedergabe des hebräischen
Textes in der linken Spalte der Seite, daneben eine Zählung
der Silben und der Tonsilben. Es folgen Übersetzung mit Hervorhebung
der Refrains, begleitet von Anmerkungen zur Übersetzung
, und - als Hauptstück - die in die Ebenen von Versen, Strophen
, Stanzen gegliederte Strukturübersicht.

Man kann diese Arbeit mit Gewinn nur lesen, wenn man den
hebräischen Text beständig danebenlegt und die Einzelbeobachtungen
mit diesem vergleicht. Viele sind wertvoll und hilfreich,
wenn sich auch manchmal - wie im Falle von Ps 42/43 (42,2 ist
viel besser als zwei Doppelzweier zu lesen, vgl. BHS; die Aufteilung
von 42,5 in Bicola leuchtet so nicht ein, usw.) - andere Lösungen
aufdrängen. Auffällig ist in diesem Arbeitsgang, daß der
Vf. Gattungsgesichtspunkte vollkommen unberücksichtigt läßt-
Einmal findet man die Bemerkung: "No one Gattung captures
the tripartite character and the thought progression of the Psalm
C6)". Dieses absolute Schweigen klärt sich erst am Ende auf, w°
der Vf. gegen eine einseitige gattungsgeschichtlich orientierte
Betrachtungsweise polemisiert (s. u.). Wieweit eine derartige
methodische Isolierung statthaft ist, bleibt aber doch zu fragenin
ähnliche Richtung geht, wenn der Vf. die alte Erkenntnis, daß
in dem sog. elohistischen Psalter Ps 42-83 der Jahwenamc großenteils
offensichtlich nachträglich durch Elohim ersetzt wurde,
nicht berücksichtigt, was ihn in gelegentlich von ihm selbst beobachtete
Schwierigkeiten bringt (wie zu Ps 59, 6), jedenfalls aber
die statistische Basis an recht zahlreichen Stellen verfälscht-
Fehlt so der redaktionsgeschichtlichc Gesichtspunkt, gilt das
gleiche für überlieferungsgeschichtliche Probleme, denn z. B. bei
der Beobachtung von mehr oder weniger großen Variationen im
Wortlaut sonst einander entsprechender Refrains (1670 wird
nicht reflektiert, ob die Abweichungen nicht im Laufe mündli'
eher Überlieferung (deren Bedeutung schlicht geleugnet wird)
oder der Textgeschichte sekundär entstanden sein können.1

Was der Vf. herausarbeiten möchte, ist am deutlichsten in seinem
zusammenfassenden Schlußkapitel (3,155-191) erkennbar
Die Untersuchung der "building blocks", aus denen die untersuchten
Psalmen zusammengesetzt sind, ergibt jeweils eine harmonische
Gesamtstruktur, die sich vor allem auf den höheren
Ebenen zeigt. Während das Metrum im einzelnen und überhaupt
Cola und Verse nicht gleichmäßig gebaut sind - hier herrscht in
neuerer Zeit weitgehend eine communis opinio - und selbst def
Aufbau der Strophen Unklarheiten aufweist (vgl. 163), glaubt der
Vf. in den Stanzen und „Sektionen" (Stanzen + Refrain, def
diese meist abschließt, gelegentlich aber auch am Anfang steht)
die Grundbausteine der Psalmen gefunden zu haben. Im übrige11
sind die für die Einteilung des Stoffs in Strophen bzw. Stanze"
genannten Kriterien (Rede zu Gott in 2.Pers. oder von Gott 9
3.Pers., Wiederholung und Wortpaare, inclusio, Syntax usw.) füf
Strophen und Stanzen weitgehend gleich, vgl. 161 mit 178. Erst
auf der Ebene der Stanzen ergibt sich dann die gesuchte Regeln^'
ßigkeit, die ein Verhältnis gleicher (oder halber) Länge zwische11
den verschiedenen Stanzen und Refrains einschließt (vgl. die Tm
bellen 172-174). Es ergeben sich aber auch statistische Schlußfa1'
gerungen für die Einzelstruktur, wie die durchschnittliche Silben'