Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

158

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Jung, Martin H.

Titel/Untertitel:

Die Württembergische Kirche und die Juden in der Zeit des Pietismus (1675 - 1780) 1991

Rezensent:

Jung, Martin H.

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

157

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2

158

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

Ballke, Ernst: Die Geschichte und Bedeutung der Pommerschen
Confirmatio. Diss. Greifswald 1990. 154 S.

Das Gespräch über die Konfirmation, ihre theologische Interpretation
und ihre rechtmäßige Gestaltung ist in der Gegenwart mit neuer
Intensität und Dringlichkeit aufgebrochen. In den evangelischen Landeskirchen
wird die Konfirmation zum Brennpunkt für die Frage, wie
die Kirche ihr reformatorisches Erbe in einer der modernen Gesellschaft
entsprechenden Neuordnung ihres konfirmierenden Handelns
bewahren könnte. Die Beanspruchung durch aktuelle Probleme prak-
''sch-theologischen Handelns bezieht sich vor allem auf das Konfirmationsalter
, auf den Zusammenhang von Konfirmation und Abend-
mahlszulassung, auf eine vorgezogene Zulassung von Kindern zum
Abendmahl, auf die Verbindung von Verleihung kirchlicher Rechte
m't der Konfirmation, wie Patenamt, Recht zur Nottaufe, Anspruch
auf kirchliche Trauung und Voraussetzung für das kirchliche Wahl-
amt u. a., kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß meist sehr
vordergründig ohne Berücksichtigung des reformatorischen Erbes
diskutiert wird.

Offen ist vor allem die Bedeutung und der Stellenwert evangelischer
Unterweisung, also des Konfirmandenunterrichts, im Rahmen des
konfirmierenden Handelns der Kirche. Die vorliegende Arbeit sieht
'hre Aufgabe darin, für ein klar begrenztes Kirchengebiet alle erreichbaren
Quellen, Unterlagen und Statistiken zu den anstehenden Fragen
Zu sammeln, zusammenzufassen und sowohl kirchenhistorisch als
auch praktisch-theologisch aufzuarbeiten. Hierfür gibt es leider auch
450 Jahre nach Einführung der Konfirmation bisher keinerlei Vorarbeiten
. So*war die Untersuchung ein mühseliges und zeitaufwendiges
Unternehmen.

Zunächst wird die Vorgeschichte der Pommerschen Confirmatio,
a'so die Ablehnung der Firmung als Sakrament, behandelt. Welche
Vorgaben hat M. Luthers Theologie für die Kirchenordnung Bugen-
nagens geleistet? Wie ist das Verhältnis von Taufe und Abendmahls-
Zu'assung gesehen worden? Welches Verständnis ist mit der Segnung
verbunden? Diese Frage wird wichtig, weil im untersuchten Territo-
num in den Gemeinden meist von „Einsegnung" die Rede ist, weniger
v°n „Konfirmation".

Die untersuchten Kirchen- und Schulordnungen ab 1525 machen
die Bedeutung des pädagogisch-katechetischen Elements für eine
•Neuordnung der Konfirmation als „evangelische Firmung" deutlich.
Die überlieferten Urkunden Stralsunds sind hier besonders aufschluß-
re'ch. Ebenfalls werden dann die lückenlos vorhandenen Synodalbeschlüsse
der Synoden und Generalsynoden seit Einführung der
Kirchenordnung Bugenhagens von 1535 ausgewertet. Das aus 22 Kir-
chenkreisen, kirchlichen und staatlichen Archiven fotokopierte
Urkundenmaterial ist von unschätzbarem Wert und in zwei gesonderten
Bänden vom Vf. den dafür zuständigen Archiven bzw. Bibliotheken
übergeben worden und damit öffentlich zugänglich.

Aus den Kirchenregistern und Matrikeln geht hervor, daß im 16.
u°d 17. Jh. in ganz Pommern die Konfirmation um das 10.-12.
Lebensjahr stattfand. Die Erstkommunion konnte nach einer seelsor-
Berlichen Betreuung durch die Eltern und den Pastor und nach Überprüfung
des Katechismusverständnisses und vorangegangener Beichte
Und Absolution bald danach empfangen werden.

Die Pommersche Confirmatio forderte kein formuliertes Bekennt-
n,s und kein Gelübde. Der Wissensstand wurde vor der Gemeinde
überprüft und brachte dann im Zusammenhang mit der Konfirmation
den Anspruch auf Zulassung zum Abendmahl. Die Pommersche Confirmatio
stellt eine katechetische Konfirmation dar, die „um des Kate-
ehismus und des Gebetes willen" geschah. In der Gewißheit, „unsre
Gebedt si krefftich im Hemmel" wird die durch die Handauflegung
Persönlich zugewendete Fürbitte mit der Segnung beschlossen. Die
Konfirmation wird hierdurch zur Einsegnung.

In Preußisch-Pommern erhöhte sich im 19. Jh. durch die Forderung
schulischer Kenntnisse und strengerer Maßstäbe bei den Katechismusprüfungen
das Konfirmationsalter auf etwa 14 Jahre. Hierdurch
hingen Konfirmation und Abendmahlsgang zeitlich eng zusammen
.

Durch die Verbindung der Konfirmation und der Erstkommunion
mit der Schulentlassung erhielt die Konfirmation im 19. Jh. den Charakter
einer Abschlußveranstaltung, die die weitere Katechisation
erschwerte. Durch die behördliche Beseitigung einer späteren Präparation
zur Erstkommunion beraubte sich die Kirche in der zweiten
Hälfte des 19. Jh. einer Möglichkeit weiterer Einwirkung auf die konfirmierte
Jugend.

Der Vergleich mit der Kurbrandenburgischen Konfirmationsordnung
macht die Besonderheiten und Schwerpunkte der pommerschen
Ordnung deutlich: Nicht sakramentales Handeln und agendarische
Formeln, sondern die eingehende Unterweisung, der Katechismusunterricht
sowie die seelsorgerliche Anwendung kirchlicher Lehre auf
den Alltag des Christen stehen im Vordergrund. Der Einfluß Bucers
läßt sich nachweisen, ebenso die geistlichen Verbindungslinien zu
M. Chemnitzer und Ph. J. Spener.

Jung, Martin: Die wiirttembergische Kirche und die Juden in der Zeit
des Pietismus (1675-1780). Diss. Tübingen 1989. VI. 425 S.

Die Arbeit, die überwiegend auf Akten verschiedener Archive in
Württemberg basiert, untersucht den praktischen Umgang der Kirche
mit Juden, die in Altwürttemberg lebten, und mit jüdischen Prose-
lyten in einer Zeit, in der der Pietismus in Württemberg eine geistig
prägende Kraft und zeitweise auch in der Kirchenleitung einflußreich
war. Während damals zahlreiche württembergische Theologen, insbesondere
die Pietisten, aufgrund ihres Glaubens an die endzeitliche
Rettung ganz Israels (Rom 11,250 einen freundlichen, achtungsvollen
Umgang mit Juden forderten, opponierte die Kirche stark
gegen die Anwesenheit von Juden im Herzogtum, indem sie sich laufend
über sie beschwerte, ihre Religionsausübung zu unterbinden
suchte und ihre Vertreibung aus dem Land forderte. Heftige Konflikte
gab es unter anderem, als ein Pfarrer jüdische Flüchtlinge in sein Haus
aufnahm, sowie wegen der Durchführung von Beschneidungen und
der Mitarbeit von christlichen Sabbatmägden in jüdischen Haushalten
. Obwohl also die Judenfeindschaft in der Kirche groß war, übten
kirchliche Stimmen allerdings in den Auseinandersetzungen um „Jud
Süß" 1737/38 einen eher mäßigenden Einfluß aus.

Die Erwartung einer endzeitlichen Judenbekehrung, die der Pietismus
verbreitete, spornte in Württemberg judenmissionarische Bemühungen
an: Es gab einen Freundeskreis des Halleschen Institutum
Judaicum, der überwiegend aus Pietisten bestand und die Mission
unter anderem mit Geldspenden unterstützte. Ein württembergiseher
Theologe, der Pietist J. G. Widmann, arbeitete selbst als reisender
Missionar für das hallesche Institut. Doch taufwillige Juden wurden
damals von der württembergischen Kirche nicht mit offenen Armen
aufgenommen: Im Lauf des 18. Jh.s neigte die Kirche mehr und mehr
dazu, sie abzulehnen und fortzuschicken, weil sie ihnen aufgrund
einzelner schlechter Erfahrungen generell mißtraute. Von insgesamt
82 Juden, die zwischen 1675 und 1780 um die Taufe baten, wurden
nur 36 getauft. Nach der Taufe kümmerte sich die Kirche nur unzureichend
um die Versorgung der Proselyten, nur ein Teil konnte im
Land bleiben, die anderen wurden fortgeschickt und mußten als Bettler
ihr Leben fristen. Bettelnde jüdische Proselyten kamen auch von
auswärts in großer Zahl nach Württemberg, und die Kirche unterstützte
sie mit kleinen Almosen. Im Widerspruch zur damaligen
Theologie sahen Kirche und Öffentlichkeit in einem getauften Juden
allerdings keinen vollwertigen Christen, sondern konfrontierten ihn
selbst Jahrzehnte nach der Taufe immer wieder mit seiner Herkunft
aus dem Judentum.