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Ausgabe:

1991

Spalte:

151-153

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Aufklärungskatholizismus und Liturgie 1991

Rezensent:

Reifenberg, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2

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Epheserbrief orientierendes freies Lied und ein kurzes Kinderlied, das
sich auf keinerlei Vorlage beziehen läßt (197-213). Leider erfährt
man nichts über die Prinzipien, nach denen diese Auswahl getroffen
wurde, auch nichts darüber, inwiefern sie repräsentativ ist (z. B.: Wie
viele der aus evangelischer Tradition übernommenen Lieder erscheinen
in Bearbeitung, wie viele sind kaum oder nicht bearbeitet? Wie ist
das Verhältnis bei den aus der katholischen Tradition übernommenen
?). Ein Vergleich der Adaptionspraxis Leisentrits mit derjenigen
Luthers etwa fehlt ebenso wie der Versuch, die bei Leisentrit vorkommenden
15 Psalmlieder in die Geschichte dieserGattung einzuordnen
und den Adaptionsvorgang bei Leisentrit mit dem bei andern Psalmlied
-Dichtern und -Bearbeitern zu vergleichen3. Im einzelnen wird
auf diesen 100 Seiten allerhand Erhellendes und Weiterführendes
gesagt. Der entscheidende Aufschluß über das mit dem Untertitel angesprochene
, interessante und erforschungswürdige Thema jedoch
bleibt weitgehend aus.

Das Standardwerk über das Gesangbuch Leisentrits bleibt nach wie
vor noch zu schreiben. Wer das zu tun unternimmt, wird an Erika
Heitmeyers Buch immerhin einen in vieler Hinsicht hilfreichen Begleiter
haben.

Ligerz Markus Jenny

1 Die Ausgabe von 1567 enthält (nicht „beinhaltet"', wie die Vfn. bei jeder
sich bietenden Gelegenheit schreibt!) nicht 64 (S. 64), aber auch nicht 81 (Lipphardt
S. 8) oder 54 (Lipphardt S. 11), sondern 51 verschiedene Bild-Holzschnitte
, von denen 12 ein zweites Mal und weitere 3 dreimal vorkommen. Das
ergibt 72 Seiten, auf denen ein Bild steht.

2 So kennt die Vfn. wohl das bibliographische Nachschlagewerk DKL (6,
Anm. 15, und S. 226). Dennoch behauptet sie, die Bezeichnung ,.Gesangbuch"
sei im 16. Jh. „auf Titelblättern selten zu finden" (2, Anm. 3). In DKL 1/2.
19-24 wäre einfach nachzuzählen gewesen, daß es allein bis 1567 nicht weniger
als 37 Titel sind. - Nichtgezählte Blätter eines Druckes mit der nichtssagenden
Bezeichnung ,,unfol." zu zitieren, ist sinnlos. Dafür gibt es Bogensignaturen.

1 Auch hier ein Hinweis auf einen Fehler (als Beispiel): S. 147 ist von einer
„Zusatzstrophe" zu Luthers Lied über den 12. Psalm die Rede. Offenbar kennt
die Vfn. den Brauch nicht, Psalmlieder (entsprechend dem Brauch bei der Psal-
modie) mit einer Doxologiestrophe abzuschließen, auch wenn der Autor eine
solche nicht verfaßt hat. Die Straßburger Gesangbücher haben solche Strophen
für alle vorkommenden Metren jeweils zu Beginn oder am Schluß en bloc angeboten
. - Was einer Philologin aber nicht passieren dürfte, ist, daß sie einen
Prosatext, der unter Noten steht, unbesehen als Lied bezeichnet und behandelt
(S. I04undll3).

Kohlschein, Franz [Hg.]: Aufklärungskatholizismus und Liturgie.

Reformentwürfe für die Feier von Taufe, Firmung, Buße. Trauung
und Krankensalbung. St. Ottilien: EOS 1989. IX, 238 S. gr. 8" =
Pietas Liturgica Studia, 6. Pp. DM 49,-.

Der aus einem 1986 an der Univ. Bamberg veranstalteten Forschungskolloquium
„Aufgeklärte Ritualien" herausgewachsene Band
legt die dort verzeichneten Ergebnisse in erweiterter Form vor. Ziel
des Vorhabens war es, konkrete „privat erarbeitete" liturgische Ordnungen
bestimmter Autoren vorzunehmen, um einerseits die liturgietheoretische
Konzeption nebst liturgiepraktischen Konsequenzen
darzustellen, andererseits diese im Gesamtzusammenhang ihrer
Ritualien zu werten sowie Vergleiche mit anderen Entwürfen durchzuführen
.

Die erste Abhandlung bestreitet der Hg. unter dem Titel: „Die
Liturgie der Buße in der späten deutschen Aufklärung. Eine Studie zu
den .Beichtakten' im Rituale von Vitus Anton Winter" (5-92). Für
Winter (1754-1814) schien die Zeit gekommen, die Liturgie aus der
Abhängigkeit von Rom zu lösen und den wirklichen Bedürfnissen der
Gemeinde Rechnung zu tragen. Die neuen Formen sollen auf Verstand
, Gemüt und Willen der Teilnehmer wirken, dabei aber auch
von „ästhetischer Kraft" geprägt sein. Zweckdienliche Vorbereitung,
Verständlichkeit der verbalen und nichtverbalen Elemente (wobei

auch Gesang nebst Musik wichtig sind) sowie würdiger Vollzug in
gemeinsamer Feier erscheinen ihm als Ideal. Insgesamt kommt bei W.
enge Vertrautheit mit anderen Reformbemühungen sowie die grundsätzlich
positive Stellung zu protestantischen Entwürfen zutage; dabei
erkennt man Parallelen, aber auch Divergenzen. - Unter „Beichtakt"
versteht W. eine Gesamthandlung, die sich aus einer gemeinsamen
Vorbereitung der Gemeinde (1), der Beichte des einzelnen (2) und
einem gemeinsamen Abschluß (3) zusammensetzt. Er legt dazu vier
ausgeführte Modelle vor, mit dem Ziel, den ,,Mechanism"[!] durch
(mehr) ,,Spiritualism"[!] abzulösen. Abschließend würdigt der Vf. das
Werk W.s in positiver Weise und erinnert an dessen - freilich nur zeitweise
- großen Erfolg. Bemerkenswert nämlich die Feststellung (88):
Ab 1830 verliert die kath. Aufklärung in Deutschland die Unterstützung
beim Episkopat, und etwa um 1855 sind die Spuren der Liturgiereform
im wesentlichen verschwunden.

Der folgende Aufsatz von Hans-Joachim lgnatzi ist überschrieben
: „Die Liturgie der Firmung im Rituale Ignaz Heinrich von
Wessenbergs (1831). Ein Beitrag zur Reform der .Firmspendung' in
der Spätaufklärung" (93-152). Das Rituale Wessenbergs (1774-1860)
erlebte 1833 eine zweite Auflage, eine für 1835 geplante erschien
nicht. Bezeichnend für letzteres (98); Die Tatsache, daß 1835 der
Gebrauch von Privatritualien in der Erzdiözese Freiburg untersagt
wurde . . . erweist das Wessenberg-/Rituale ... als Schlußpunkt in der
Produktion von privaten Ritualienentwürfen der kath. Aufklärung
zwischen 1800 und 1835. Das Ziel W.s: Überwindung des Mechanismus
, echte Belehrung und Erbauung der Gemeinde auf biblischer
Grundlage unter Beachtung der Tradition. - Hinsichtlich der erneuerten
Firmungsliturgie kommt der Vf. zum Schluß: W. möchte vermitteln
. Sein Anliegen: Rückkehr zum biblischen Ursprung in Wort und
Zeichen; wichtig erscheint, daß die Firmung „gemeindliche Liturgie"
darstellt (nicht: isolierter Akt des Bischofs). Dem Pfarrer kommt entscheidendes
Gewicht zu, bedeutsam ist vor allem die Gestaltung der
Feier. Der „Kultus" soll anziehen, erheben, begeistern. Dem Gesamturteil
des Vf. stimmt man gerne zu: W. hat [zwar] einen Prozeß angestoßen
-der freilich erst im 20. Jh. fruchtbar wurde.

Im dritten Beitrag untersucht Manfred Probst „Das .Deutsche
Ritual' von Ludwig Busch" (153-180), das 1803 vom genannten
Autor (1765-1822), damals Pfarrer in Erlangen, herausgegeben
wurde. Es erlebte zwei weitere Auflagen (1810; 1824) und fand weite
Verbreitung. B.s Ansatz ist pastoral im aufgeklärten Sinn. Liturgie sei
edel und einfach, entscheidende Bedeutung wird der Muttersprache
eingeräumt. - Die inhaltlichen Aspekte und das methodische Vorgehen
B.s werden an drei Beispielen vorgestellt. Hinsichtlich der Taufe
kommt der Vf. zum Schluß, daß B. zwar den Ablauf der (Bamberger)
Diözesanagende beachtet, aber inhaltlich verändert. Er steht hier am
Anfang einer Entwicklung und gehört zu denen, die den Mut hatten,
den Schritt „von der Theorie zur Praxis" zu tun (169). - Sachliche
Neuorientierung begegnet uns auch bei der Trauung. - Demgegenüber
wurde bei der Krankensalbung mehr in den traditionellen Ablauf eingegriffen
; hier verzichtet er auch auf Ansprachen und legt den Schwerpunkt
stärker auf das Gebet. Insgesamt kann B. als „Pionier" gelten,
der Neues organisch mit der Tradition verbinden wollte. Die als
„Anhang" u. a. beigegebenen „Vorreden" zum Rituale bekunden dies
in anschaulicher Weise.

Spannend sind die Ausführungen im letzten Teil des Sammelbandes
, in denen uns Hans Hollerweger mit dem Thema „Das
Rituale im Bereich des Josephinismus" bekanntmacht (181-199).
Denn: wie kommt es, „daß während der Regierungszeit Kaiser
Josephs U. (1765-1790) in Österreich jede nennenswerte Neuerung
beim Rituale unterbunden wurde, das Rituale Romanum als Richtschnur
galt und die Diözesanritualien bestimmend blieben" (190)?
Für die Zurückhaltung des sonst der Aufklärung so zugetanen Herrschers
legt der Vf. mehrere Gründe vor. Wie dem auch sei: Mit Rücksicht
auf die Staatsräson forderte er strenge Unterordnung. Die einzigen
positiven Beispiele liturgischer Erneuerung sind die Ritualien von
St. Pölten (1787) und Seckau (1789). Nach dem Tod des Kaisers blieb