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Ausgabe: | 1991 |
Spalte: | 150-151 |
Kategorie: | Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik |
Autor/Hrsg.: | Heitmeyer, Erika |
Titel/Untertitel: | Das Gesangbuch von Johann Leisentrit 1567 1991 |
Rezensent: | Jenny, Markus |
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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2
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Zu Recht wird aufgezeigt, daß die Homiletik im 19. Jh. in der Regel geben sich deutliche Gemeinsamkeiten zwischen der seelsorgerlichen
von prinzipiellen Aussagen ausging. Repräsentativ ist die Beschrei- und der missionarischen Predigt in der Sicht A. Husars. Ähnliches gilt
bung der gottesdienstlichen Gemeindepredigt von A. Schweizer: „Das für die Sprechaktbestimmung. Der Vf. zählt hier die annehmende, die
Homiletische erweitert sich also von der cultischen Wurzel aus durch werbende, die fordernde und die freilassende Predigt auf. Der kate-
das Pastorale zum Halieutischen" (22 und Anm. 100). Der Vf. zeigt chetische Aspekt wird freilich übergangen.
sodann auf, daß z. B. O. Baumgarten den pastoralen Kontext der Pre- A. Husar hat mit guten Gründen in seiner kenntnisreichen Arbeit
digt auch sozialkritisch erörtert und auf die negativen Folgen verwie- die Frage nach der Notwendigkeit und den Möglichkeiten der missio-
Sen hat. die aus der Praxis des „Essens mit den Reichen und Predigens narischen (bzw. evangelistischen) Predigt im Gottesdienst gestellt,
an die Armen" resultieren. Diese Frage sollte jedoch in Zukunft auch unter Bezug auf- gelungene
Das Problem bestand für die prinzipiell orientierte Homiletik des und mißlungene - Beispiele aus der neueren Predigtgeschichte entfalle
. Jh.s weithin darin, die Grundperspektiven zu benennen und ihre tet werden. Gerade bei dieser Fragestellung ist der Wechselbezug
Unterschiede hervorzuheben. Der prinzipielle Gegensatz zwischen zwischen Homiletik und Predigtpraxis notwendig. Er könnte zudem
der (grundlegenden) Missionspredigt und der (primär) darstellenden verdeutlichen, worin einerseits das Spezifikum heutiger missionari-
Gemeindearbeit entspricht diesem Denken. Der Vf. stellt zugleich scher Predigt und andererseits ihre Unterscheidung von der seelsor-
dar, daß z. B. Schleiermacher in bezug auf die Gemeindearbeit eine gerlichen Predigt besteht.
Vermittlung zwischen dem darstellenden und dem wirksamen bzw. Bonn Friedrich Wintzer
verbreitenden Handeln kennt. - Grundsätzlich war es das Verdienst
der Homiletik des 19. Jh.s, daß sie nicht nur von der Predigt, sondern
ebenfalls vom Gottesdienst her dachte und den Zweckrationalismus Praktische Theologie:
der späten Aufklärung hinter sich ließ. LiturgiewiSSenSChaft
rroDiematisch ist in der Arbeit von Husar allerdings die weitgehende
Gleichsetzung von Missionspredigt und missionarischer Predigt
. Beide Begriffe müßten stärker präzisiert werden. Der erstge- Heitmeyer, Erika. Das Gesangbuch von Johann Leisentrit 1567.
nannte Begriff ist in der Homiletik des 19 Jh s in der Reeel gezielt auf Adaption als Merkmal von Struktur und Genese früher deutscher
die m u Hom"etll< f 'X' „ Kegel gezielt am Gesangbuchlieder. St. Ottilien: EOS 1988. X, 256 S. m. Abb. gr. 8'.
u'e Missionssituation bezogen worden. Otto Baumgarten hat deshalb pp D^ 44 _
ln seinem (nicht genannten) Leitfaden der Homiletik (1899) das missionarische
Element der Gemeindepredigt unter dem Begriff der Dies ist die zweite Monographie über dieses hochbedeutende
Evangelistik erörtert und davon die Missionspredigt (im engeren Sinn) ' Gesangbuch. Vorausgegangen war 1964, als es die Faksimile-Ausgabe
unterschieden. dieser Quelle noch nicht gab, diejenige von Walther Lipphardt
Zu Wort kommen bei Husar auch die Bestreiter der Theorie und (SKBK 5). Beachtung verdient aber auch das 34seitige Nachwort
Praxis der darstellenden Predigt (Stier, Sickel und Christlieb). Ver- Lipphardts zur Faksimile-Ausgabe (St. Benno-Verlag GmbH Leipzig
dienstvoll ist die Deskription von Wicherns Forderung nach missic«- und Bärenreiter-Verlag Kassel usw. 1966). So hat die Vfn. nicht Neu-
nanscher Predigt, die auf Ansätzen einer empirisch ausgerichteten land zu betreten. Im Gegensatz zu Lipphardt behandelt sie nicht alle
Homiletik gründet. Wicherns Erwägungen über die Laienpredigt und drei Ausgaben dieses Gesangbuchs (1567, 1573, 1584), sondern nur
d'e Straßenpredigt sowie über das „Anklopfen an der Haustüre" sind die erste. Sie stellt bei Lipphardt „Fehler in Beschreibung und Wer-
s°n der offiziellen Kirche freilich kaum zur Kenntnis genommen wor- tung" (6) fest und verspricht „eine kritische Benutzung" dieser Arbeit,
den. Grundsätzlich plädiert der Vf. für eine Predigt, welche die Unter- Doch finde ich in dem ganzen Buch Lipphardt stets nur als Quelle für
Scheidungen kennt, und bezieht sich u.a. auf ein Zitat von Boos: von dort übernommene Angaben zitiert (Ausnahme: Anm. 212 auf
-Was dieVerkehrten nicht ärgert, das erbaut die Bekehrten nicht; was S. 96). Und gerade da, wo sich bei Lipphardt besonders viele Irrtümer
die Störrigen nicht stößt, erweckt die Schlummernden nicht; was finden, in der Auflistung der Illustrationen, finden sich solche auch
nicht tötet, macht nicht lebendig; was nicht einigen ein Geruch des bei Heitmeyer'.
Todes zum Tode ist, wird keiner frommen Seele ein Geruch des Nicht die besondere Stärke der Vfn. scheinen die bibliographischen
Lebens zum Leben sein . .." (Anm. 256) Belange zu sein, obwohl gerade hierin von einer Phil. I-Dissertation
Die Theorie der sog. modernen Predigt wird positiv bewertet. Der . volle Sachkompetenz zu erwarten wäre2. So bleibt denn auch die
^f- erkennt bei dieser Predigtbewegung das Bemühen, die der Kirche Beschreibung des Leisentritschen Gesangbuches (2-4 u. 58-74) sehr
Entfremdeten wieder zu erreichen, und hebt das Postulat der Wahr- summarisch und oberflächlich,
haftigkeit. das soziale Element, die psychologische Reflexion und die Die Forschungslage (5-10) hingegen wird umsichtig und treffend
situative Ausrichtung hervor. Gewürdigt wird auch Schians Plädoyer dargestellt. Ein besonders bedeutsames Kapitel ist die z. T. mit bisher
für die Erweckungs-und Entscheidungspredigt. unbekannten Dokumenten (mit Wiedergabe von fotografischen Ab-
Hinsichtlich der Predigtlehre der „dialektischen" Theologie legt lichtungen) arbeitende Darlegung der besonderen konfessions-
• Husar dar, daß bei dem kerygmatischen Ansatz die Unterschei- geschichtlichen Situation, in der sich Leisentrit bei der Veröffent-
dung zwischen Missions- und Gemeindepredigt stark relativiert lichung seines Gesangbuches befand (13-35 und 103-113). Hier wie
werde. Für den späten Barth ergibt sich freilich die Notwendigkeit der an vielen anderen Stellen zeigt sich die Vfn. als gutinformierte Histori-
Evangelisation neben der Gemeindepredigt. kerin mit starkem kirchengeschichtlichen Interesse und der für eine
In dem abschließenden (fünften) Kapitel wird die Forderung nach hymnologische Arbeit fast unabdingbaren theologischen Fachkennt-
e,ner missionarischen Orientierung der gottesdienstlichen Predigt in nis. Die- einschlägige Literatur wird in reichem Ausmaße herander
Homiletik der Gegenwart erörtert. Der Vf. knüpft an M. Doernes gezogen.
Gedanken über das diakonische Bewegungsgesetz der Predigt an; Die hundert Seiten 114-213 sind der im Titel der Arbeit angekün-
gemäß der göttlichen Zuwendung soll der Prediger den „wirklichen digten Untersuchung gewidmet. Diese erstreckt sich auf neun Texte,
Renschen" suchen. Die missionarisch orientierte Predigt wird des- nämlich zwei von Luther (Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort,
halb als eine homiletische Grundform aufgefaßt. Die Verkündigung 116-134, und Ach Gott, vom Himmel sieh darein, 143-162), je eins
des schenkenden und fordernden Willens Gottes und der Ruf zur von Valentin Triller und Michael Weiße und eines aus der mittelalter-
^letanoia werden als Einheit angesehen. liehen Überlieferung, das sowohl von Luther wie von Michael Vehe in
Schließlich fordert der Vf. die Partizipation des Predigers am seinem ersten katholischen Gesangbuch von 1537 adaptiert worden
••Geschick" der Gottesdienstteilnehmer sowie eine konkrete und ist (Gott sei gelobet und gebenedeiet. 172-187). Hinzukommen drei
gemeindenahe. ..schichtenübergreifende" Rede. Grundsätzlich er- Eigenschöpfungen Leisentrits: eine Psalmbearbeitung, ein sich am