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Ausgabe:

1991

Spalte:

130

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Abschnitt 280 bis 351 1991

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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129

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2

130

Schriften der sächsischen Theologen Paulus Amnicola, Hieronymus
Emser und Petrus Sylvius. Eine weitere Engführung liegt vor, wenn
der Hg. Schatzgeyers Schrift gegen Luther gerichtet sieht. Dem
Wittenberger Reformator wurde längst durch weitere reformatorische
Publikationen zum Thema assistiert, als Schatzgeyer Tür das altgläubige
Freiheitsverständnis zur Feder griff. 1522 trat Zwingli mit
dem Stichwort Freiheit in die Arena der Publizisten. Vor allem aber
erschien im gleichen Jahr die Flugschrift von Schatzgeyers ehemaligem
Ulmer Ordensbruder Johann Eberlien von Günzburg „Vom
Mißbrauch christlicher Freiheit", in der das Freiheitsverständnis von
der Rechtfertigungslehre her entwickelt wird. In der Kurzbiographie
w'rd zwar erwähnt, daß Schatzgeyer gegen Eberlins lutherische Predigt
in Ulm einschritt, auf Eberlins Schrift wird aber nicht Bezug genommen
(VIII). Der größere Umkreis der Thematik findet seinen
Niederschlag nur in der allgemeinen Vermutung, daß Schatzgeyer
--sicher nicht nur Luthers Freiheitsschrift im Blick" habe, „sondern
v°r allem Meinungen und Bestrebungen, die von dieser Schrift
Luthers ausgelöst wurden und da und dort laut wurden" (XXIII). Der
Hg. weist nach, daß Schatzgeyer seine Freiheitskonzeption schon in
seiner ersten kontroverstheologischen Veröffentlichung „Scrutinium"
(1522) ansatzweise im Zusammenhang mit der Taufe vorgetragen hat
U.Stufe: Vertreibung der Erbsünde, wenn auch nicht vollständig.
2. Stufe: Freiheit vom Gesetz. 3. Stufe: Freiheit des Geistes). In ähnlicher
Weise ist diese Konzeption in weiteren Schriften Schatzgeyers
gegenwärtig.

Die vorliegende Neuausgabe bietet die deutsche und die lateinische
Fassung in Paralleldruck. Schatzgeyer zitiert keine zeitgenössischen
Autoren. Er argumentiert vor allem bibelorientiert und beruft sich auf
die Tradition der Kirchenväter. Seinen Übersetzungen von Bibelstellen
legt er die Vulgata zugrunde. Der Hg. ist überzeugt, daß Schatzgeyer
keine der bekannten Übersetzungen benutzt hat (XXIII). Das
ware genauer zu prüfen. Es finden sich nicht nur Stellen wie Matth.
23,23: die bachmyntzen, anystylle unnd kümmel" (110), sondern
auch solche wie Matth. 22,17: „Gebt dem Kayser, was des Kaysers ist
unnd Gott, was Gottes ist" (102) oder Eph. 2,19: „mitburger der
neyligen unnd haußgenossen Gottes" (96). Weitere Hinweise zur
sprachlichen Gestaltung (Joseph Lortz hatte Schatzgeyer einst eines
-fürchterlichen Küchenlateins" bezichtigt) erhält der Benutzer der
Ausgabe nicht. Es fehlen leider auch Erläuterungen zu schwerverständlichen
frühneuhochdeutschen Wörtern, z. B. „herayschung"
'82), „monsieche fraw" (112). Hier hilft allerdings in der Regel ein
Bück auf die lateinische Fassung. Auch sonst hätte man sich in der
Einleitung den einen oder anderen Hinweis zum Sprachgebrauch gewünscht
. Es fällt beispielsweise im deutschen Text das relativ häufige
Vorkommen von „bürgerlich" (28, 30, 58 u. ö.) auf. Anklänge an die
mystische Erbauungsliteratur (16: gleichförmig; 18: gottförmig) sind
ebenfalls zu bemerken. Insgesamt hat Schatzgeyers Schrift allerdings
n'cht das Gepräge einer Erbauungsschrift. In ihrer argumentiven Anlage
und ihrer starken Durchgliederung, ihren drei Teilen (6: „in wem
die Christlich freiheit stee"; „durch was sy hye vollendet wirt"; „von
wem jr Reych angefochten wirt"), die wiederum untergliedert sind in
10 bzw. 2 Lehren und 20 Irrtümern sowie weiteren Differenzierungen
•st sie unübersehbar der gelehrten scholastischen Tradition verpflichtet
. Der wohltuende irenische Duktus der Darlegungen kann die
fehlende Volkstümlichkeit nicht ersetzen. Das gestand sich auch
Lortz ein, der Schatzgeyer „besonders sympathisch" fand und ihn als
echten Jünger des hl. Franz bezeichnete, um dann zu urteilen: „Zur
Unzeit kam er, das ist gewiß" (Die Reformation in Deutschland.
Bd- 2. Freiburg 1964, 163f)- Auch der Hg., der als Anhang Schatz-
Beyers im gleichen Geist verfaßten Aufruf an seine Ordensbrüder, ihre
Regel im Geist der evangelischen Freiheit zu leben, abdruckt (1310,
muß zugeben: „Von der Wirkung dieser Schrift ist nichts bekannt"
(XXIV). Der situativen Begründung für die neue Edition (s. o.) ist
somit zugleich ihr Maß gesetzt.

Die Exemplarnachweise zu den Drucken sind mit Sicherheit er-
ganzungsfähig. So sind z. B. beide lateinische Ausgaben (1525 und

1527) in der Universitätsbibliothek Leipzig vorhanden, die von 1525
außerdem in der Folger Shakespeare Library in Washington.

Berlin Siegfried Bräuer

Dahlmann-Waitz: Quellenkunde der Deutschen Geschichte. Bibliographie
der Quellen und der Literatur zur Deutschen Geschichte.
10. Aufl. unter Mitwirk, zahlr. Gelehrter hg. im Max-Planck-
Institut für Geschichte von H. Heimpel u. H. Geuss. Lfg. 59-64:
Abschnitt 280-Abschnitt 333 (Anfang). Stuttgart: Hiersemann
1988/89/90.4 Kart, je DM 52,-.

Über die Lieferungen der Jahre 1986/87 hatte ThLZ 114 (1989) berichtet
(2000- Die neuen 6 Lieferungen setzen zunächst zusammenhängend
Buch 5 fort: „Reformation und Konfessionskriege". Abschnitt
292 b „Sprachgeschichte und Sprachgeographie" bringt Literatur
über Martin Luther (Nr. 31-53). Abschnitt 297 „Wirtschaft"
hat den Unterabschnitt „Religion und Wirtschaft - Wirtschaftsethik".
Abschnitt 299 „Recht und Staat" nennt Literatur über Luthers Stellung
zu Recht, Staat und Obrigkeit sowie zum Krieg (Nr. 142-168).
Ihm folgen Melanchthon, Müntzer und Täufer, Zwingli, Bucer,
Calvin, Oldendorp sowie reformierte und katholische Staatstheoretiker
(169-271). Mit Abschnitt 313 beginnt Buch 6: „Das Reich,
Österreich und Preußen 1648-1792". Abschnitt 316 „Geschichte des
Geschichtsdenkens und der Geschichtsschreibung" enthält die Unterabschnitte
„Kirchengeschichte", „Geschichte an Universitäten und
Akademien" sowie „Einzelne Geschichtsdenker und Geschichtsschreiber
", unter denen auch Gottfried Arnold (Nr. 39), Hamann (Nr.
45), Herder (Nr. 46), Kant (Nr. 48), Löscher (Nr. 53), Pufendorf (Nr.
56) und Zinzendorf (Nr. 65) aufgenommen wurden. Aus Abschnitt
330 „Volkstum" seien die Teile „Religiöse Volkskultur" (Nr. 30-95)
und „Volksglaube und Aberglaube" (Nr. 96-163) besonders genannt.
Abschnitt 333 „Wirtschaft" bringt auch Hinweise zum Thema
„Pietismus und Wirtschaft" (Nr. 158-164).

G. H.

Dogmen- und Theologiegeschichte

Eberlein, Hermann-Peter: Theologie als Scheitern? Franz Overbecks
Geschichte mit der Geschichte. Essen: Die Blaue Eule 1989. 320 S.
8° = Theologie in der Blauen Eule, 3. Kart. DM 56,-.

Franz Overbeck, der Basler Kirchenhistoriker und Nietzsche-
Freund, ist ein Agnostiker und Skeptiker gewesen; von allem Kirchenglauben
hatte er sich frühzeitig abgewendet. Dieser Befund war
spätestens seit 1941, als Eberhard Vischer Overbecks „Selbstbekenntnisse
" herausgab, unbestreitbar; darauffolgende Quellenforschung am
Basler Overbeck-Nachlaß hat den Befund bestätigt und detailliert.

Mit Recht hält sich Eberlein in der vorliegenden, in Heidelberg entstandenen
Dissertation nicht mit dem Widerspruch auf, der sporadisch
gegen den Konsens der Forschung aufgetaucht ist. Statt dessen
ermöglicht er es dem Leser, durch glücklich ausgewählte Stücke aus
Overbecks privatem „Kirchenlexicon", die er im Anhang (235-302)
diplomatisch genau abdruckt, über die skeptische Stellung Overbecks
dem Christentum gegenüber völlig ins klare zu kommen. Hier und da
wäre zum historischen Verständnis der Texte freilich eine kurze
Kommentierung erwünscht gewesen.

Der Vf. möchte die Lebensgeschichte Overbecks als „Lebensgeschichte
einer ,antitheologischen Existenz'" auffassen (15), deren
Betrachtung der Theologie zum Segen gereichen könne. Overbeck -
dies die These des Buches - sei zwar durchweg als „gescheiterter
Theologe" zu verstehen, aber mit Ortega y Gasset sei solches Scheitern
bzw. solcher Schiffbruch als ein geläufiger Lebensvorgang anzusehen
. „Die Gedanken Scheiternder" seien nicht erledigte, sondern
gerade fruchtbare Gedanken.