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Ausgabe:

1991

Spalte:

128-130

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schatzgeyer, Kaspar

Titel/Untertitel:

Von der waren christlichen und evangelischen Freyheit 1991

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2

128

Heijting, W.: De Catechismi en Confessies in de Nederlandse Refor-
matie tot 1585. 1: Tekst. 2: Afbeeldingen en registers. Nieuwkoop:
de Graaf 1989. IX, 413 S.; V, 380 S. gr. 8* = Bibliotheca Biblio-
graphica Neerlandica, XXVII, 112. Lw. hfl 250.-.

Die vorliegende Arbeit ist die Amsterdamer Doktoral-Dissertation
eines niederländischen Literatur- und Bibliographie-Wissenschaftlers
, der seine Arbeit auch als einen Beitrag zur Kirchengeschichte gewertet
sehen möchte. Das Buch möchte die Wucht reformatorischer
Katechismen und Bekenntnisschriften in der ersten kreativen Periode
der Reformation unter bibliographischem Gesichtspunkt beschreiben
, d. h. die Geschichte der Bücherproduktion in diesem Zeitraum
als Beitrag zum Verständnis der Kulturgeschichte des Reformationszeitalters
in den Niederlanden verstanden wissen. Die zeitliche und
räumliche Begrenzung der Arbeit ist evident, aber motiviert: besagte
Periode ist die kreative Periode der Reformation, die zugleich ihre
Bücherproduktion unter den erschwerenden Umständen von Verfolgung
und Anfeindung vornehmen mußte.

Bibliographie oder Bibliologie meint hier nicht die Beschaffung von
Literatur zu irgendeinem Thema, sondern das selbständige Studium
der Bücherproduktion in all ihren Aspekten als Hilfswissenschaft der
(in diesem Fall: Kirchen-) Geschichte. Der Vf. orientiert dabei seine
Leser über die verschiedenen Methoden der kontemporären Bibliologie
: die französische Konzeption, die das Buch primär als Faktor der
Geschichte untersucht, und die angelsächsische Methode der "new
bibliography", die sich mehr auf die Analyse des Buches als materiales
Objekt konzentriert. In dieser Arbeit sollen beide Methoden integriert
auf besagte Periode angewandt werden.

Das Ergebnis der Arbeit ist ein umfangreiches, zweibändiges Buch,
das sich nur bis zu S. 100 des ersten Bandes kursorisch lesen läßt und
im übrigen nur kommentierte Dokumentationen zu allen Einzelbüchern
enthält. Als solches ist es ein eigensinniges hybrides Produkt,
das in einem ungeheuren Kärrner- und Ameisenfleiß zusammengestellt
worden ist und außerhalb eines kleinen Spezialistenkreises
kaum Leser finden wird, aber dem trotzdem eine gewisse kirchenhistorische
und systematisch erhellende Funktion nicht aberkannt
werden kann.

Der systematisch-theologisch orientierte Rez. muß gestehen, das
Buch mit einer gewissen theologischen Neugier angeschaut zu haben.
Ist doch der Systematiker, der innerhalb einer bestimmten Tradition
sein Lehramt ausübt, vor allem auf einige autoritative, kirchlichrezipierte
Texte von Katechismen und Bekenntnisschriften angewiesen
, die innerhalb einer bestimmten Konfession als Grundlage von
Lehre und Bekenntnis heute ihre Funktion ausüben. Dadurch mag er
geneigt sein, alles sonstige Material, das in einer üppigen Produktion
entstanden ist, automatisch aus seiner Aufmerksamkeit auszublenden
. Aber der vorliegende Band verrät manches, was nicht übersehen
werden kann: das Leben des Glaubens ist nicht an erster Stelle das,
was sich auf offizieller, autorisierter Ebene abspielt, sondern das, was
die Vermittlung mit den viel breiteren Schichten des Volkes sucht,
welches der Glaube begleiten, erziehen und ernähren möchte - und
zwar auch mit den Mitteln des gedruckten Buches. Die Trockenheit
der Aufzählung und Beschreibung der großen Menge von Katechismen
und Bekenntnisschriften, ihren verschiedenen Druckauflagen
und Editionen dokumentiert zugleich die Lebendigkeit des
Glaubens, der in seinem Fragen nach diesem und jenem Buch deren
Produktion erst ermöglicht hat.

Den Heidelberger Katechismus dogmatisch und strukturell zu studieren
ist eines, aber wer wußte, daß es in der besagten, relativ kurzen
Periode und in diesem begrenzten geographischen Raum 61 niederländische
Ausgaben dieses Katechismus gab, die alle hier beschrieben
und kommentiert werden? Daneben gibt es die große Menge nicht
„autorisierter" Katechismen und Bekenntnisschriften. Interessant
dabei ist, daß der Vf. darlegt, daß diese beileibe nicht alle polemisch,
sondern auch oft transkonfessionell wirken möchten, sowohl unter
den verschiedenen Strömungen der Reformation wie auch zwischen

der reformatorischen Bewegung und Rom. Besagtes geographisches
Gebiet ist auch der Mutterboden der erasmianisch gefärbten Vermittlungstheologie
.

Analysiert werden Texte von Katechismen und Bekenntnisschriften
(die Gattungen sind öfters nur schwer unterscheidbar) lutherischer
oder reformierter Herkunft, aber auch solche der radikalen Reformation
.

Neben Texten finden in dieser Untersuchung auch Titelseiten (alle
im zweiten Band fotografisch reproduziert!), Präfationen und Einleitungen
Beachtung. Der Vf. korreliert die Jahre der Veröffentlichung
mit den besonderen kirchenhistorischen Charakteristika dieses halben
Jh., das wieder in fünf Perioden unterschieden wird. Behandelt werden
auch die Drucker, ihre weltanschauliche und konfessionelle Gesinnung
, wobei das Wagnis aufgezeigt wird, das sie mit einer Ausgabe
eingingen, oder auch ihre rein kommerziellen Motive dargelegt werden
, die über alle konfessionellen Erwägungen die Überhand gewannen
. Bearbeiter und Übersetzer werden erwähnt, bestimmte Kategorien
von Lesern und Zielgruppen analysiert und der Rezeptionsprozeß
beschrieben. Die historischen Spezialisten werden alle auf ihre
Kosten kommen und vielleicht auch manches zu bestimmten Details
zu bemerken haben.

Es wäre jedoch gut, wenn auch Systematiker und praktische
Theologen eine solche Arbeit anschauen würden: wie der offizielle
Glaube und die offizielle Kirchengeschichte hier in der kleinen
Münze der Bücherproduktion ausgezahlt wird und man am Ende
nicht mehr weiß, wo es sich nun wirklich um großen Glauben und die
„große" Kirchengeschichte handelt. Eine würdige, aber lehrreiche Erfahrung
!

Genf Adriaan Geense

Schatzgeyer, Kasper: Von der waren Christlichen und Evangelischen
freyheit. De vera libertate evangelica. Hg. u. eingeleitet von P. Schäfer
. Münster/W.: Aschendorff 1987. XXVIII, 136 S., 2 Abb. gr. 8" =
CorpusCatholicorum, 40. geb. DM 42,-.

„In unseren Tagen, da von Freiheit, Befreiung und Befreiungstheologie
viel die Rede ist, kann diese Schrift wieder Beachtung finden
" (V), so begründet der Hg. den Neudruck, den ersten seit der Aufnahme
in Schatzgeyers Werkausgabe von 1543. Vorher hatte die
deutsche Fassung eine Ausgabe (1524 bei HansSchobser in München)
erfahren. Die lateinische Ausgabe erschien 1525 und noch einmal
1527 bei Ulrich Morhart in Tübingen. In der Einleitung bringt der Hg.
eine Kurzbiographie in Form einer Zeittafel (VII f.), eine ausführliche
Information über die Editionsgrundsätze (IXf.), die bibliographische
Beschreibung der Drucke (XI-X1II, eine Angabe über die Druckvorlage
der lateinischen Fassung fehlt), eine Darstellung zur Entstehung
der Schrift (XV-XXIV), Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
(XXV-XXVIII) sowie die Abbildungen der Titelblätter der
Drucke von 1524 und 1525 (XXIX, XXXI).

Bei seiner inhaltlichen Darstellung skizziert der Hg. zunächst
Luthers Anliegen im Freiheitstraktat von 1520 und weist daraufhin,
daß „außer Schatzgeyer kaum Theologen geantwortet" haben, ja daß
sich das Stichwort „Freiheit" kaum in den Titeln zeitgenössischer
kontroverstheologischer Schriften findet (XVI). Er stellt die wenigen
Titel und Äußerungen zusammen, die fast nur späteren Jahren entstammen
. Ergänzt werden können diese Angaben durch den Hinweis
auf den handschriftlichen lateinischen Traktat des Franziskaners
Bernhard Dappen in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
(Cod. Guelf. 1095 Heimst.). Die Feststellung des Hg.s, die altgläubigen
Kontroverstheologen hätten „das Thema von Luthers Freiheitsschrift
kaum aufgegriffen" (V), bedarf weiterer Eingrenzung. Luthers
Äußerungen zum Freiheitsverständnis sind in der frühen antirefor-
matorischen Polemik sehr wohl gegenwärtig gewesen, in Thomas
Murners „Von dem großen Lutherischen Narren" (vgl. die Kap. „Das
reissig fenlein" und „Das baner der freiheit") genauso wie in den