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Ausgabe:

1991

Spalte:

101-103

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Le Traité Tripartite 1991

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 2

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macht auf den Übergang des Menschen vom Sammler und Aasesser ständlichen nehmen rasant ab. Erst T. vermag für viele der verbliebe-

zum Großwildjäger und damit zum Raubtier aufmerksam, das Töten nen Text- und Interpretationsprobleme evidente Lösungen anzu-

eines großen Tieres müsse der Mensch als „kulturelle" Handlung er- bieten.

lernen, damit gewinnt er auch die Fähigkeit, den Mitmenschen zu E. Thomassen, ein Norweger, hat an der University of St. Andrews,

töten. Hunger hat den Menschen nicht zu diesem Schritt gezwungen, Scotland.bei R. McL. Wilson (also einem der Mitherausgeber der editio

ändern die Faszination, sich des Großen, Vitalen bemächtigen zu prineeps von TractTrip [vgl. zu dieser in dieser Zeitung Jg. 104, 1979,

können-eine Usurpation des Göttlichen, wie sie aus anderem Milieu 661 fj) promoviert. Und es ist eben diese seine Dissertation von 1982

die biblischen Sündenfallgeschichten darstellen. Der Vf. interpretiert ("The Tripartite Tractate from Nag Hammadi. A new Translation with

Höhlenbilder, spricht dabei von der Verknüpfung von Sexualität und Introduction and Commentary"), die die Grundlage von BCNH 19 bil-

Jagd. In dieser aggressiven Welt vollziehen sich Opferrituale, die gött- det. Mit dem TractTrip ist T.s Wahl tatsächlich auf einen bedeutenden

liehe Tötungsmacht erscheint als Schrecken, als Stier, als El. Die Gegenstand gefallen: die einzig vorhandene, originale und ausführliche

biblische Gottesoffenbarung ist die Geschichte einer Wandlung: von Darlegung des valentinianischen Systems der Gnosis, und zwar zudem

der schrecklichen Tötungsmacht zum mütterlich-liebenden Vater. noch in der sonst überhaupt nicht belegten Ausprägung, die es in der

Die Wahrheit der Bibel sei eben diese Geschichte, jeder von uns müsse. sog. orientalischen Schule gewonnen hat, wie T. als erster gesehen und

diesen Weg für sich selbst gehen, mit der bloßen Mitteilung des Endes, m. E. überzeugend begründet hat. Der springende Punkt dabei ist die

Gott als Abba-Liebe. sei uns nicht gedient. Auffassung, daß die Kirche und der Leib des Erlösers rein pneumatisch

Religionsgeschichtlich ist die Sicht dieses Buches eindrücklich und sind. Und das Schöne ist nun, daß die besondere Problematik des
außerordentlich anregend. Der Versuch, trinitarische Symbole zu deu- TractTrip der besonderen Kompetenz von T. entspricht, Text und Beten
, ist nicht nur katechetisch fruchtbar. Die Interpretation des jesuani- arbeiter also wie für einander geschaffen erscheinen, insofern als T. soschen
Abba als Papa-Mama geht über die Grenze dessen hinaus, was wohl über die „höheren Weihen" koptischer Linguistik als auch über
das Aramäische trägt, auch über die des Geschmacks (der „sapientia"). eine profunde Sachkenntnis der spätantiken Philosophie verfügt.
Nicht einmal der Luciani-Papst ersetzt die Wörter Vater und Mutter. Um eine wirklich „einfache" Übernahme dieser Dissertation in die
Allenfalls die Unangefochtenheit eines ganz Glücklichen oder die Rede BCNH handelt es sich freilich doch nicht. Zunächst einmal ist die
emes heiligen Narren (wie im alten Rußland) dürfte sich eines solchen direkte Vorlage für die Umsetzung in das andere Medium keineswegs
Lall Wortes bedienen können. Sonst läßt das Bild des hilflosen Säuglings diese Dissertation selbst, sondern eine erheblich überarbeitete und er-
50 viel an menschlicher Erfahrung unerfaßt. daß auch das entspre- gänzte Fassung derselben. Und dann sind der koptische Text (der in
ehende Gottesbild zu blaß bleibt. Der Säugling geht z. B. nicht weg vom der Dissertation nicht enthalten war) und das sprachliche Register
Vaterhaus, er weiß nicht, daß der Vater sein Erzeuger ist. ganz neu hinzugekommen. Daß schließlich die Transponierung aus

Daß die Übersetzung „Wind". „Hauch", „Atem" für spiritus sanetus dem Englischen in das Französische auch kein einfacher Überset-
symbolisch-meditativ und katechetisch fruchtbar ist, trifft zu. Wihan zungsvorgang sein konnte, und überhaupt über die komplizierten Pro-
atum, Weiheatem ist eine der beiden althochdeutschen Übersetzungen. zesse und Zuständigkeiten bei der Entstehung des Bandes wird im
Sehreiben die Germanisten diese Übersetzung nicht mehr den Iroschot- Vorwort (VII f) einiges gesagt. Das Ergebnis ist jedenfalls (äußerlich)
ten zu und die uns geläufige der Bonifatius-Mission, die sich kirchen- eine Gestalt, wie sie dem einheitlichen Schema der Reihe entspricht.
Politisch damals durchgesetzt hat? Die Übersetzung „Geist" ist aber nämlich Introduction (1-48), Texte et traduetion (beides codexseiten-
*e'n „Fehler", denn die etymologische Verwandtschaft mit dem Ge- und zeilengetreu einander gegenüberstehend) (49-259), Commentaire
spenstischen ist unbetont, das aufbrausend Ekstatische, Berauschende (260-458), Index (459-533).

kennt schon die Pfingstgeschichte. Bertaux meint in seinem Hölderlin- In der Introduction findet sich auch - sozusagen als Resümee der
ouch. daß für Hölderlin und Hegel die sinnliche Wurzel von Geist als sonst meist hinter der Bearbeitung stehenden sprachlichen Analyse
Aufschäumendes noch ganz deutlich war. des Textes - ein instruktiver und hilfreicher Abschnitt über die
'n drei großen Kapiteln bringt der Vf. die christliche Trinitäts- Sprache von TractTrip (21-38). Was darin - und auch in manchen
erfahrung in den Zusammenhang von Mythen, Märchen und Reli- einschlägigen Bemerkungen des Kommentars - steht, ist von aller-
gionen - er stellt das Kind als Gottessymbol dar, den Wind und Atem größtem sachlichen Gewicht. Denn der Fortschritt im Verständnis des
""d schließlich Vater und Mutter. Abbildungen und Anmerkungen TractTrip geht nur über die subtilste linguistische Analyse der Fortlegen
und beleben dem Leser die Erkenntnis. men, Wendungen und Sätze. Die große Linie, bzw. das System, des
Auf den Seiten 24. 100, 185, 214, 297, 302, 430 blieben leicht er- Textes waren ja von vornherein klar; nur, wovon im einzelnen die
kennbare Druckfehler stehen. Rede ist, bleibt oft so frustrierend dunkel. Nun ist aber solch sprach-
Rosto^ Petcr Heidrich üche Analyse auch wieder besonders schwierig, weil das Koptisch dos

TractTrip gar nicht wie richtiges Koptisch aussieht. Aber - wie T.
zeigt - ist es dennoch weithin möglich, die Sprache des TractTrip zu

Thoma«™ c i t , ,„„,,, t . uu"., „dechiffrieren", weil „Orthographie" und Sprache nicht dasselbe sind

'""nassen. Einar: Le Tratte Tripartite (NH 1,5). Texte etabli. intro- , ,. „ . ,. . . . _ ...

h,,;, __.. _ . . , „ . , , . r t-, - und unter diesem Gesichtspunkt wird ein Text wie dieser nun

uuu et commente. Traduit par L. Painchaud et E. Thomassen. .

Quebec: Les Presses de fUniversite Laval 1989. XVIII, 535 S. gr. 8" sprachwissenschaftlich geradezu interessant. Uberraschend und über

= Bibliotheque Copte de Nag Hammadi. Section „Textes", 19. die Erwartungen hinausgehend in diesem Abschnitt ist die Deutung

einer ganzen Reihe von Konjugationsformen als Relativa der zweiten

'm Rahmen des kanadisch-französischen Unternehmens der Tempora (Präs., Fut., Perf.) (26-28)-mir erscheint das allerdings nur

'oliotheque Copte de Nag Hammadi (= BCNH) stellt das vorliegende erwägenswert im Fall der (von Polotsky sogenannten) "Split Adjective

erk in dreierlei Hinsicht etwas ganz Besonderes dar. Erstens ist hier Clause" - und die - m. E. voll überzeugende und exegetisch evidente

'e schon vorhandene Arbeit eines „Fremden", d.h. eines nicht (vgl. besonders 113)-Identifizierung eines Satzmusters, das aussieht

■^nzösisch-sprachigen Wissenschaftlers, einfach übernommen wor- wie eine adjektivische Clcft Sentence mit adverbieller (statt nomi-

den. Zweitens zeugt dieser Band - abgesehen von ganz wenigen Din- naler) vedette bzw. wie eine substantivische Cleft Sentence. in der-bei

8en. die wirklich nur als Kleinigkeiten einzustufen sind - von aller- Voranstellung der vedette - noch das Element p(e) zwischen diese und

größter wissenschaftlicher und drucktechnischer Akribie. Und drit- die glase tritt (360- Die neuen Kategorien des kurzen Konditionals

'ens beschränkt er sich nicht darauf, den gegenwärtigen Stand der For- (etwa im Falle von efjitj [vgl. 36 und I08f]) und des kurzen Fut. III

schung zu konservieren, sondern leistet selbst einen ganz gewichtigen (etwa für estntons [190]) bringt T. dagegen noch nicht in Ansatz.

orschungsbeitrag. Das Dunkel um den Tractatus Tripartitus Die (Neu-)Edition des koptischen Textes (nebst Übersetzung) ist es.

'-TractTrip) lichtet sich; die weißen Flecken des scheinbar Unver- die besonders von der intensiven, bis in die Zeit der Arbeit an der Dis-