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1991

Kategorie:

Kirchenrecht

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 12

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Zwischen der, eine erste Periode der Kanonistik abschließenden
Sammlung des kanonischen Rechtsstoffes durch Magister
Gratian (+ 1180) im Decretum Gratiani und der Entstehung der
weiteren Teilsammlungen des Corpus Iuris Canonici liegt eine
Periode erster kirchenrechtlicher Klassik, welche sich mit der Bearbeitung
des Dekrets ebenso wie mit der Durchdringung des
Rechtsstoffes der späteren päpstlichen Dekretalen befaßte. Einen
bedeutenden Anteil an dieser wissenschaftlichen Lehr- und Ordnungsarbeit
hatten Fragen des kirchlichen Eherechtes, welche ja
auch die Praxis ebenso wie die päpstliche Rechtssetzung beschäftigen
. Magister Honorius, ein Kleriker aus der anglo-normanni-
schen Kirchenrechtsschule, war in der Wendezeit vom zwölften
zum dreizehnten Jh. ein bedeutender, aber leider später in ziemliche
Vergessenheit geratener Vertreter dieser kirchenrechtlichen
Periode. Das anzuzeigende Werk, Überarb. Fassung einer bei Rudolf
Weigand geschriebenen Würzburger kath. theologischen
Dissertation von 1982 macht Magister Honorius wieder in wichtigen
Bereichen seiner Arbeit zugänglich. Dadurch tritt eine
interessante wissenschaftliche Vorstufe des heutigen kirchlichen
Eherechtsdenkens deutlicher in den Blick. Die verdienstvolle Bemühung
dieser Arbeit erweckt zugleich den Wunsch, sie auch in
den verständlicherweise zunächst noch ausgesparten Bereichen
weitergeführt zu sehen.

Honorius, der in den üblichen theologischen Lexika gar nicht
erst auftaucht und auf den S. Kuttner und K. Weigand wieder
aufmerksam machten (XVI u. XVIII, 50, liegt bis heute als Persönlichkeit
in ziemlichem Dunkel. Der Vf. setzt von ihm, dessen
Geburt ebenso wie sein Tod im Dunkel liegen, unter Heranziehung
vieler Einzelbelege ein umrißhaftes Bild zusammen (2ff).
Ein Kleriker aus Kent, lehrt er zunächst in Paris und dann in England
Kirchenrecht, wird Offizial und später Archidiakon von
Richmond, was ihm langwierigen Streit und einen schließlich erfolgreichen
römischen Prozeß einbringt. Die letzte urkundliche
Nachricht jedoch besagt, daß Honorius aller seiner Besitztümer
entledigt und ins Gefängnis geworfen worden sei. Wahrscheinlich
vermutet der Vf. richtig, wenn er angesichts der vorausgegangenen
kirchenpolitischen Kämpfe annimmt, daß letztlich der Erfolg
seines langen Rechtsstreits auch die Ursache seines Todes
geworden ist (4).

Handschriftlich erhalten sind von Honorius seine, wohl aus
dem Rechtsunterricht hervorgegangene „Summa decretalium
questionum" und seine umfangreiche „Summa de iure canonico
tractaturus", die sich inhaltlich teilweise berühren und auf den
Zeitraum von etwa 1185-1188 datieren lassen (5-9). Der eherechtliche
Teil der „Summa Questionum" wird in dem Anhang
des Werkes, welcher mehr als ein Drittel seines Umfangs ausmacht
(218-387) vom Vf. ediert und in den unterschiedlichen
Lesarten dargestellt. Dies geschieht auf der Grundlage von
Kopien bzw. Mikrofilmen von fünf der bekannten sieben Handschriften
; von den nicht herangezogenen ist die eine unvollständig
, die andere aus der früheren Königsberger Universitätsbibliothek
stammende noch nicht wieder aufgetaucht (219f). Die
Überlieferung der benutzten Handschriften ist nicht ganz einheitlich
; der Vf. konnte noch keine Leithandschrift ermitteln,
sondern nur von Fall zu Fall die wahrscheinlichste Lesart herausstellen
(2280-

Der eherechtliche Teil der Questionensumme macht nur ein
Drittel des Gesamtumfanges, nämlich dessen Schlußteil aus (219).
Angesichts der teilweisen Umstellung der Abschnitte in den herangezogenen
Handschriften folgt der Vf. derjenigen Fassung, welche
auch der gratianischen Reihenfolge entspricht (228f).

Die wiedergegebenen Titel behandeln demgemäß nacheinander die Fragen
I. desponsalibus(231ff), II. de matrimonioet eoniugatis(242ff). III. de
sponsis (264ff), IV. de diuortiis (279fT), V: de impedimentis matrimonii
(297ff), VI: de dispari cultu (316ff), VII. de errore (334fT), VIII. de spiri-
tuali cognatione (349fT), IX. de legali cognatione (373fT) und schließlich X.
de consanguinitate (375-386).

Honorius setzt sich in der Einleitung zum eherechtlichen lei
selbst das Ziel, die auf die Ehe bezüglichen Zweifelsfragen urw
Probleme kurz zusammengefaßt zu berühren („questiones matrimoniales
et dubitabilia que circa matrimonium proponi possunt
continentes breuiter perstringamus", S. 7 Anm. 32). Darin sieh*
der Vf. die Schaffung eines neuen Literaturtyps durch die Verbindung
von systematischer Summe und dialektischer Technik der
Questionen (70- Im lateinischen Text sieht das dann so aus. dal3
meist mit einem „Queritur" das Problem einleitend beschrieben
wird; dann folgen absatzweise mit „videtur ... et videtur .••
kurzgefaßte Argumente für die eine, mit „econtra ... item •••
ebensolche für die gegenteilige Lösungsmöglichkeit. Abschließend
skizziert die „Solutio" den Lösungsvorschlag des Honorius
.

Statt einer, für den fachkundigen Leser ja auch entbehrlichen
Übersetzung bringt der Vf. nach seiner Einleitung eine ausführliche
systematische Darlegung der Ehelehre des Honorius - sowohl
nach der Questionen wie nach der Dekretsumme -, wobei er auch
auf die Rechtsauffassungen anderer zeitgenössischer Kanonisten
eingeht und ausführliche Belege in den Anmerkungen liefert. Behandelt
werden nacheinander die Lehre vom Verlöbnis (lOfO-
über die Ehe und die Verheirateten (27ff) und über die Ehehindernisse
(107ff) sowie eine Schlußbemerkung (205). Auch über
die, vom Vf. selbst als noch weiterer Untersuchung bedürftig bezeichneten
speziellen Honorius-Probleme (205) hinaus, ergeben
sich dabei teilweise auch in allgemeinerer Betrachtung recht
interessante Ergebnisse. So analysiert der Vf. die zwar an frühere
Lösungen anknüpfenden, aber mit einer gewissen Souveränität
diese weiterentwickelnden Ehedefinitionen des Honorius;

Abgrenzung
der Ehe vom Konkubinat wird dabei ebenso gesucht,
wie der Zug zur geistlichen und nicht nur körperlichen Lebensgemeinschaft
(29-38). Probleme der Ehe mit oder zwischen Unfreien
spielen eine große Rolle (144-156 u.a.). Beim sog. Privilegium
Paulinum (1 Kor 7,120 wi" Honorius die Ehe eines zum
Christentum Bekehrten mit einem Juden auf jeden Fall lösen,
weil der christliche Partner leicht in die Irre und ins Verderben
geführt werden könne; für einen im Heidentum Bleibenden soll
die Trennung wegen geringerer Gefahr nicht zwingend sein
(1220- Für den Fall des Ehehindernisses der Impotenz des Bräutigams
wird als Sinn dieser Auffassung erörtert, daß der Braut
eine zweite Heirat mit einem Blutsverwandten ihres ersten Bräutigams
ermöglicht werden müsse (140ff).

Umfangreiche Verzeichnisse und Register machen die Benutz-
barkeit des Werkes leichter.

Brühl Albert Stein

Boleratzky, Löränd: Neues Gesetz über die Gewissens- und Religionsfreiheit
und die Kirchen in Ungarn (ZevKR 35. 1990, 323-331).

Borras, A.: L'Eglise peut-elle encore punir? (NRTh 113, 205-218).

Castiilo Lara, Rosalio: La condizione e lo statuto giuridico del minore
nell'ordinamento della chiesa (Sal 52. 1990. 257-275).

Christoph, Joachim E.: Fundstellennachweis der Rechtsprechung der
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Ebeling, Gerhard: Kirchengeschichte und Kirchenrecht: eine Auseinandersetzung
mit Rudolph Sohm (ZevKR 35. 1990. 406-420).

Gerosa, I.: Le „charisme originaire". Pour unejustification theologique
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Huet, J.-M.: Les nouvelles formes d'office curial (CIC, can. 517) (NRTh
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Jacobs, Uwe Kai: Rechtsritual in der Regula Benedicti: Die Handverhüllung
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-: Kirchliches Asylrecht (ZevKR 35, 1990.25-43).