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Ausgabe:

1991

Spalte:

933-935

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Weirich, Adele

Titel/Untertitel:

Die Kirche in der Glaubenslehre Friedrich Schleiermachers 1991

Rezensent:

Peiter, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 12

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Artiger Gabe vor der daraus folgenden Aufgabe heraus. Er „Kollektiv" zurücktreten läßt (94); ein derart.ges Zurücktreten
macht dies insbesondere an der „kategorischen Gabe" des Her- erfolgt in jeder Dogmatik. sobald die Rede wirklich auf die Kir-
renmahls fest die uns die Schöpfung neu erschließt und uns che gebracht werden soll. Was vordem Heiligen Geist „rangiert",
gleichzeitig an die Seite der Hungernden, Armen und Gefange- ist nicht, wie W. behauptet (89). der Gemeinge.st. sondern die
ne" stellt (164. 168) Vor einem falschen „ethischen Übereifer" göttliche Erwählung (vor den §§121-125 stehen in CG die
J169) warnt auch der zweite hinzugefügte Beitrag „Staunen. §§ 117-120). Wie kann der Gemeingeist vor dem Heiligen Geist
Seufzen. Schauen. Affekte der Wahrnehmung des Schöpfers", „rangieren", wenn W. den Heiligen Geist die einzige auf d.e Kirrer
liegt der Ton auf dem „Staunen inmitten der Klage" (173)- che einwirkende Kraft nennt (155)? Gar zu viel Ehre tut W. (auf
!m Gegensatz zum aristotelischen Staunen als Urimpuls der Phi- über 20 S.) den „soziologischen" Einfallen Y. Spiegels an. Meine
Sophie -, auf dem Lob der Schöpfung aus dem Seufzen heraus, Kritik an denselben (Theologische Ideologiekrit.k. 30-34) bleibt
ermöglicht durch Karfreitag und Ostern, sowie auf der Sehnsucht unberücksichtigt. Die theologisch unergiebigen „soziologischen"
ni*h dem Schauen Gottes inmitten der tiefsten Anfechtung Verallgemeinerungen gehen so weit, daß W. den Satz W. Brandts
(Hiob! 182). Daran wird besonders deutlich, wie der Vf. seinen wiederholt, die Existenz eines kirchlichen (!) Gemeingeistes, den
^höpfungstheologischen Entwurf soteriologisch grundlegt. Die nach CG1 II 189, 17 jeder im Stande der christlichen Heiligung
^iden ergänzenden Beiträge runden das lesens- und nachden- Befindliche nicht zur Natur, sondern zur Gnade rechnen muß.
kenswene Buch in schöner Weise ab. sei noch kein Glaubenssatz, sondern eine Tatsache d.e für jede

moralische Person gilt (87; anders 203. Anm. 387). Der göttliche

Leipzig Ulrich Kühn Geist hat für Schleiermacher mehr mit Gott zu tun. als W. meint.

W. behauptet, Schleiermacher grenze sich gegen die Bekenntnisschriften
ab. die den Heiligen Geist als 3. göttliche Person verste-
hen (88). Als ob es ein hyperbolischer Ausdruck für unser Be-

^eirich, Adele: Die Kirche in der Glaubenslehre Friedrich wußtsejn von Christo und dem Gemeingeist der christlichen

Schleiermachers. Frankfurt/M.-Bern-New York-Paris: Lang Kircne sei wenn wjr sagen. daß Gott in beiden sei und gewesen

■990. IV. 268 S. 8 = Europäische Hochschulschriften. Reihe ^ ^ .^„^ werde-. (CG „ 361, 10_13).

AXIII: Theologie, 398. Kart. DM 77,-. Bej w komm( dje Kirche zu früh ins Spie, (77 8fJ) Für

Die briefliche Äußerung Schleiermachers, die Kirche solle Schleiermacher ist im Protestantismus „Sein (Kirche) Resultat

eigentlich das Höchste sein, was es Menschliches gibt, kann, wie des Werdens (Heiligung). Im Katholizismus umgekehrt He.li-

W- gesteht, einen Katholiken wohl neugierig machen (10). Für gung (Werden) Resultat der Kirche (des Seins ) (CG' III S. 89

eine unerschöpfliche Fülle theologischer Anregungen dankt W. Nr. 480). Dahergehen in CG'die §§ I3If (Heiligung) den §§ 135

ihrem Lehrer Hans Küng. Andererseits schuldet auch die evange- bis 144 (Entstehung der Kirche) voran.

"sehe Theologie der Vfn. Dank für ihre auf ökumenische Ver- Von großem ökumenischen Interesse .st die Gegenüberstellung

Bändigung bedachte, von der katholisch-theologischen Fakultät zweier dogmatischer Grundbegriffe des unmittelbaren frommen

der Universität Tübingen als Lizentiatsarbeit angenommene Un- Selbstbewußtseins (bei Schle.ermacher) und des (katholischen)

'ersuchung Begriffs des Glaubenssinnes (38. 173-182). Daß das fromme

Die Einleitung zur Glaubenslehre7, auf die W. zunächst ein- Selbstbewußtsein zur Kirche wird (62). will aber so verstanden
geht, möchte sie ebensowenig wie die Reden', deren spätere Auf- sein, daß es wie jedes wesentliche Element der menschlichen
'agen zu wenig berücksichtigt seien, als dogmatische Schriften Natur auch Bas,s einer Gemeinschaft wird (CG71 42). Aus dem
mißverstanden sehen (15f 360 W teilt auch nicht das klassische Bewußtsein kann nicht gut werden, was der Gegenstand dieses
Mißverständnis des katholischen Rezensenten Staudenmaier, Bewußtseins ist bzw. wessen man sich unmittelbar bewußt ist.
das sich über 100 Jahre lang - auch bei evangelischen Theologen, Das Selbstbewußtsem kann sich zwar erweitern - bis hin zu dem
die Person und Werk Schleiermachers nicht weniger enthusia- der menschlichen Gattung, so daß wir d.e ganze Welt in unserem
stisch preisen-erhalten hat, den dogmatischen Ansatz Schleier- Bewußtsein haben (CG1 I 132. 10-14; 124. 8); aber etwas
machers als Subjektivität" zu interpretieren (54). Schade ist anderes als Bewußtsein wird das Bewußtsein auch dank dieser
freilich, daß W meint mit der Aufnahme der Größe „Kirche" Erweiterung nicht. Schließlich ist auch das Gottesbewußtsein
ins dogmatische Konzept eine Garantie liefern zu können gegen nicht Gott! - Für W. ist das Selbstbewußtsein nicht das Selbstbe-
eine Begründung von Glaubenssätzen allein im Subjekt (60). Als wußtsein des einzelnen Glaubigen, sondern das fromme Selbst-
ob die Kirche kein Subjekt wäre! Für den Christen „ muß es völlig bewußtse.n der Kirche (57ff). Für Schieiermacher ist das Selbsteinerlei
sein, ob er sagt: .Das halte ich für wahr*, oder ob er sagt: bewußtsein ein modifiziertes Ich-, aber kein Wir-Bewußtsein.
•Das ist der wirkliche Sinn und die wirkliche Meinung der Kir- Die Kirche ist kein Ich und kann nicht „Ich" sagen. Kein einzel-
che.'" (Meine Ausgabe der Christlichen Sittenlehre. 1983, 5f) ner ist die Kirche. In der Kirche bilden wir ein „Wir".
Stichhaltig sind allerdings die beiden ersten Argumente (120ff>. Mit ihrer Umkehrung(65. 86. 102. 17 Iff) der Formel, der Pro-
mit denen W. den Vorwurf entkräftet. Schleiermachers Auflas- testantismus mache das Verhältnis des einzelnen zur Kirche ab-
sung vom Predigtamt sei religiöser Subjektivismus. hängig von seinem Verhältnis zu Christo (umgekehrt der Katholi-

Von der eigentlichen Glaubenslehre7 geht W. die §§113-124. zismus), hat W. den Kirchenvater des 19.Jh.s mehr in die
100-105. 126-147, 150-156 und 158-163 durch. Bedauerlicher- katholische Kirche heimgeholt, als sie das eigentlich beabsichtigt
weise übergeht sie dabei die §§ 106-112, also das Hauptstück, das (173). Vermutlich hätte sie ihn auch gern insofern in ihre Kirche
überschrieben ist: „Von der Art, wie sich die Gemeinschaft mit hineingezogen (also umgekehrt die katholische Kirche „heimge-
der Vollkommenheit und Seligkeit des Erlösers in der einzelnen holt"), als Schleiermachers Ekklesiologie keine Herrschaft von
Seele ausdrückt", und antwortet sie auf die Frage: „Wem wird Christen über Christen kennt, sondern von der „Basis" her kon-
das Gottesbewußtsein eingepflanzt?": „Den Gläubigen, der Ge- zipiert ist. so daß von den „Laien" (besser gesagt: von all denen.
wmtheil der menschlichen Natur sogar und nicht der einzelnen die geistliche Kompetenz haben, wobei es völlig offen zu lassen
Seele!" (99) Zu einer solchen Behauptung hätte sie sich nicht zu ist, ob dieselbe wissenschaftlich gebildete Theologen oder Nichtversteigen
brauchen, wenn es ihr - völlig zu Recht - darum geht, theologen auszeichnen wird), befähigt durch den Geist. Autorität
daß uns die christliche Frömmigkeit nur in der Kirche gegeben ist und Verantwortung für den Glauben ausgeht (182). So bleibt der
(meine Ausgabe der Glaubenslehre1 [= CG1], I 100, 260- Eine engagierten Verfasserin einer geistlich überaus gehaltvollen UnBinsenweisheit
ist, daß Schleiermacher das Individuum vor dem tersuchung eine Kirche zu wünschen, in der sie und ihresgleichen