Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

932-933

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bayer, Oswald

Titel/Untertitel:

Schöpfung als Anrede 1991

Rezensent:

Kühn, Ulrich

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

931

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 12

932

wort soll sein, daß Jesus uns hinschickt, das Volk zu retten, uns,
die wir die Rettung selbst so sehr brauchen? So gipfelt das Geheimnis
der Sünde im Paradox des Weges zu seiner Lösung."
(141)

Im Kapitel Natur und Schöpfung (ab 143) wird zunächst die
Situation der Campesinos auf dem Lande reflektiert. Da ist von
der Bindung an die Erde als Lebensquell und von der „ Gleichgültigkeit
der Erde, Quelle von Angst"(147) die Rede. Daß die Erde
auch als Gottheit verehrt wird, ist nicht zu übersehen. Aber es
gibt verschiedene Möglichkeiten irdischer Existenz. Man kann
aus der Lebenskraft der Natur Macht zu gewinnen suchen oder
der Natur in Ehrfurcht begegnen, um an ihrer Harmonie teilzunehmen
. Die Verehrung der Erde ist typisch für Lateinamerika.
Ihre Praktiken sind bis zur Versklavung von Menschen pervertiert
worden, weil in der Schöpfung nicht ihr Subjekt Gott erkannt
wurde. „Das Geheimnis der Ehrfurcht ist die kosmische
Demokratie, und diese wird nur Dank der Anbetung des einzigen
Gottes erreicht. "(156) Das macht frei von der Natur und schafft
Treue zur Natur. So wird der Naturverehrung im Schöpfungsglauben
ein Platz eingeräumt und schließlich des Christen „Leidenschaft
) für Gottes Reich und Teilhabe an den Geburtswehen
der neuen Schöpfung" begründet (162). Im Verhältnis zum Staat
und zu staatlicher Macht sowie zur Macht der Kirche und im
Blick auf die Technik gilt es, dieses zu bewähren. „ Nur ein starkes
Erleben des Geschöpfseins rückt die Dinge an ihren Platz. Nur
ein solches Erleben von Gnade und Freiheit bis zum Martyrium
kann der Geschichte ein Strombett hin zum solidarischen Leben
eröffnen." (197)

Wie aber verläuft die Geschichte? Ist Jesus der Herr der Geschichte
? Im fünften Kapitel über Leben und Geschichte muß zunächst
der Versuch gemacht werden, die Gegenwart im Lichte
ihrer Geschichte zu deuten und den Standort derer auszumachen
, die nach dem Herrn der Geschichte fragen. Einige Stationen
daraus: „In unserer Epoche hat der Kampf um die Kontrolle
der Natur so weit geführt, daß das Problem der Epoche darin besteht
, ob die Geschichte sich selbst beherrschen kann oder in
ihrem Selbst-mord endet. Kommt es nicht zu entscheidenden Berichtigungen
, dann läuft die Wette unserer Geschichte anscheinend
nicht auf Leben, sondern auf Tod hinaus." (201) Wir fragen
uns, „ob der Graben zwischen dem engen Horizont der Armut
und der traditionalen Gesellschaft, der über kurz oder lang mörderisch
ist, und dem Wahnsinn einer richtungslosen Raserei, welche
die einen erhöht, die anderen erniedrigt und alle außer sich
geraten, einander fremd und feindlich werden läßt, ob dieser
Graben nicht zu überbrücken ist." (207) Einerseits habe die konkrete
Weise, wie der Westen seine Geschichte definiert, der Sicherheit
Vorrang vor allem anderen gegeben, ein Symptom von
„Überalterung und Krankheit. Andererseits ist die Extremsituation
von Armut, Ungerechtigkeit und Verrandung der einfachen
Leute noch schlimmer geworden. „ Doch über diese unbezweifel-
baren Fakten hinaus geschieht ein Ereignis: die Behauptung des
Lebens mitten im Tod." (210) Landarbeiter. Wanderarbeiter und
Slumbewohner, die Armen Lateinamerikas sind die lebendigen
Beispiele. „Dank Gottes Tat ist die Geschichte Befreiung." (220)
Das gibt die Möglichkeit zu unterscheiden. Die Unterscheidung
in der Praxis ist die Befreiung von unten. „Wer sein Leben zu bewahren
sucht, wird es verlieren (Luk 17,33)" (246). Die biblische
Geschichte steht dafür. Sie ist Heilsgeschichte, Segensgeschichte.
Befreiungsgeschichte, Nachfolgegeschichte und Geschichte des
wahren Lebens.

Im letzten Kapitel wird die Frage nach dem Menschen gestellt.
Was sind die Leute wert und warum? Antwort: Die Armen sind
wenig wert. Das ist die reale Erfahrung. Im Lichte der Schöpfung
Gottes aber ist jeder Mensch heilig. Damit wird die Unverletzlichkeit
des Menschen beschrieben und auf einen dynamischen
Prozeß hingewiesen, „in dem wir der Gabe Gottes entsprechen."

(283) Das ist Gottebenbildlichkeit - imago Dei. Trigo zitiert Westermann
: „Gott schuf den Menschen zu seiner Entsprechung-
als sein Gegenüber, so daß zwischen diesem Geschöpf und seinem
Schöpfer etwas geschehen, daß es seinen Schöpfer hören und
ihm antworten kann." (291) Und das heißt für uns: „Jesus ist das
unwiderrufliche Ja Gottes; jeder von uns gehört weiterhin zu den
Kindern und Geschwistern, mögen wir auch nicht als solche handeln
. Gottes Liebe, die uns gebildet hat und von innen kennt, sie
ist, mehr als alles sonst, geduldig." (308/309)

Der pastorale Ansatz, dem sich der Vf. von Anfang an treu geblieben
ist, wird so in der Meditation über den einzelnen, die Pet"
son vor Gott, abgerundet. Nicht Geschichtstheologie oder die
theologische Lehre von der Schöpfung gilt es in der Theologie der
Befreiung zu entwickeln. Das Leben mit den Armen und der Versuch
, die Fragen ihres Lebens von der Schrift her und vom gelebten
Glauben der Kirche zu beantworten, bestimmen die Autoren
der Sammlung „ Bibliothek Theologie der Befreiung".

Berlin Johannes Althausen

Dantine, Johannes: Buße der Kirche? Ekklesiologische Überlegungen im
Bedenken von Geschichte (Österreich 1938-1988) (In: Stegemann. w.
[Hg.]: Kirche und Nationalsozialismus. Stuttgart: Kohlhammcr. S. 97-
112).

Fundamentalismus (Themaheft WuA (M) 32, 1991, Heft I): Zimmerling
, Peter: Fundamentalisten, Pietisten. Evangelikaie - Chance oder Gefahr
für den deutschen Protestantismus? (3-4) - Stobbe, Heinz-Günther:
Katholischer Fundamentalismus? Ein Diskussionsbeitrag (6-9) - Funke.
Dieter: Das halbierte Selbst. Persönlichkeitsstruktur und Fundamentalismus
? (10-15) - Brettmann, Kai: Heute Amerika und morgen die ganze
Welt? Die Verstrickungen von Religion und Politik auf dem amerikanischen
Kontinent als Gefahr für den Frieden (16-20) - Alt, Ernst: Zu den
Hintergründen der Re-Islamisierungsbewegung im Nahen und Mittleren
Osten (21-24) - Abdullah, Muhammad Salim: Das Gottesbiid im islamischen
Fundamentalismus und in der sogenannten Re-lslamisierung
(25-33) - Schmitz, Rolf P.: Fund3mentalismus und Ethik im Judentum
(34-38).

Grelot, P.: Le ministere dans sa dimension caccrdotalc (NRTh 112.
1990, 161-182).

Guillet, J.: Le ministere dans l'Eglise: ministere apostolique - ministere
evangelique(NRTh 112, 1990, 481-501).

Herr, E.: L'Eglise catholique et la politique de defense. A propos d"un
ouvrage recent (NRTh 112, 1990, 93-97).

Klinger, Elmar: Wir sind die Kirche. Das Konzil als kirchliche und gesellschaftliche
Herausforderung (StZ 115, 1990. 345-352).

Knobloch, Stefan: Ist die Kirche in Deutschland Anwalt der Armen
(TThZ99, 1990,217-235).

Meyer, Ben F.: A Tricky Business: Ascribing New Meaning toOld Texts
(Gr. 71, 1990, 743-761).

Rivinius, Karl J.: Fundamentalismus. Eine Herausforderung für Kirche
und Mission (ThGI 80, 1990, 495-51 I).

Yancey, Philip: Von Gott enttäuscht. Durch Leiden an Gott in der Liebe
zu ihm gewachsen. Aus dem Amerik. von A. Wichmann. Metzingen: Franz
1990. 254 S. 8 . Pp. DM 24.-.

Systematische Theologie: Dogmatik

Bayer, Oswald: Schöpfung als Anrede. Zu einer Hermeneutik der
Schöpfung. 2., erw. Aufl. Tübingen: Mohr 1990. X, 200 S. 8 .
Kart. DM 49,-.

Der zweiten Auflage seines bereits früher angezeigten Buches
zur Schöpfungstheologie (vgl. ThLZ 112, 1987, 915-917) fügt
der Vf. zwei seither entstandene Arbeiten hinzu, die die Grundgedanken
des Ganzen unterstreichen. Der Aufsatz „Gegenwart.
Schöpfung als Zuspruch und Anspruch" arbeitet vor allem anhand
von Luther-Texten den Vorrang der Schöpfung als gegen-