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Ausgabe:

1991

Spalte:

923-924

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Neymeyr, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert 1991

Rezensent:

Winkelmann, Friedhelm

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923

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 12

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und akzeptiert wie selbstverständlich an sich absurde Behauptungen
wie die von einer Auferstehung des Leibes nach dem Tod.
Die Religion ist ein Teilgebiet der Kultur auf einem bestimmten
Entwicklungsstadium, kann aber die Weiterentwicklung hemmen
. Sie ist eines der staatlichen Instrumente bei seiner Machtausübung
, aber stets bestrebt, sich den Staat unterzuordnen, weshalb
M. sogar die Christenverfolgungen des 2. und 3. Jh.s legitimierte
. Die Religionen sind Bollwerke der Tradition und bleiben
es auch nach geglückten Reformationen. M. konnte das Christentum
als wirkungsmächtige historische Erscheinung würdigen, betrachtete
seine Entstehung aber als Bestandteil der Orientalisie-
rung des Römischen Reiches, die schließlich als Folge der
Schwäche seiner führenden Schichten dessen Untergang verursachte
. Viel stärker als H. sah er das Christentum von jüdischen
Voraussetzungen her, das zeitgenössische Judentum aber gerade
in seinen dualistischen Vorstellungen geprägt von den Mythen
des Orients. Daraus erklärte er sich auch den Siegeszug nur notdürftig
christlich umfunktionierter heidnischer Vorstellungen in
den katholischen Massen. M. betrachtet nicht nur Jesus, sondern
auch Maria und die Heiligen als neue Götter, die den äußerlich
beibehaltenen Monotheismus gründlich polytheistisch entstellt
hätten, zumal etwa Maria in der weiteren Entwicklung viel mehr
Züge der Großen Mutter als die der Mutter Jesu getragen habe
und auch die parsistische Teufelsvorstellung, die im Christentum
zu ihrer stärksten historischen Wirkung gelangt sei, den Gedanken
der Allmacht Gottes desavouiert habe. Andererseits gesteht
M. zu, daß auf diese Weise den Massen, die er generell für
stumpfsinnig und zu schöpferischem Verhalten unfähig hält, ein
Minimum an Ethos zugänglich gemacht wurde, ebenso dem
Abendland nach dem Ende der antiken Kultur, und er nimmt
nicht nur Jesus, sondern weithin ebenfalls die Urgemeinde und
Paulus aus seiner negativen Beurteilung aus, obgleich er auch
Jesus und Paulus von ihren jüdischen Voraussetzungen her deutet
. In Jesu Ethik sah er die Umsetzung des kategorischen Imperativs
in ein praktisches Gebot, und ihm sprach er eine Wirkung
ohnegleichen in der Weltgeschichte zu, zumal dieser die Vorstellung
von Gottes Reich völlig verinnerlichte.

Rostock Gert Wendelborn

Neymeyr, Ulrich: Die christlichen Lehrer im zweiten Jahrhundert
. Ihre Lehrtätigkeit, ihr Selbstverständnis und ihre Geschichte
. Leiden-New York-Kopenhagen-Köln: Brill 1989.
XIII, 279 S. gr. 8D = Supplements to Vigiliae Christianae, 4.
Lw. hfl 130,-.

Gegenstand dieser Untersuchung sind Unterrichtsmethode,
Lehradressaten, Selbstverständnis und Rolle der Didaskaloi/
Doctores (Neymer spricht von christlichen Lehrern und Lehrer-
tum) in den christlichen Gemeinden des 2. und des Beginnes des
3.Jh.s neben christlichen Ämtern wie z.B. Episkopoi, Presby-
teroi, wobei also die Frage nach den Lehrinhalten ausgeschlossen
bleibt. Nicht geht es um christliche Lehrer, die im herkömmlichen
Schulsystem wirkten, und um die Probleme, die für sie aus
dem hellenistischen Bildungsgut erwuchsen.

Die wesentlichen Ergebnisse der Studie: Die christlichen Didaskaloi
des 2. Jh.s seien „in den Formen und Methoden ihrer
Lehrtätigkeit vom zeitgenössischen philosophischen Unterricht
beeinflußt" gewesen (215), auch von deren Forderung einer
Übereinstimmung von Lehre und Leben, nicht dagegen sei
„Kontinuität mit dem stark jüdisch geprägten christlichen Leh-
rertum des ersten Jahrhunderts" festzustellen, vielmehr handle
es sich um „eine neue Entwicklung" (230). „Die christlichen
Lehrer des zweiten Jahrhunderts standen also nicht in historischer
Kontinuität mit den urchristlichen Lehrern, sondern mit
ihnen begann eine neue Phase in der Geschichte des christlichen
Lehrertums in der alten Kirche" (237). „Die Funktion der christlichen
Lehrer wurde seit der Mitte des dritten Jahrhunderts von
den Episkopen und Presbytern übernommen" (238). Zur Stellung
in der Gemeinde: „Während die gnostischen Lehrer immer
mehr im Rahmen eigener gnostischer Gemeinschaften wirkten,
übten die christlichen Lehrer ihre Lehrtätigkeit in lebendige111
Kontakt mit den christlichen Gemeinden aus" (214), doch weder
im Gemeindeauftrag noch als Amtsträger (235).

Die Untersuchung legt regionale Aspekte an. Das ist ein Fortschritt
gegenüber älteren Untersuchungen. Unter Rom werden
Stellen aus dem Hirten des Hermas, eine von Epiphanius bezeugte
Aussage Hippolyts, vor allem Justin, sehr knapp Rhodon
und Angaben der sehr komplizierten Traditio apostolica behandelt
. Für Alexandreia stehen Pantainos und Klemens im Mittelpunkt
, wogegen Origenes - auf der Grundlage von Eus. H.e. 6 -
sehr kurz wegkommt. Nur anhangweise wird auf Didaskaloi
(Eus. h.e. 7,24) und Lektoren (Apostol. Kirchenordnung) in den
ägyptischen Provinzen eingegangen. Für Karthago bieten Tertul-
lians Schriften, daneben Bemerkungen Cyprians und die Passio
Perpetuae Informationen. Syrien wird auf der Basis von D1'
dache, Pseudoklementinen und Bardesanes dargestellt. Es folgen
nicht eindeutig lokalisierbare Notizen aus dem Barnabasbriet,
der Diognetschrift, weiter Tatian und Athenagoras. Gnostische
Lehrer werden leider nur sehr knapp berührt. Erst am Ende steht
das, was der kulturelle und gesellschaftliche Nährboden war. der
vieles an der christlichen Entwicklung erst verständlich macht:
„Außerchristliche Einflüsse auf die Lehrtätigkeit und das Selbstverständnis
der christlichen Lehrer", besonders Epiktet und Kal-
benos Tauros gewidmet. Nur unzureichend wird en passant der
jüdische Lehrbetrieb gestreift.

Das ist viel Material unterschiedlichen Wertes. Die meisten
der zitierten Stellen sind sehr problematisch und mehr für Fragestellungen
als für weitreichende Schlüsse geeignet. Auch wirft die
regionale Betrachtung erst wirklichen Ertrag ab, wenn die speziellen
Probleme in die Charakteristika der betreffenden Region
eingeordnet und von da aus verdeutlicht werden. Leider ist die
Tätigkeit des Origenes in Kaisareia nicht eigens behandelt, obwohl
sich hier ein recht farbiges Bild christlicher Lehrtätigkeit in
einem kosmopolitischen Umfeld gewinnen läßt und nicht nur
christliche Texte zur Verfügung stehen.

Der eigentliche Wert der Arbeit liegt m. E. darin, daß in einem
erstaunlich vollständigen Maße die Forschungslage zu den einzelnen
Problemen umrissen wird (Vgl. auch das Quellen- und Literaturverzeichnis
, 241-267). Allerdings hätte man sich doch
mehr philologisch-historischen Tiefgang gewünscht. Das gilt
schon für die notwendige begriffliche Eingrenzung des Themas,
die man vermißt.

Wenigstens eine Frage zum Schluß: Lassen sich Status. Methode
und Lehrinhalt in diesem Fall überhaupt trennen? Aus
dem Inhalt erwuchsen ja zu einem guten Teil die Probleme und
Spannungen.

Berlin Friedhelm Winkelmann

Weiland, J. Sperna, and W. T. M. Frijhoff [Ed.]: Erasmus of Rotterdam
. The Man and the Scholar. Proceedings of the Symposium
held at the Erasmus University, Rotterdam. 9-11 November
1986. Leiden-New York-Kopenhagen-Köln: Brill
1988. X, 260 S. gr. 8°. Lw. hfl 94,-.

Im Jahre 1986 organisierte die Erasmus-Universität von Rotterdam
ein dreitägiges Kolloquium zum 450. Todestage des Erasmus
. Das Ergebnis des Kolloquiums liegt in den vierundzwanzig
Beiträgen dieses Buches jetzt vor. Die Organisatoren haben versucht
, die Teilnehmer auf drei Themen festzulegen. Obwohl jeder
Beitrag, auch im Buch, einem der Themen untergeordnet worden
ist, ist klar, daß sie den vorgeschriebenen Rahmen sprengen. Ich