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Ausgabe:

1991

Spalte:

921-923

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Jantsch, Johanna

Titel/Untertitel:

Die Entstehung des Christentums bei Adolf von Harnack und Eduard Meyer 1991

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Seite 1, Seite 2

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92l Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 12 922

rv~-. i xi ■ ..UUk«« gewinnenden Transzendenz. Ernst zu nehmen ist seine Behaup-

uogmen- und Theologiegeschichte daß dje Geschichtsforschung nie zu absoluten Aussagen ge-

Jantsch, Johanna: Die Entstehung des Christentums bei Adolf langen kann. Der Prozeß des Forschens unter immer neuen, der
v°n Harnack und Eduard Meyer. Bonn: Habelt 1990. VII, 448 jeweiligen Zeit entsprechenden Aspekten kann nie beendet wer-
8" = Habelt's Dissertationsdrucke Reihe Alte Geschichte, den weil die unendliche Wirklichkeit niemals in ihrer Gesamt-
28- heit erfaßbar ist. Das Zusammenspiel allgemeiner und indivi-
Diese von K. Christ angeregte ausgezeichnete Diss. mit einer dueller Tendenzen im ständigen Konflikt von Tradition und
kaum überschaubaren Fürte interessanter Aspekte vergleicht mit individueller Freiheit schafft das jeweils einmalige historische
Hamack (-H.) und Meyer (-M.) zwei berühmte Forscher um Ereignis. Pnmar nach Regeln zu fragen, muß den Naturw.ssen-
I900.die ich dem Erbe der damaligen Liberalen Theo.og.e weit- Schäften überlassen hieben. Analogien und Parallelen geben le-
hi" verbunden wußten und sich in ihrer Forschungsarbeit kon- diglich Möglichkeiten der werteren Entwicklung an. Bedenkens-
•Wrien den Änföngen des Christentums zuwandten. Doch wäh- wert ist auch Ms Meinung daß jede Idee, sobald s,e in die Praxis
re"d dies dem persönlichen Glauben H.s entsprach, löste sich M. umgesetzt wird unumgänglich ,n ihr Gegen eil umschlägt wofür
Kreits in seinem 6 Lebensjahr auf Dauer innerlich vom Chri- er viele auch religiöse Beispiele anfuhr,. A s dezidierter Atheist
stentum. Die Vfn gibt zunächst eine relativ kurze, aber treffende fordert M., eme scharfe Grenze zwischen religiöser Weltanschau-
Skizze zu Leben und Werk beider und behandelt darauf in den ung und historischer Erkenntnis zu ziehen. Daß es auf einer beiden
Hauptteilen beider Geschichtsverständnis und Bild der stimmten Kulturstufe zur Ausbildung der Ind.v.dualitat kommt,
Em«! ? M ■ Ueschicntsversianoms bedeutsamsten Wandlungen in der Menschheitsge-
tn stehung des Christentums. Kritische Akzente so im H.nb ck e, ein ^ g
M.s extremen Chauvinismus z Z des1 Weltkriege s, gewisse «h.chte D J Andererseits wies M. der po.iti-

d!TneS Charakters> w,e sie sich der ^TT^htsse sehenGeschichte den Vorrang zu. Der Staat wird bei ihm so

denkender bekunden, aber auch seine exegetischenE gebn sSe sehe" Gesch ^ i ^

fehlen nicht, doch die sehr d.fferenz.erte Würdigung des Lebens uberhoh g ^ Untertanen verlangen

werkes beider steht im Mittelpunkt, obgleich nicht verschwiegen aucnaie mengen e e

^rd, weshalb die kritische Beschäftigung mit M^esamtwerk kann ^ prinzipiellen Bewertung

Srismuf em " des Christentums und der Sicht Jesu, seiner Auferstehung, der

H c rL „ L, • . . . „^m^n wie Hiebe- Urgemeinde, des Evangeliums von Jesus, Paulus, des Heidends
Nahe zu Ritsch wird ebenso ernst genommen wie die oe <-"&^ ° . . .
deutsamen Unterschiede beider Er sei als Historiker immer und Judenchr.stentums, der christlichen Missionstat.gkeit. der
TheoloTe geWieben d!^ Vfr^ be täfigt die Forschungsergebnisse Evangelien, Apostelgeschichte, der Entstehung des NT. der
des I^nT^MnC^^™™^- Nach H erfolgt kirchlichen Verfassung, des Verhältnisses des Christentums zum
'n der steJe iSn^wTcklung. die an den Hellenismus, des Dogmas, des Katholizismus und seines Verhält-

Krw ■ " " r-u- „ H^rMütnraus nisses zum römischen Staat wie zu Ausdrucksformen anderer Rc-

^notenpunkten zu Metamorphosen führt, wie in der Natur aus „ ., . .„ • ~-..... _______ . MT , .

derR, c u i • a vi oiior ivsiioiftcpn Aufwärt- hgionen. Beide vertreten in „Einleitungsfragen des NT relativ

uer Raupe ein Schmetter ing wird. Ziel aller religiösen Auiwan & _♦„«_.«_, .■ u a n u

semu,;M,i a .. i ^ „ o„ii0ir,n Heren Kern konservative Standpunkte. Für H. entzündet sich der Glaube an

Entwicklung war das Christentum als die Religion, aeren i^eiu, _ ... •__■__ö.„»_i;^.u-:. i

dac c • .. . . . „„, .nHpn Fnrmen der Begegnung mit der einzigartigen Persönlichkeit Jesu, an der

Qas Evangelium, in a en geschichtlich sich wandelnden t-ormen , B * , 6 ,,, . . . . a ° ~ . ,„*•„„., r ... ..

unveränderlich bleibt. Jesu als denkbar einfach und ethisch ak- der unendliche Wert jeder einzelnen Seele aufgeh,, freilich ,m 1,-
*en,uiert verstandene Lehre, die Gottes väterliche Liebe verkün- beralen Sinne einer vorausgesetzten, wenn auch gefährdeten und
det. besitzt für alle Zeiten und Menschen entscheidende Rele- z.T. zerstörten Harmonie von Gott und Mensch. Diese Verkun-
vanz. Alle bleibend gültigen Werte gehören der abendländischen digung war im Grunde bereits universal, wie H überhaupt Jesus
Kulturan.dieaufdemBunddesChristentumsmitderAntikebe- nicht von jüdischen Voraussetzungen her deutet Er Unterschicht
. Schon diese Feststellung beweist, daß man den Verfallsge- det Jesu Botschaft fundamental vom 2 Evangelium dem von
danken bei H. nicht verabsolutieren darf. Gesetzmäßigkeiten Jesus Christus, in dem sich die chnstolog.schen Spekulationen
gibt es in der Geschichte freilich nicht, da zu viele und zu kom- immer mehr anreichern. Andererseits stand H. dieser Entwick-
Plexe Faktoren in ihr wirken, so daß man über Vermutungsevi- lung zwar nicht unkritisch aber doch verständnisvoll aus der
denzen nie hinausgelangen kann. Ihre Faktoren sind z.T. unbere- nüchternen Einsicht ,n geschichtliche Zwangsläufigkeiten gegen-
chenbar. und der Zufall besitzt einen hohen Stellenwert. Die über, was auch seine Sicht des Katholizismus vielschichtig
historische Forschung ist niemals Selbstzweck, sondern steht im machte. Die eschatologischen Aspekte der Predigt Jesu schied er
Dienst an e.nem sinnvollen Handeln, das den Aufgaben der Ge- vorschnell als zeitbedingt aus. Die Bildung der Urgeme.nde sei in
genwart und Zukunft gerecht wird, und will insofern selbst in den Ubereinstimmung mit Jesu Intentionen erfolgt. Das Christen-
Gang der Geschichte eingreifen. H. betonte die Rolle der großen tum konnte niemals nur innere Gesinnung, es mußte Bruder-
Männer in der Geschichte während er für die Ökonomie nur bund - auch in e.nem eminent sozialen Sinne - sein. Paulus war
*enig Sinn hatte doch wußte er daß geschichtliche Relevanz nur Jesu selbständigster Anhänger mit grundlegender Bedeutung für
erlangt, was sich institutionell verfestigt. H. wollte die Fakten die weitere Geschichte des Christentums. Obgleich seine Theolo-
vorurteilslos erheben, wußte aber zugleich, daß das subjektive gie letztlich unvereinbar mit der schlichten Botschaft Jesu sei.
Element nicht aus der Forschung ausgeschlossen werden kann wäre ohne ihn das Christentum eine jüdische Sekte geblieben
und darf, da es ohne Werturteile keine Geschichtsbetrachtung und untergegangen. Auch sah H.. daß der Paulinismus nie die
gibt. Wichtig ist schließlich seine Feststellung, daß sich der Kern Basis für die Dogmengeschichte darstellte, von ihm vielmehr alle
auch des Christentums nur durchhalten kann, wenn er durch eine großen Reform versuche in der Kirchengeschichte ihren Ausgang
ihm an sich nicht adäquate Schale bzw. Rinde geschützt wird, die nahmen. Eine grundsätzliche juden- und heidenchristliche Diffe-
aber bei Verwechslung mit dem Kern diesen tödlich bedroht. renz im apostolischen Zeitalter verwarf H. mit Recht anders als

M. betrachtete in Polemik gegen ein Fortschrittsdenken die M., der hier Baur verhaftet blieb.

Geschichte eher als Kreislauf, wobei in Hochkulturen auf einen Für M. beruhen die religiösen Vorstellungen größtenteils auf II-

Höhepunkt ein Niedergang folgt, was M. in eine gewisse Nähe zu lusionen. Sein Ideal war das des Griechentums, wonach Motor

Spengler brachte, zumal er seit dem 1. Weltkrieg die abendländi- der menschlichen Höherentwicklung das selbständig denkende

sehe Kultur in einer fundamentalen Krise begriffen wähnte. Bei und gemäß eigenen Erkenntnissen sittlich handelnde Indivi-

M. wurde die Geschichte zum Ersatz einer nicht mehr religiös zu duum ist. Dagegen bleibt der Gläubige von Autoritäten abhängig