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Ausgabe:

1991

Spalte:

900-903

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Krüger, Thomas

Titel/Untertitel:

Geschichtskonzepte im Ezechielbuch 1991

Rezensent:

Köckert, Matthias

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 12

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Streuung von Luxusgütern. Zu diesem Zwecke hat der Vf. in erster
Linie die Ausgrabungsberichte, in zweiter auch die Ergebnisse
von Surveys über das Gebiet südlich der Höhe von Teil en-
Nasbe und westlich des Jordans für die Zeit vom 12.-6. Jh.
v. Chr. ausgewertet und die Daten mit Hilfe des Computers in 15
Tabellen, 22 Skizzen und 16 Diagramme umgesetzt. Die Darstellung
hat vor allem die Diskussion der methodologischen Grundlagen
, die Ausschaltung von Fehlerquellen und die Interpretation
der Abbildungen zum Inhalt.

Hinsichtlich der Siedlungen ergibt sich ein kräftiges Bevölkerungswachstum
vom 12. zum 10. Jh., eine Konzentration der Bevölkerung
in Urbanen Zentren vom 10. zum 9. Jh., ein noch stärkeres
Ansteigen der Bevölkerungszahl im 8. und 7. Jh. und dann
ein dramatisches Absinken im 6. Jh. Anzeichen für eine zunehmende
administrative Kontrolle erscheinen überraschend erst
im 9. Jh. im Zusammenhang mit dem Aufstieg Jerusalems zum
Zentrum des Landes. Die Notwendigkeit zur Schaffung eines Systems
von professionellen Schreibern und Verwaltungsspezialisten
bestand demnach kaum vor dem 9. Jh., und als Zentrum dieser
Funktionen kommt fast nur Jerusalem in Betracht.

Ein ähnliches, wenn auch nicht überall deckungsgleiches Bild
ergeben die anderen untersuchten Bereiche. Die archäologischen
Zeugnisse für öffentliche Arbeiten (Mauern und andere Befestigungen
, große Bauwerke, Wassersysteme) sind für das 10. Jh.
noch verhältnismäßig gering, zeigen aber ein gewaltiges Anwachsen
für das 8. Jh., während im 7. Jh. der Bau von Festungsmauern
absank und sich die Errichtung öffentlicher Bauwerke auf gleicher
Ebene hielt, aber auf weniger Orte konzentrierte. Anzeichen
von geschulter Handwerkskunst gibt es in dieser Zeit nur für Jerusalem
und seine Umgebung. Fazit dieses Untersuchungsganges
: Hinweise auf eine stark zentralisierte administrative Kontrolle
erscheinen kaum vor dem 8. Jh., und sie verweisen vor
allem auf Jerusalem.

Die Luxusgegenstände, unter die auch Ostraka und gestempelte
Krughenkel gerechnet werden, zeigen einen nur langsamen
Anstieg des Vorkommens vom 12.-9. Jh., dann aber ein plötzliches
, steiles Anwachsen im 8. Jh., das im 7. Jh. seinen Höhepunkt
erreicht, um im 6. Jh. wieder jäh abzufallen. Das spricht für ein
Wachstum der Produktion solcher Güter im 8. und besonders im

7. Jh. Der Einfluß des internationalen Handels ist hingegen gering
einzuschätzen. Die Gegenstände sind regional verbreitet;
eine Konzentration ergibt sich für Lachisch im 8. und für Jerusalem
im 7. Jh. Hinweise auf eine zentralisierte Administration beziehen
sich vor allem auf das 7. Jh., lassen die Anfänge aber schon
im 8.Jh. annehmen: gestempelte Krughenkel, standardisierte
Gewichte, industrielle Produktion in Teil Bet Mirsim (Färberei),
En-Gedi (Balsam) und Gibeon (Wein). Auch hier bleiben die
Zeugnisse für geschulte Handwerkskunst minimal und beschränken
sich auf Jerusalem und Umgebung.

Die Ergebnisse aus der Untersuchung der drei Bereiche konvergieren
: Es ist nicht etwa das 10. Jh., sondern erst das 8., in dem
die gesellschaftlichen Bedingungen für eine zentralisierte Administration
vorliegen. Jetzt erst, im 8. und 7. Jh., wächst auch Jerusalem
in eine Sonderstellung als Zentrum Judas hinein. Das bedeutet
, daß Juda im 10. Jh. noch nicht als Staat beurteilt werden
kann: "There is little evidence that Judah began to function as a
State at all prior to the tremendous increases in population, buil-
ding, production, centralization and sprecialization which began
to appear in the 8th Century." (1380 Im 10. und 9. Jh. ist Juda
vielmehr ein "chiefdom", ein "small State" wird daraus erst im

8. und 7. Jh. (139). Kenntnis des Schreibens wird durch die archäologischen
Befunde auch erst für das 8. und 7. Jh. gesichert,
und zwar für Orte, die in direkter administrativer Abhängigkeit
von Jerusalem standen. Daß man überall im Lande schreiben
konnte, wird durch die Data nicht bestätigt. Es scheint, daß die
Ausbildung im Schreiben auf breiterer Basis nur in Jerusalem geleistet
wurde, und das nicht vor dem 8. Jh. Die oft postulierte Je-
rusalemer Schreiber-(Beamten-)Schule der Salomozeit findet
also von diesen Untersuchungen her keine Bestätigung.

Zum Schluß vermittelt der Vf. seine Ergebnisse sehr knapp mit
anderen Gesichtspunkten: Die biblischen Texte erwähnen nie
eine Schule; die sicheren Belege für Schreibfähigkeit aus der Zeit
vor dem 8. Jh. sind ganz gering. Die epigraphischen Zeugnisse beweisen
nicht die Existenz einer Schreiberschule. Die Verhältnisse
von Großreichen wie in Ägypten und Mesopotamien dürfen
nicht ohne weiters auf einen Kleinstaat wie Juda übertragen werden
.

Man darf dem Vf. für seine mühevolle Arbeit, die sich in den
Tabellen, Skizzen und Diagrammen niederschlägt, dankbar sein-
Gegen das eingeschlagene Verfahren aber erheben sich schwere
Bedenken, die das Ergebnis bezweifeln lassen.

1. Nur gering ins Gewicht fällt die Frage, ob der Vf. die Fehlerquellen
konsequent ausgeschaltet hat. Sie mag ein Computer-
Experte oder ein Fachmann für Statistik beantworten. Es verwundert
aber, daß die Untersuchung auch die philistäische
Küstenebene einbezieht. Können Asdod und Asdod-Jam so einfach
vom 12.-6. Jh. zu Juda gerechnet werden? Geser gehörte
nach unserer Kenntnis erst vom 10. Jh. an zu Juda, nicht aber seit
dem 12. Jh. Daß der Vf. Scharuchen nicht mit Teil Färic. sondern
(im Anschluß an A. Kempinski) mit Teil el-cAggül identifiziert,
kann man nur aus dem Literarturverzeichnis erschließen. Aus
der Arbeitsweise des Vf.s ergibt sich notwendig, daß die Aufnahme
der archäologischen Data meist nicht im einzelnen überprüfbar
ist.

2. Die Vorbedingung einer zentralisierten administrativen
Kontrolle mag für die Existenz einer staatlichen Schreiberschule
zutreffen, schwerlich aber für die Schreibkunst selbst. Das gilt
erst recht für Israel und Juda, die nicht im luftleeren Raum entstanden
, sondern in einem Land, zu dessen Kulturgütern seit langem
das Schreiben gehörte. Die Möglichkeit, ja, die Wahrscheinlichkeit
, daß die Israeliten von den Kanaanäern die Fähigkeit des
Schreibens übernahmen, hat der Vf. nicht widerlegt und konnte
das bei seiner Methode auch schwerlich leisten.

3. Das überraschendste Resultat, die Unwahrscheinlichkeit
des Vorhandenseins einer Schreiberschule z.Z. Salomos. widerspricht
den Angaben über die Bautätigkeit, die dazu notwendigen
Dienstarbeiten und die Abgaben der Bevölkerung in salomonischer
Zeit, die eine administrative Organisation voraussetzen.
Nach den archäologischen Daten, die der Vf. zur Verfügung hat.
wären die biblischen Informationen im wesentlichen Fiktionen,
und das Motiv für die Reichsteilung würde rätselhaft. Der Vf. hat
dieses Problem nicht angesprochen. Eine Reflexion über das Verhältnis
von Ausgrabungsbefunden und Texten wäre an dieser
Stelle angezeigt. Da die Vermittlung mit den Textangaben so
knapp und unvollständig erfolgt, wirkt das Ergebnis der Untersuchung
als verfrüht und zu kurz gegriffen.

Wenig leserfreundlich ist die Teilung des Literaturverzeichnisses in eine
nach Ortslagen gegliederte Bibliographie der Ausgrabungs- und Survey-
berichte und in eine alphabetisch geordnete "Selected Bibliography".
Einige Literaturhinweise waren gar nicht zu verifizieren. Der Name der
Ägyptologin Ursula Kaplony-Heckcl ist zu Klapony-Keckel entstellt.

Marburg (Lahn) Winfried Thiel

Krüger, Thomas: Geschichtskonzepte im Ezechielbuch. Berlin
(West) - New York: de Gruyter 1989. XI, 524 S. gr. 8 = BZAW.
180. Lw. DM 178,-.

Die für den Druck geringfügig überarbeitete Dissertation
(1986 bei K. Baltzer in München) untersucht die „Veränderung
von Geschichtserfahrungen und ihren Rahmenkonzepten, wie sie
sich in Texten des Ezechielbuches (=EB) niedergeschlagen hat"
(8). Das geschieht in einem analytischen und in einem syntheti-