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Ausgabe:

1991

Spalte:

67-69

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Lutz, Bernd

Titel/Untertitel:

Umkehr als Prozess ständigen Neu-Werdens 1991

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

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nissen orientieren sich weithin an letzteren, obwohl er ein Oszillieren
zwischen den beiden Polen „Menschlichkeit und Heilsgeschichte"
(64) anstrebt. Neue Akzente in der Interpretation der kirchlichen
Lehre sind jedoch unübersehbar: „Sündenvergebung ist ja nur ein
echtes, aber partielles Moment im Erlösungsgeschehen ... Sünde ist
nur ein Teil, ein Stück, eine Möglichkeit im christlichen Leben; und
nicht einmal das Wichtigste" (65). In (offenbar) späteren Beiträgen
spricht G. dann aber auch wieder von der Gefahr, „Religion zu seelischer
Hygiene zu degradieren" (61), differenziert das Verhältnis von
Psychotherapie und Religion (1100 und spricht von der Notwendigkeit
einer Unterscheidung des „Christlichen" (138) von Elementen
von Natur-Religion.

Das Buch vermittelt ein cindrückliches Bild vom Ringen eines
engagierten Pastoraltheologen um einen sinnvollen und hilfreichen
Dienst der Seelsorge in der Gegenwart. Der Zugang wird allerdings
durch Mängel erschwert, die dem Verlag anzulasten sind. Es fehlen
neben gliedernden Überschriften für die Hauptteile die Daten der
Erstpublikation der Einzelbeiträge, ohne die ein tieferes Verständnis
der Lebensarbeit G.s kaum erreicht werden kann, die Bibliographie
beschränkt sich auf die Hauptschriften aus 56 Jahren. Eine sprachliche
und typographische Schlußkorrektur (Druckfehler!) fand offenbar
nicht statt. Eine würdigere Verpackung hätte dieses Geburtstagsgeschenk
wohl verdient.

Stuttgart Reinhard Schmidt-Rost

Lutz, Bernd: Umkehr als Prozeß ständigen Neu-Werdens. Praktischtheologische
Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen christlich
motivierter Erneuerung. Würzburg: Echter 1989. XVI, 629 S.
gr. 8° = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 3. Kart. DM
72,-.

Vorab sei festgestellt, daß es sich bei dem Buch von Bernd Lutz,
zugleich eine Bonner Dissertation, m. E. um eine Untersuchung handelt
, die, obwohl sie einerseits ganz und gar in katholischer Theologie
und katholischer Kirche angesiedelt ist, andererseits auch für evangelische
Theologie und Kirche von allergrößtem Interesse ist. Obwohl
an das Buch durchaus auch kritische Fragen zu stellen sind, vermittelt
es uns doch Einsichten und Erkenntnisse, die die praktische Theologie
beider Konfessionen nicht ungestraft ignorieren kann.

Trotz des großen Umfanges und einer gewissen Redundanz liest
sich die Untersuchung dank einer klaren und sehr detaillierten Gliederung
- das Inhaltsverzeichnis umfaßt elf Seiten - und dank zahlreicher
Zusammenfassungen und Ergebnisbilanzierungen erfreulich gut.

In einer Einleitung wird klar und anregend das grundsätzliche
Anliegen und der Weg der Untersuchung geschildert. Der Titel ist
durchaus aussagekräftig. Es geht - in der notwendigen Verkürzung
gesagt - um die Überwindung eines individualistisch verengten und
einseitig auf Sündenvergebung orientierten Büß- und Bekehrungsverständnisses
zugunsten eines Umkehrverständnisses, das als ständiges,
an Jesu Botschaft von der Gottesherrschaft orientiertes, umfassendes
Neuwerden aus Glauben charakterisiert wird. Dabei liegt ein starker
Nachdruck der Arbeit, und das macht sie zu einer praktisch-theologischen
, darauf, unter Rückgriff auf sowohl psychologische als auch
soziologische Erwägungen realistisch die Bedingungen solchen Neuwerdens
zu untersuchen, wobei die unlösliche Wechselbeziehung
zwischen Strukturen des Individuums und Strukturen der Gesellschaft
stark betont werden. Es ist ein in Theologie und Kirche häufig
gemachter Fehler, einseitig ein lineares Ursacheverhältnis von der
Bekehrung des einzelnen zu einer Erneuerung der zwischenmenschlichen
und gesellschaftlichen Verhältnisse zu postulieren. Dabei ist es
nicht einmal zu vermeiden und auch theologisch legitim, daß der ständige
gesellschaftliche Wandel sogar das Verständnis der Inhalte christlichen
Glaubens beeinflußt (vgl. 213,209), ganz abgesehen davon, daß
jeder Mensch notwendigerweise - trotz aller Orientierung am tradierten
Glauben - nur ein auf Auswahl beruhendes subjektives Glaubensprofil
entwickeln kann (515).

Im „I. Teil: Zum gegenwärtigen christlich-kirchlichen Umkehrverständnis
" werden kirchlich-offizielle Dokumente seit dem II. Vatika-
num sowie Predigten und Religionsbücher auf ihr Umkehrverständnis
hin untersucht. Es ergibt sich: „In christlich-kirchlichen Texten
wird der Umkehrweg in der Regel als ein lineares Geschehen gezeichnet
, das bei der inneren Bekehrung des je einzelnen Menschen ansetzt
und von dort, quasi automatisch, über entsprechende Vcrhaltens-
änderungen zur Gesellschaftsveränderung führt" (91). Positive Ausnahmen
stellen u. a. der Beschlußtext der lateinamerikanischen
Bischöfe von Puebla dar und im Hinblick auf ein Umkehrverständnis
als ständige Erneuerung auch die gemeinsame Synode der deutschen
katholischen Bistümer. Leider fehlen in diesem Abschnitt weithin die
Jahreszahlen, deren Kenntnis einfach vorausgesetzt wird bzw. aus
dem Erscheinungsdatum der angegebenen Literatur erschlossen werden
muß, ein Schönheitsfehler, der leicht zu vermeiden gewesen
wäre.

Im II. Teil wird „das biblische Verständnis ständigen Neu-Werdens
" in Auswertung der entsprechenden katholischen und evangelischen
Literatur dargestellt. Es ergibt sich u. a„ „daß der Umkehrruf
keinesfalls Mitte und Zentrum der Verkündigung Jesu ist" (126), sondern
„daß der spezifische Umkehrruf Jesu in der Verkündigung der
Gottesherrschaft impliziert ist" (131), aber bewußt unter Absehung
zeitgenössischer Umkehr-Termini formuliert wurde. Das Verständnis
dieser Gottesherrschaft wird sehr sorgfältig nachgezeichnet. Von
konstitutiver Bedeutung für die Arbeit von Lutz ist dabei m. E. ein
Doppeltes: I. Die Gottesherrschaft ist - ungeachtet des Aspektes
ihrer Verborgenheit - ein im Handeln der Jünger erfahrbarcs Ereignis
und muß im Handeln der Christen immer wieder für die Menschen
erfahrbar gemacht werden (vgl. 142 f; 184); das ist für die Zukunft der
Kirche von außerordentlicher, entscheidender Bedeutung (545).
2. Die Gottesherrschaft ist - als noch ausstehend und niemals durch
menschliches Handeln adäquat herstellbar - ein ständiges kritisches
Korrektiv menschlichen Handelns und menschlicher Zustände (vgl.
184-188). Aus diesen beiden Prämissen ergibt sich dann, daß die Gottesherrschaft
im alternativen, innovativen Handeln von Christen,
insbesondere christlicher Gruppen-was vorallem im III. und IV. Teil
eingehend begründet und dargestellt wird (vgl. 554/555) -, für die
Menschen unserer Zeit plausibel und überzeugend erfahrbar wird. Die
große Gefahr und Versuchung für die Kirche ist demgegenüber, daß
sie sich allzusehr auf die kompensatorische und integrative, stabilisierende
Funktion christlichen Glaubens festlegen läßt. Das sichert ihr
als Volkskirche z. Z. zwar gesellschaftliche Anerkennung, wäre aber
ein Versagen sowohl im Hinblick auf die Botschaft von der Gottesherrschaft
als auch im Hinblick auf die unabdingbar notwendigen
gesellschaftlichen Veränderungen angesichts der tiefen Krisen unserer
Zeit und würde deshalb den christlichen Glauben auf Dauer zur
Belanglosigkeit verkommen lassen (vgl. 545-561).

Hier seien nun zwei kritische Fragen eingeschoben. Ganz sicher
spielt im Hinblick auf die Überzeugungskraft christlichen Glaubens
das, was Lutz die Erfahrbarkeit der Gottesherrschaft nennt und die
von ihm eben nicht unwesentlich als - sicher sehr abgekürzt gesagt -
eine Art innovativer Vorbildlichkeit alternativer Christen verstanden
wird, eine sehr wichtige Rolle. Lutz ist sehr bemüht, sich da keine
Gesetzlichkeit einschleichen zu lassen. Die Prärogative Gottes und
das Reaktive christlichen Handelns werden nachdrücklich betont.
Trotzdem wünschte ich mir hier detailliertere Untersuchungen darüber
, inwiefern es berechtigt ist, Erfahrbarkeit der Gottesherrschaft
grundsätzlich und praktisch derartig stark an einem unterscheidbar
vorbildlichen Handeln der Christen festzumachen. Es sei - um Platz
zu sparen - auf meinen knappen Problemhinweis zu dieser Frage im
Handbuch der Seelsorge,41990, im Abschnitt „Zweifel als Ausdruck
des Anstoßes und der Enttäuschung an Kirche und Christen sowie am
eigenen Zustand" verwiesen.

Noch wesentlicher und wichtiger scheint mir die andere Frage, ob
nicht doch - gewiß vom Anliegen der Arbeit her, eine „umkehrfördernde
Pastoral" zu entwickeln (300), verständlich - zu einseitig die