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Ausgabe:

1991

Spalte:

868-869

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Kranemann, Benedikt

Titel/Untertitel:

Die Krankensalbung in der Zeit der Aufklärung 1991

Rezensent:

Piper, Hans Christian

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11

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Schritte liturgischer Innovation" vorschlägt, will der Vf. jedoch
verhindern, daß es zu einem „affirmativen Verhaftetsein in der
vorliegenden Situation " kommt (239). Bei der Ausarbeitung dieser
„kleinen Schritte" folgt er den Kriterien, die er eingangs formuliert
hat; so ergibt sich aus dem Christusbezug u.a. die Notwendigkeit
einer Reform (nun doch!) der Taufpraxis („ Rückkehr
zu festen Taufterminen", 240), ein Ernstnehmen „der Taufe als
Abendmahlsadmission" (241; Konsequenz: Kinderabendmahl!)
sowie - ganz allgemein - die „Forderung nach umfassender Beteiligung
aller Sinne und möglichst vieler Ausdrucksformen"
(243). Das Kriterium der „Verständlichkeit und Gemeinschafts-
dienlichkeit" verlangt u.a. nach der „Integration der Kinder in
den Erwachsenengottesdienst" - samt den liturgischen Konsequenzen
, die sich daraus ergeben (253).

Wenn der Vf. im abschließenden Kapitel darauf insistiert, daß
Liturgiereform nur als Teil einer Kirchenreform sinnvoll und
möglich ist (260ff), kann ihm nur zugestimmt werden. Wichtig ist
sein Hinweis darauf, daß auch die Liturgie ihrerseits einen unentbehrlichen
Beitrag zur Kirchenreform zu leisten vermag, so sie
denn für eine ganzheitliche, die „Identität christlichen Glaubens
" (262) darstellende und verbürgende Kommunikation des
Evangeliums Sorge trägt.

Einige Feststellungen sollte der Vf. unter Umständen noch einmal überprüfen
:

Die gemeinte Agende erschien 1822 (65). - Ekklesiologisches „Organismusdenken
" begegnet bereits im 19. Jh. (J. A. Möhler u.a.; 70). - Es gibt
auch die Gruppe der nicht an die Siebentagewoche, sondern an den solaren
Kalender gebundenen Herren- und Heiligenfeste (79). - Der Verzicht auf
die Behandlung des Stundengebets ist auch für eine evangelische Liturgik
unvertretbar; die angeführte Begründung ist fragwürdig (79). - Die Inanspruchnahme
der,. Frühlingsgöttin Ostara" für die Deutung von „Ostern"
ist umstritten (93). - Die Entfaltung des Osterfestkreises kann keineswegs
allein auf die Tauf- bzw. Photizomenatspraxis zurückgeführt werden. Tod
und Auferstehung Jesu werden ursprünglich nicht „gleichzeitig", sondern
als Einheit begangen (93). - Der spätere Sprachgebrauch, nach dem die
Matutin in den letzten Nachtstunden den Gemeindelaudes vorausgeht, ist
zu berücksichtigen (94). - In der Osternacht finden sich nicht „ Reste vom
Stundengebet"; vielmehr gilt sie als „Mutter aller Vigilien" (98). - Beim
üraduallied müßte etwas genauer auf die Praxis des responsorialen Psalmengesangs
wie auf die Geschichte der Zwischengesänge überhaupt eingegangen
werden (117); ursprünglich ist das Hallcluja Gesang iwdcm Evangelium
. Nach der Agende antwortet die Gemeinde mit dem Halleluja. dazu
kann der vom Chor gesungene Vers treten (127). - Der Introitus ist einer
der Prozessionsgesänge; die Bezeichnung „biblisches Gebet" erfaßt diese
Funktion nicht (1 18): auch bringt er-außer zu den Festen - nicht „den besonderen
Charakter des Sonntags zum Ausdruck". Die Benennung der
Sonntage nach dem Anfang der Antiphon hatte eher technische Gründe
und führte erst sekundär (vgl. Kantate!) zu einer Art Sonntagsthema (1210-
- Das sog. Laudamus ist kein eigener Gesang, sondern Teil des Gloria-
Hymnus, EKG 131 eine strophische Umdichtung (124). - Wieso ist der
Kyrie ein „früheres Propriumsstück"? (119). - Das Agnus Dei ist ursprünglich
Gesang zur Brotbrechung (119). - Die Deutung der collecta in
diesem Sinne ist nicht sichert 124). - Das Verhältnis von Predigt- und Lesepen
kopen reihen (drei nach dem Lektionar von 1978!) muß differenzierter
dargestellt werden (126); die in Deutschland übliche jährliche Wiederkehr
der Leseperikopen bietet wohl noch bessere Lernvoraussetzungen als der
römische Dreijahresturnus (240). - Das Fürbittengebet rückte nicht
„immer mehr in den eucharistischen Teil"; sein Wegfall - bis auf Karfreitag
- hängt wohl eher mit Stellung und Geschick der Kyrie- Litanei zusammen
(132). - Form B bettet die Einsetzungsworte in das Eucharistiegebet
(mit Anamnese) ein (133).- Präfation ist nicht Bezeichnung für das Hochgebet
insgesamt, sondern - römisch - Tür den Teil vordem Sanctus( 134). -
Nach Agende I werden die vasa sacra rar der Präfation bereitet (135). -
Luther wünscht sich in der Deutschen Messe die Einsetzungswortc zugleich
alsSpendeformeln (137). - Der Begriff „Stationsgottesdienst" hängt
mit dem System der römischen Stationskirchen zusammen (198). - Die
Taufskrutinien - ursprünglich Glaubensprüfungen, später hauptsächlich
cxorzislischcn Charakters - finden an Sonntagen (in Rom später an Werktagen
) der Quadragesima statt (207).

Berlin Karl-Heinrich Bicritz

Kranemann, Benedikt: Die Krankensalbung in der Zeit der Aufklärung
. Ritualien und pastoralliturgische Studien im deutschen
Sprachgebiet. Münster/W.: Aschendorff 1990. XXXlX.
440 S. gr. 8° - Liturgiewissenschaftliche Quellen und Forschungen
, 72. Kart. DM 98,-.

Diese von der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster im
Wintersemester 1988/89 angenommene Dissertation setzt die
Tradition der auf hohem wissenschaftlichen Niveau stehenden
katholischen liturgiewissenschaftlichen Arbeiten fort. Dabei ent-
behrt sie nicht der Aktualität. Im Zusammenhang mit der verstärkten
Besinnung auf die Kranken- und Krankenhausseelsorge-
die seit zwanzig Jahren sowohl in der evangelischen als auch in
der katholischen Theologie zu beobachten ist, ist auch die Diskussion
um die Krankensalbung neu aufgelebt.

Dabei macht die vorliegende Arbeit ein weiteres Mal deutlich-
daß die Probleme, vor denen wir heute stehen, bereits im Zeitalter
der Aufklärung formuliert und diskutiert worden sind und zu
Reformbestrebungen geführt haben, von denen hilfreiche Impulse
für die Gegenwart ausgehen können.

Damit ist schon angedeutet, daß der Vf. sich von einer weit
verbreiteten negativen Beurteilung von Erneuerungsbestrebungen
in der Aufklärung absetzt. Dadurch wird der Blick frei für
eine unbefangene, vorurteilsfreie Würdigung der liturgischen
Texte und ihrer Interpreten. Eine weitere methodische Vorentscheidung
ist wichtig und prägt die ganze Arbeit: Der Vf. sprengt
die ausschließlich textorientierte liturgiegeschichtliche Arbeitsweise
. „Liturgie ist mehr als Wort, ... sie ist ein Gesamtgeschehen
, ... eine Praxis der Kirche und somit des Menschen" (Zitat
von Häußling, S. 10). So wird das soziokulturelle Umfeld der Liturgie
mit in die Untersuchung einbezogen (2. Teil, 13-99). In der
Tat ist die Praxis der Krankensalbung vom Mittelalter bis 1800
nicht zu verstehen ohne den Hintergrund der völlig unzureichenden
medizinischen Versorgung der Bevölkerung und der hohen
Sterblichkeitsrate, was zu einem kaum zu überwindenden Fatalismus
führen mußte, sodaß die Krankensalbung den Charakter
der „letzten Ölung" erhielt. Durch die Fortschritte der Medizin
und die Reformbestrebungen des Gesundheitswesens in der Aufklärung
sahen sich auch die Priester pädagogisch herausgefordert
. Die Krankheit war nun nicht mehr mit Notwendigkeit Vorbote
des Todes, Gesundheit wurde zu einem Gut, für das es sich
einzusetzen lohnte. So verlagerte sich der Akzent auf die Krankensalbung
zum Heil und zur Heilung des Menschen. Das Sakrament
geriet in den Spannungsbogen zwischen den aufgeklärten
Schichten der Bevölkerung, die der Liturgie skeptisch gegenüberstanden
, und der nicht aufgeklärten Bevölkerung, die am Althergebrachten
festhielt.

Besondere Aufmerksamkeit kann der 4. Teil: „Die Theologie
der Liturgie der Krankensalbung" (306-334) für sich beanspruchen
. In diesem Kapitel hätte der Vf. auch auf die Leidenstheologie
des Mittelalters zurückgreifen können, die ihren Einfluß
durch die Kontinuität der liturgischen Texte bis in die Aufklärung
und über sie hinaus bewahrt hat. Diese - sich vielfach aus
den Quellen mittelalterlicher Leidensmystik speisende - Theologie
durchkreuzt immer wieder aufklärerische Tendenzen. Wenn
der Vf. mehr beiläufig bemerkt, daß die Rolle des Priesters wie
die Liturgie nicht ganz und gar in den aufgeklärten pädagogischen
Tendenzen aufgehen (332), so gilt dies auch für die Theologie
der Liturgie der Krankensalbung. Hier würden etwa die wichtigen
Arbeiten von Alfons Auer zur Leidenstheologie des
Mittelalters weitere Gesichtspunkte liefern.

Den umfangreichsten Teil der vorliegenden Arbeit bildet die
differenzierte und übersichtliche Darstellung des liturgischen
Materials (3. Teil, 100-305), zusammen mit einem Anhang
„Ausgewählte Formulare" (340-414).

Die Arbeit ist gut lesbar und könnte zu ähnlichen Untersuchungen
auf dem Felde evangelischer Theologie anregen, etwa