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Ausgabe:

1991

Spalte:

861-863

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Handbuch der Predigt 1991

Rezensent:

Münchow, Christoph

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11

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lst- daß er. der gegen jedes Vorlesen und ganz ausschließlich für
das freie Reden und das freie Erzählen plädiert, am Ende einer
Alchen Beispiel- und Musterpredigt einen 24-Zeilen-Text seiner
Gernemde ganz ordentlich vorliest. Ich gestehe, daß die Predigt
m'ch weder in ihrer Form besonders gepackt noch in ihrem Inhalt
besonders überzeugt hat. Aber ich habe sie natürlich nur ge-
^en. nicht gehört.

Jena Klaus-Pctcr Hcrtzsch

Handbuch der Predigt. Bearb. von K.-H. Bieritz, Ch. Bunners, H.
Daewel. M. Haustein, J. Henkys, K..-P. Hertzsch, H.-H. Jens-
sen. G. Kehnscherper, E.-R. Kiesow, G. Kretzschmar, W. Saft,
A. Schönherr. H. J. Schulz, E. Winkler, J. Ziemer. Berlin:
Evang. Verlagsanstalt 1990. 624 S. gr. 8°.

•fcr predigen will, stellt sich nicht nur die Frage: Wie? sondern
auch: Ob überhaupt? Warum und wozu? Darum sind die Bezugspunkte
des ,. Handbuchs der Predigt" die Ratlosigkeit, oft auch
Verzagtheit vieler Predigerinnen und Prediger, die Sorge, irgendwann
„leergepredigt" zu sein, die Suche nach Anregungen, um
n,cht in der eigenen Predigtweise „festzufahren" und schließlich
der Wunsch von Studierenden oder „alten Hasen" nach einer
übersichtlichen Information über den gegenwärtigen Stand der
wissenschaftlichen praktisch-theologischen Reflexion zur Predigt
. Die Autoren der sechzehn Beiträge waren bzw. sind in der
Predigtausbildung im Bereich der früheren DDR tätig. Sie setzen
Je nach theologischem Ansatz oder persönlichem Stil ein unterschiedliches
Gewicht auf vier jeweils wiederkehrende Schwerpunkte
: der Predigtauftrag und die Besinnung auf Wesen und
Chancen der Predigt: persönlichkeitsbezogene Erwägungen im
Blick auf den Prediger bzw. die Predigerin; die Hörerais die Gemeinde
sowie die Wahrnehmung und Reflexion der Situation;
die Predigt.

Der als Ouvertüre vorangestellte Beitrag von K.-P. Hertzsch
'-Predigtlehre: Erwartungen und Möglichkeiten", 13ff) läßt die
Notwendigkeit des Persönlichkeits- und sachbezogenen Ansatzes
des Handbuchs erkennen: vier Pfarrer bzw. Pastorinnen mit unterschiedlichen
Predigtansätzen und -erfahrungen kommen miteinander
und mit den Lesenden ins Gespräch. J. Henkys beschreibt
die wichtigsten Ansätze des Predigtverständnisses seit
1933 von K. Barth bis G. Otto (27ff). Über den gegenwärtigen
Stand der Forschung zum Problemkreis „Predigt und rhetorische
Kommunikation" informiert K.-H. Bieritz (63ff).

E.-R Kiesow erörtert in dem Beitrag „Der Prediger" (99ff) pastoralpsychologische
Aspekte, u.a. „Die Frau als Predigerin"
< I lOffi. Es ist wohltuend, daß das Handbuch nicht nur hier darauf
eingeht, daß Frauen als Predigerinnen mit gleichen oder teils
spezifischen Fragen konfrontiert sind. Chr. Bunners wendet sich
mit seinem Beitrag _ Die Hörer" (137ff) den Adressaten der Predigt
zu und folgt damit den Bemühungen um eine hörergemäße
Predigt. Angesichts einer., Hörertypologie" und der Erwägungen
zur „Predigthörkultur" ist jedoch zu bedenken, daß es neben
dem Einfühlen in potentielle Predigthörer („prognostische Imagination
") auch blockierende Projektionen des Predigersauf den
Hörer gibt. Zum Stichwort „Die Gemeinde" (184ff) erörtern G.
Kretzschmar und E. Winkler die Beziehung der Predigt zu anderen
Lebensäußerungen der Gemeinde (z.B. Liturgie, Diakonie,
Seelsorge. Unterweisung. Mission und Ökumene).

J. Ziemer lenkt mit seinem Beitrag „ Der Text" (205ff) die Aufmerksamkeit
von den Persönlichkeits- und gemeindebezogenen
Fragestellungen auf das Schriftwort als Ursprung der Predigt. Er
geht der hermeneutischen Fragestellung nach, die mit dem eigenen
Verstehen beginnen muß. ehe als zweiter Schritt das Verständlichmachen
folgen kann. Die vorzügliche Darstellung neuerer
Formen der Texterschließung wird ebenso willkommen sein
wie die Erwägungen zu einzelnen Arten von Predigttexten, z. B.
zu prophetischen Texten, Gleichnissen und Wunderberichten.
H.-H. Jenssen behandelt „Die Predigt im Jahreskreis" (259ff)
und beleuchtet vernachlässigte Aspekte der Predigttradition besonders
unter volkskundlichen und naturtheologischen Gesichtspunkten
, die zur Diskussion herausfordern. W. Saft behandelt
„Die Predigt im Lebenskreis" (303ff).

E. Winkler („Predigt und Lehre der Kirche", 341 ff) versteht
„Lehre" als Lebensäußerung der Gemeinde. Dementsprechend
entfaltet ergrundlegende theologische Kategorien (z. B. Rechtfertigung
, Heiligung) im Blick auf Übereinstimmungen oder Störungen
„zwischen dem Prediger und Gemeindegruppen oder
einzelnen Gemeindegliedern mit einem besonderen geistlichen
Profil". A. Schönherr erörtert „Veranlassung und Notwendigkeit
der Predigt angesichts der Fragen der Zeit" (379ff). Mit Bezug
auf die „klassische" Dreiämterlehre Christi entwickelt er ein
weitgefaßtes Konzept, das der Beschwörung des Zeitgeistes wie
vorschnellen Analogien ebenso wehrt wie der Einengung auf die
sog. „politische Predigt". Bis hin zu den thesenartigen „Grundlagen
der Friedensethik" ist dieser Beitrag aus den Erfahrungen in
der Zeit der Bekennenden Kirche sowie in den zurückliegenden
Jahren in der DDR erwachsen. Die theologische Fundierung
bürgt für die bleibende Gültigkeit, das Thema wird weiterhin brisant
aktuell bleiben.

Die Reihe der Beiträge zur Predigtgestaltung eröffnet G. Kehnscherper
(„Situationen und Medien der Verkündigung". 409ff).
Er behandelt neben familien- bzw. kindgemäßen Formen der
Verkündigung auch die oft vernachlässigten kleinen homiletischen
Formen. J. Puttkammer steuert Überlegungen zum gedruckten
Wort, Chr. Bunners zur Rundfunkpredigt bei. M. Haustein
befaßt sich mit „Sprachgestalten der Verkündigung"
(459ff), spezifiziert als narrative, dialogische, argumentative,
konfrontative und appellative Predigt. „Der Weg zur Predigt"
(497ff) wird von H. Daewcl beschrieben. Die Abfolge von möglichen
Schritten ist didaktisch sinnvoll mittels Zielformulierungen
, Handlungsanweisungen und Reflexionen konzipiert. H. J.
Schulz („Predigt im Vollzug". 54 lff) gibt als ein Vermächtnis Anleitung
zur theologischen und spirituellen Wahrnehmung. Ohne
zu belehren lehrt er gemeinsam, z. B. mit den vier Praxisexperten
aus Kap. I oder mit Beobachtungen von Gemeindegliedern. Ermutigendes
zu entdecken. Das Kapitel „Aus der Geschichte der
Predigt und der Homiletik" (57lff) von E. Winkler beschließt
das Handbuch.

Das „Handbuch der Predigt" ermutigt diejenigen, die predigen
wollen, und erinnert an Verheißung und Chance der Predigt.
Die Zusammenschau der einzelnen Beiträge ist anregend. Manche
sind stärker sachbezogen informierend, andere persönlich-
keitsbezogen, auf die Leser und ihre Erfahrungen eingehend. Gelegentliche
Überschneidungen sind kein Nachteil, weil sie neue
Sichtweisen zum gleichen Problcmkreis vermitteln. Manchmal
hätten Beispiele den Schritt von der Information zum eigenen
Predigtversuch erleichtert (z.B. zur ethischen Predigt oder zu
den Anregungen aus der Sprechakttheorie) und den didaktischen
Wert des Buches erhöht.

Die Beiträge sind auf dem Hintergrund der Predigtaufgabe in
einer Minderheitskirche mit Resten volkskirchlicher Erwartungen
verfaßt. In den klein gewordenen Gemeinden, in denen
manchmal der Gottesdienst gänzlich ausfallen muß. stellt sich
die Frage nach dem Sinn der Predigt und nach dem Selbstverständnis
des Predigers mit Schärfe. Im Gegenzug zu einer resig-
nativen „Minderheitsmentalität" nehmen die Autoren diese
Fragen konstruktiv auf. Ihre Beiträge haben auch für die Predigt
in Gemeinden mit „funktionierenden" volkskirchlichen Strukturen
Gültigkeit, da sich die Kategorie „Minderheit" nicht rein
rechnerisch bemißt, wie das Leben von Christen als „kognitive