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Ausgabe:

1991

Spalte:

63-65

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Die Finanzen der Kirche 1991

Rezensent:

Langer, Jens

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

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kann die Biologie einen Beitrag zur Normengenese (237) und zur Normenkritik
liefern, insbesondere wenn sich Normen rigoros gegen
natürliche Neigungen wenden. Ethisch bedeutsam werden solche
Erkenntnisse aber immer nur in ihrer Deutung im Horizont eines
„Welt- und Menschenbilds", aus dem allein sich „Werte und aus diesen
wieder Handlungsanweisungen erheben" lassen (240).

„Die methodologische Autonomie der Ethik hinsichtlich ihrer
spezifischen Sollensaussagen bleibt" sowohl gegenüber den Humanwissenschaften
wie auch gegenüber der Theologie unangetastet (246),
d. h. es gibt eine grundsätzliche Erkenntnis des sittlich Gesollten
unabhängig von der „Wertoffenbarung" (lex naturae) (259), aber
keine „in bezug auf den Inhalt völlig autonome Ethik" (270) und
keine überzeugende rationale, sondern letztlich nur eine religiöse Begründung
des sittlichen Sollens. „Falls es keinen Gott gibt, ist alles
erlaubt" (L. Kolakowski, 285). Würde und einzigartiger Wert kommt
dem Menschen „in einem relativistischen Universum" nicht aus sich
heraus, sondern „nur von Gott her zu" (291), und die Offenbarung
seiner Liebe setzt die Geltung des „Selektionsprinzips" für menschliches
Verhalten außer Kraft (296).

Die Frage bleibt freilich, ob, wenn die für die Auseinandersetzung
mit der Soziobiologie entscheidenden Kernpunkte (z. B. die Menschenwürde
der Behinderten, Liebe gegen Selektion u. a.) letztlich
doch nur religiös zu begründen sind, diebreite philosophische Diskussion
über die Sonderstellung des Menschen und die methodologische
Autonomie der Ethik nicht doch deshalb in die Irre führt, weil sie die
Geltung der (christlichen) Ethik von dem empirischen und rationalen
Erweis dieser strittigen Sonderstellung abhängig macht. Eine zusätzliche
Auseinandersetzung, etwa mit den strittigen Thesen Peter Singers
, hätte den Autor zu der Erkenntnis führen können, wie man
gerade idealistisches Denken mit einer eudämonistisch-utilitari-
stischen Ethik vereinbaren und aus idealistischem Denken höchst
widerchristliche Schlüsse ziehen kann. Die evangelische Ethik wäre
nicht gut beraten, wenn sie diesen apologetischen Denkansatz aufnähme
und sich so wie der kath. Autor von der philosophischen
Akzeptanz ihrer Argumente abhängig machte.

Formal mutet die fleißige Arbeit dem Leser vor allem wegen der
Fülle der Zitate und Anmerkungen, die im Anhang abgedruckt sind
(80 S. bei 307 S. Text), einiges zu. Darunter leidet auch die Durchsichtigkeit
der eigenen Argumentation des Autors.

Bonn Ulrich Eibach

Praktische Theologie: Allgemeines

Lienemann, Wolfgang [Hg.]: Die Finanzen der Kirche. Studien zu
Struktur, Geschichte und Legitimation kirchlicher Ökonomie.
München: Kaiser 1989. 995 S. 8° = Forschungen und Berichte der
Evang. Studiengemeinschaft, 43. Lw. DM 120,-.

Ein voluminöser Band wie dieser erschließt sich schwerlich im
Detail durch eine Rezension auf begrenztem Raum. Sie muß sich stärker
noch als bei anderen Veröffentlichungen auf einige Hinweise
beschränken, die dazu anregen, dieses Sammelwerk in eigener Lektüre
durchzuarbeiten bzw. danach wie zu einem Nachschlagewerk von
Fall zu Fall wieder zu greifen. Zu der Nutzung dieser „Studien zu
Struktur, Geschichte und Legitimation kirchlicher Ökonomie" soll
ausdrücklich animiert werden. Dabei dürfte dieses Werk an Aktualität
zunehmend gewinnen. Denn es liefert reichlich Material, das
natürlich ständig ergänzt werden muß, auch für alle, die sich bei der
Altneuanpassung der kirchlichen Finanzen im Osten auf der einen
oder anderen Seite der Kontroverse einsetzen. Dabei bestimmt - so
der Eindruck des Rezensenten - die Macht des Faktischen eindeutig
die Prioritäten, so daß für effektive Reformen, deren Anliegen in dem
Band deutlich zu Worte kommen, wenig Spielraum bleiben dürfte.
Aber diese Beruhigung oder Unruhe - je nachdem - stiften diese
Untersuchungen eben auch. Vielleicht zeigen sich erste Ansätze zu

praktischen Veränderungen im Zusammenhang mit der Etablierung
des Gemeinsamen Marktes, der 1992 auch europäische Angleichun-
gen im Staatskirchenrecht notwendig machen wird. Oder wird das
noch einmal vermieden werden?

Der Hg. will zuerst informieren über Strukturen, Geschichte und
Probleme der gegenwärtigen Finanzen der evangelischen Kirche in
der BRD. Um sich nicht dem Vorwurf einer Einmischung zu unterziehen
, wurde seinerzeit „schweren Herzens auf die Analyse des Finanzwesens
der Kirchen in der DDR verzichtet" (29). Es wird ferner die
Legitimität der Kirchenfinanzen im Blick auf die heutige Gesellschaft
erörtert. Die Wechselwirkungen zwischen theologischen Überlieferungen
, kirchlichen Interessen, rechtlichen Formen und ökonomischen
Bedingungen werden dargestellt. Die theologischen Kriterien
sind also deutlich im Blick. Künftigen Entwicklungen und Überlegungen
zur Reform wird nachhaltig Raum gegeben. Dabei wird
jedoch bewußt Zurückhaltung geübt, wenn es um konkrete Folgerungen
und Empfehlungen geht. „Dem Aufbau der Studien liegt mithin
die Absicht zugrunde, zur Selbstaufklärung evangelischer Kirchen in
Mitteleuropa, speziell in der Bundesrepublik Deutschland, beizutragen
, damit der Spielraum, die Anforderungen und die Rechenschaftspflicht
im Blick auf ihren Umgang mit Geld deutlich werden. Erst
unter diesen Voraussetzungen kann die Erörterung möglicher Reformen
der Kirchenfinanzen eine hinreichende Grundlage finden"
(ebd.).

Es können im folgenden nur einige Beispiele herausgegriffen werden
, die für den Band exemplarisch stehen und auf die samt Hg.-
Einleitung 32 Beiträge von 28 Autoren verweisen sollen.

Peter Bareis, Steuerberater, Inhaber des Lehrstuhls für Steuerlehre
und Revisions- und Treuhandwesen an der Universität Stuttgart-
Hohenheim, analysiert die Kirchensteuereinnahmen der Gliedkirchen
der EKD. Er kommt zu dem Ergebnis, „daß nominell von einem
guten bis sehr guten, teilweise sogar ausgezeichneten Wachstum der
Kirchensteuer" geredet werden kann (82). Die Stärke von Einflußläk-
toren ändere sich jedoch zeitlich erheblich. „Die Richtung dieser
Änderungen ist in der jüngsten Vergangenheit nicht positiv" (ebd.). Er
warnt aber vor Klagen und aus gesamtökonomischen Erwägungen
auch vor Änderungen. Bareis schließt mit der Feststellung, daß die
seines Erachtens „berechtigte Forderung nach einer überzeugenderen
(horizontalen) Verteilung der Lasten auf alle Kirchenmitglieder nach
deren Leistungsfähigkeit ohne Änderung des Gesamtaufkommens
(. . .) entschiedener als bisher diskutiert werden [sollte] "(87).

Die Mittelaufbringung beim einzelnen Träger diakonischer Arbeit
thematisiert Johannes Degen und zeigt deren Komplexität auch
anhand der unterschiedlichen Kapitalformen unter dem „Eigenmitteldach
". Insgesamt wird wohl ohne geistlichen Hochmut dem Urteil
von Johannes Schwerdtfeger zuzustimmen sein, wenn er zur „Legitimation
kirchlicher Finanzen durch werbewirksame Präsentation"
folgert: „Aber bei aller Anerkennung der aufgewendeten Phantasie,
Gefühl und Einsicht der Kirchenmitglieder anzusprechen, und angesichts
der vielfach geschickten werbewirksamen Aufmachung, bleiben
Zweifel, ob die Legitimationsdefizite der Kirchen gerade auch im Hinblick
auf die finanziellen Erhaltungs- und Entwicklungsbedingungen
auf diese Weise ausgeglichen werden können. Deshalb werden sich
die Kirchen fragen müssen, wie sieaufdie Dauer mit dem Problem der
Unähnlichkeit zwischen ihrem geistlichen Auftrag und Wirken und
ihrer administrativ-rationalen Organisation umgehen wollen. Eine
Antwort werden den Kirchen nicht nur ihre formalen, sondern auch
ihre geistlich engagierten Mitglieder abverlangen." (482)

Es reicht also nicht aus, daß die kirchlichen und diakonischen
Haushalte ihren Platz „im liberalen Entwurf der Politischen Ökonomie
" recht gut gefunden haben, sondern sie sind theologisch eben
doch immer noch von ökumenischen und ökologischen Herausforderungen
neu zu bedenken, wie Kristian Hungar betont (776) - es sei
denn, man hielte die empirische Kirche für die bestmögliche. Dabei
erinnert der Gedanke der Studien- und Planungsgruppe der EKD. den
Dieter Kleinmann aufgreift, einen „Grundmitgliedschaftsbcitrag" von