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Ausgabe:

1991

Spalte:

852-853

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Perspectives on human conduct 1991

Rezensent:

Bukow, Wolf-Dietrich

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11

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weis auf die Ökologiedebatte, gerade im Zusammenhang mit dem Golfkrieg
, liegt nahe. Zu bedenken wären z. B. auch Interdependenzen
zwischen bevölkerungspolitischen bzw. sozialgeschichtlichen Fehlentwicklungen
und der Ausbreitung verschiedener Seuchen in vielen „Dritte-
Welt-Landern".

Außerdem hätte vielleicht bei der Kritik an den verschwommenen
Ganzheitsvorstellungen der New-Age-Bewegung und ihrer nicht überzeugenden
Alternative von summativ (analytisch) - ganzheitlich (vgl. 121 fT)
auf die tatsächliche Problematik der analytischen Methode eingegangen
werden können. Diese liegt eben darin, daß niemand alle Aspekte einer
komplexen Ganzheit in den Blick bekommt, so daß die Analyse immer den
Aspekt der Vorläufigkeit aufweist. Das spricht aber nicht prinzipiell gegen
die Analyse, weil ein Verzicht darauf letztlich einem Erkenntnisverzicht
gleich käme. H. ist zuzustimmen, wenn er mit Bacon dafür votiert, beide
Methoden (die der differenzierenden und der ganzheitlichen Betrachtung)
abwechselnd zu vereinen, „um den Geist zugleich scharf und vielumfassend
zu erhalten " ... (122).

Da es in den Arbeiten der o. g. Reihe um ein Unterscheiden aus
dem christlichen Glauben (6) heraus geht, beschließt H. den II.
Teil seines Buches mit dem Titel „Vernunft und christlicher
Glaube" (130-143). Eine seiner wichtigsten Intentionen findet
sich in seinem letzten Satz ausgesprochen: „Was allem Dasein,
ja, dem Sein im Ganzen. Ursprung und Grund gibt, kann keine
Vernunft sagen, weil sie selbst in dieses Dasein verflochten ist.
Aber sie kann ihre Stärke darin erweisen, daß sie dem Glauben,
da sei ein Grund, nicht feindselig widerspricht, sondern ihm den
Weg offen hält." (143)

Ähnlich wie Heller geht auch Türk von der Notwendigkeit zur
Auseinandersetzung mit dem s. E. „oft ironischen, manchmal zynischen
, meistens skeptischen, immer pluralistisch sich verstehenden
postmodernen Zeitgeist" aus, „der trotz allem auf eine
Verwirklichung größerer Freiheit und Menschlichkeit in einer
neuen Nachneuzeit hoffen läßt" (16).

Im ersten seiner sieben Kapitel geht es um „Geschichte als
Heilsgeschichte" (17-36). Sein Fazit ist, daß der „verständlichen
Versuchung, sich der Geschichte zu bemächtigen und sich selbst
an ihrem Wendepunkt zu sehen" (340 widerstanden werden
müsse. Unter anderem schon deshalb, weil Heil kein Ergebnis
menschlicher und gesellschaftlicher Kräfte sei, sondern Gottes
Gabe, für die sich der Mensch allerdings offenhalten muß. (35)

Zur näheren Charakterisierung des Umfeldes der postmodernen
Gedankenwelt dienen Kap. II („Die Postmoderne und die
Kunst", 37-49) und Kap.III („,Posthistoire .postindustrielle
Gesellschaft' und .postmaterielle Werte'", wobei auch die postmoderne
Pädagogik angesprochen wird, 50-62). Im vierten Kapitel
(„Postmoderne Philosophie". 63-79)geht Türkauf Lyotard
und seinen Interpreten Welsch ein. auf die französische „nou-
velle Philosophie" und den Strukturalismus als Gegenbewegung
zum Existentialismus. Danach kommt der italienische Philosoph
G. Vattimo zur Sprache, der im Anschluß an Nietzsche und Heidegger
davon ausgeht, daß die Postmoderne „nicht einfach eine
Überwindung der Moderne sein will, sondern eine .Verwindung'
(nach Heidegger) ..." (75). Sein Pluralismuskonzept gipfelt
darin, daß den Menschen inzwischen einfach nichts anderes
übrig bliebe, „als mit dem anderen, der anderer Ansicht ist, pietätvoll
umzugehen". Denn es sei sinnlos und unmöglich geworden
, den anderen überzeugen zu wollen, wobei dieses Bestreben
sowieso nur eine sublimierte Form von Gewalt gewesen wäre
(76). Zuletzt verweist T. auf R. Rorty. der gleichfalls davon ausgeht
, daß die Philosophie ihre Wahrheitsansprüche nicht mehr
einlösen könne. (78)

Kap.V („Postmoderne als prämodernes Ganzheitsdenken",
80-93) geht auf das Wiedererstehen von Mythos und Gnosis ein.
Dazwischen finden sich Ausfuhrungen zu der in der CIVITAS-
Gesellschaft zusammengeschlossenen Gruppe katholischer Philosophen
, zu denen z. B. Spaemann. Koslowski und Low gehören.
So will Spaemann durchaus das Bewußtsein von Freiheit und

Menschenwürde als Errungenschaft der Neuzeit beibehalten,
aber dies wieder mit einer Metaphysik in der Tradition der aristotelischen
Philosophie verknüpfen. (85)

In Kap. VI („Die Bestreitung eines Endes der Moderne". 94-
113) kommt Habermas mit seiner Kritik an dem „konservativen
" und „anarchistischen" Postmodernismus ausführlich zu
Wort. Speziell referiert wird seine Kritik an Sloterdijk, der (wohl
in Anlehnung an Adorno und Horkheimer) aufklärerische Rationalität
als „zynische Vernunft" bezeichnet, die an allem Unheil
der Moderne schuld sei. Den Intentionen des Vf.s entspricht
gleichfalls die Absage Finkielkrauts an das „postmoderne NichtDenken
". (107)

Der letzte Teil dieses Kapitels ist mit „Christliche Warnungen
" überschrieben. So wird u.a. H. Krings zitiert: „Postmodern
sollte man erst dann werden wollen, wenn man die Moderne -
das ist die Autonomie der sittlichen Freiheit und das neue Verhältnis
von Vernunft und Natur - in einem Prozeß geistigkonstruktiver
Auseinandersetzung und Aufarbeitung realisiert
hat." (112) Und die Kirchen sollen s. E. „nicht der Moderne
nachlaufen, sich nicht von ihr zurückziehen, sondern ihr standhalten
". (113)

T.s. zusammenfassende und von ihm mit Zitaten verschiedener
Autoren belegte These findet sich im letzten Kapitel („ .Posf-
modern als Kritik und Fortsetzung der Moderne": „Was an Postmoderne
sinnvoll genannt werden kann, ist nur die Realisierung
dessen, was in der avantgardistischen Moderne schon angelegt
war. Und: Postmoderne ist die Überzeugung, daß die Vielfalt-
die Pluralität der Werte, der Wahrheiten, der Lebenswelten usw.
nicht nur eine Tatsache, sondern eine unaufhebbare und damit
faktisch legitimierte Signatur unserer Zeit und unserer Zukunft
ist." (115) Worauf es T. aber einschränkend ankommt, ist, daß
sich die „Wahrheit von Ideen und Werten" nicht demokratisch
nach Mehrheiten entscheidet. (126) Darum plädiert er dafür,
daß, ähnlich wie die demokratische Gesellschaft, die in ihrer Pluralität
Erbe der Neuzeit ist, die Christenheit ein anderes, noch
viel weiter zurückreichendes Erbe der Neuzeit bewahrt: „verallgemeinerbare
Ideen der Vernunft und diesen entsprechende
Werte". (131)

H.s „Krise des Denkens" enthält ein Personenregister. T.s „Postmoderne
" ein Personen- und ein Sachregister.

Leipzig Annette Wcidhas

Hertzberg, Lars, and Juhani Pietarinen/Ed./: Perspectives on
Human Conduct. Leiden-New York-Kopenhagen-Köln : Brill
1988.VII, 176S.gr.8 = Philosophy of Historv and Culture. 1-
geb. hfl 64.-.

Der vorliegende Sammelband enthält Vorträge, die auf einem
Symposium der Äbo Academy anläßlich des 70sten Geburtstags
von Georg Henrik von Wright 1986 gehalten wurden. Die mit
zwei Ausnahmen hier erstmalig veröffentlichten Beiträge kreisen
alle - von Norman Malcom über Frederick Stoutland. Anthony
Kenny, Jacob Meloe, Peter Winch, Thomas Nagel bis Albrecht
Wellmer - mehr oder weniger eindeutig um die Frage nach den
Bedingungen der Möglichkeit einer angemessenen Verständigung
über menschliches Handeln. Ausgangspunkt der durchaus
spannend aufgemachten Beiträge ist der Vortrag von Malcom
über Mind and Action, auf den von Wright entgegnet. Während
der letztere Mind und Action zu parallelen Erscheinungen stilisiert
, beharrt der erste darauf, es handele sich um zwei Seiten der
gleichen Sache; Handlungen seien niemals ohne Rückgriff auf
Motive und Absichten deutbar, ablesbar am surrounding (Wittgenstein
). Das zielt natürlich gegen den Versuch, die Bedeutung
des Sinn verstehens beim Handeln zu ignorieren. Von dieser Kontroverse
her schlägt Stoutland einen weder behaviouristischen