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Ausgabe:

1991

Spalte:

845-847

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Reimer, Allen James

Titel/Untertitel:

The Emanuel Hirsch and Paul Tillich debate 1991

Rezensent:

Schjorring, Jens Holger

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11

846

v'elfältige ausführliche Erläuterungen von Zusammenhängen,
speziell auf Grund der neu berücksichtigten Materialien und
. v'eles andere mehr;
^'ne immense Arbeitsleistung der Bearbeiter, weshalb auch B.
oster und K.-O. Strohmidel als Mitherausgeber genannt sind,
nefregister sowie Personen- und Ortsregister erleichtern wiederum
die Benutzung.

Ebenfalls wie bei den vorausgegangenen Bänden erschließt
^ne 21 seitige „Einleitung" des Haupthg.s die Vorgänge jener
ahre. in denen sich nach den Anfangswirren und -Schwierigkeiten
eine beachtliche Konsolidierung jener Gemeinden am jewei-
'gen Ort und in Gemeinsamkeit abzeichnet. Das unvcrgleichli-
Cne persönliche Engagement Mühlenbergs tritt dabei an Hand
Zitaten bewegend konkret vor Augen. Da sich in diesem
eitraum bereits die Vorwehen des Unabhängigkeitskrieges abzeichnen
beginnen, erwartet der Leser gespannt die Fortset-
*ung dieser Ausgabe, zumal man durch das nunmehr zur Verfügung
stehende, vorbildlich aufbereitete Material zu weiteren
°rschungen geradezu ermuntert wird.

Chemnitz Hermann Winde

Weimer, A. James: The Emanuel Hirsch and Paul Tillich Debate.

A Study in the Political Ramifications of Theology. Lewiston-
Queenston-Lampeter: Mellen 1989. XIX, 384 S. gr. 8 -= Toronto
Studies in Theology, 42. LW $ 79.95.

Das vorliegende Buch ist ein neues Zeugnis des wachsenden
'nteresses. welches in Nordamerika an der Erforschung der modernen
Theologie und der kirchlichen Zeitgeschichte in Deutschland
wahrgenommen werden kann. Bereits vor einigen Jahren erschien
von Robert P. Ericksen: "Theologians under Hitler", (dt.
Ubers. 1986).

Beide Bücher verdienen es, als pädagogisch vermittelnde Darstellungen
in der englischen Sprachwelt Beachtung zu finden.
Darüber hinaus werden sie aber hoffentlich auch in Deutschland
ein gutes Echo finden.

Wie der Vf. selbst in der Einleitung berichtet, ist er seinerzeit
Hut folgender Arbeitshypothese an das Projekt herangegangen:
mit Hilfe von Tiilichs Kritik an der dem Nationalsozialismus
verfallenen Theologie könne man definitiv die Irrlehre von
Hirsch klarmachen. Je mehr er sich jedoch in die Thematik eingearbeitet
hat. desto stärker trat ihm die Komplexität vor Augen. Ja
er ist sogar so sehr von Hirsch fasziniert, daß er ihn nunmehr als
one of the most impressive and enigmatic of German theologi-
eal scholars of this Century" würdigen kann. Ziel der Untersuchung
ist es somit nicht, eine Wahl zwischen den Hauptpersonen
zu begründen, vielmehr beide gleichermaßen kritisch zu analysieren
.

Das wesentlichste Material ist die öffentlich ausgetragene Polemik
1934-1935. die bereits in mehreren früheren Untersuchungen
behandelt worden ist. Die Beziehung zwischen Hirsch
und Tillich in ihren jungen Jahren war ebenfalls in der Publikation
von H.-W. Schütte dokumentiert. Dieses Material ist nun
aber von J. Reimer in mehrfacher Hinsicht ergänzt; zum einen
hat ihm der Betreuer des Hirsch-Nachlasses in Hannover. Walter
Buff. wesentliche Briefe und Informationen zur Verfügung gestellt
, zum andern hat er in dem Tillich-Nachlaß an Harvard Di-
vinity School. Boston, wesentliche Funde gemacht.

Der erste Teil gibt ein biographisch-intellektuelles Porträt von
beiden. Ihre persönliche Freundschaft sowie die strukturelle Parallelität
im Verständnis reformatorischer Theologie und des
deutschen Idealismus werden dargestellt. Wegen unterschiedlicher
Beurteilung des I. Weltkrieges und der darauffolgenden gesellschaftlichen
Umwälzungen tritt jedoch zunehmend Uneinigkeit
ein. Die Unterschiedlichkeit erreicht in der Zeit der
nationalsozialistischen Herrschaft einen dramatischen Höhepunkt
. Während Tillich bereits im Jahr der Machtergreifung Hitlers
Deutschland verlassen muß, erlebt Hirsch (nicht weniger bekannt
) das Jahr 1933 als eine Epochenwende, welche die geschichtliche
Chance bietet, das Christentum mit Volk und Staat
in einen festgefügten gegenseitigen Bezug zu bringen.

Im zweiten Teil(123-249) werden die Positionen noch einmal
untersucht, jetzt aber eher im Sinn einer systematischen Standortbestimmung
. Dabei rückt das Ineinander von Strukturähnlichkeit
und Sachdifferenz betont ins Zentrum. Kontinuität und
Diskontinuität über 1933 hinweg werden erwogen. Geblieben ist
bei Tillich eine „Paradoxalität" und ein gegenseitiger Bezug von
geschichtlicher Diesseitigkeit und jenseitiger Offenbarungs-
mächtigkeit. während bei Hirsch eine „Dialektik" zwischen natürlicher
Geschichtlichkeit und unbegreifbarer Jenseitigkeit vorherrscht
.

Im dritten Teil (253-323) wird die komparierende Methode
auf die Streitschriften aus den Jahren 1934-1935 angewandt. Im
Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob Tillichs erbitterter Vorwurf
gegen Hirsch, dieser habe wissentlich die Begrifflichkeit des Religiösen
Sozialismus übernommen, zugleich aber auch unerkennbar
gemacht und entstellt, begründet ist. J. Reimer hält Tillichs
Anklage für teilweise unberechtigt, weil er die Hauptthese vertritt
, daß bei Hirsch andere theologische Gesichtspunkte den
Ausschlag geben. Dies ist auch der Grund, weshalb Reimer nicht
ohne weiteres bereit ist, die Überschrift „Politische Theologie"
gelten zu lassen, schon gar nicht in der Weise, in der es bei Klaus
Scholder in dessen monumentalem Hauptwerk geschehen ist.
Denn für Reimer sind es nicht etwa politische Vorentscheidungen
, die allein Hirschs Standpunkt erklären können, sondern wie
bereits angedeutet vor allem sein theologisches Hauptmotiv.
Dies ändert allerdings nichts daran, daß Tillich das Verdienst
hat, die Gefahren des Nationalsozialismus klar und früh erkannt
und zum Ausdruck gebracht zu haben.

In der Zusammenfassung wird aber bei beiden ein systematisch
- theologisches Ungenügen gesehen. Statt dessen wird -
etwas unvermittelt im Blick auf die vorausgegangene Untersuchung
- Karl Barth hervorgehoben, weil dessen eher orthodoxe
Dogmatik in höherem Maße eine Schutzwehr gegen ideologische
Verfremdung bieten konnte.

Hinsichtlich der Hauptfrage wird die sorgfältig abwägende
Analyse jedoch zu einem überzeugenden Ergebnis gebracht.

Sprachlich und stilistisch ist das Buch ebenfalls in mancherlei
Hinsicht gelungen. Die Darstellung ist klar und fließend, an entscheidenden
Stellen werden ausführliche Originalzitate gebracht.
Allerdings bringt der etwas komplizierte Aufbau mit sich, daß
manche Themenbereiche zwei- oder sogar dreifach behandelt
werden. Dies macht hier und da das Lesen etwas mühsam, was
noch dadurch verstärkt wird, daß einige Textreferate unnötig
ausführlich sind.

Vom Inhalt her ist die Abhandlung meistens zuverlässig. An
ein paar Stellen scheinen jedoch die so lobenswerten generellen
Übersichten zur Zeitlage eine schmale Basis zu haben; dies gilt
z.B. hinsichtlich der Entwicklung nach dem [. Weltkrieg. Hier
wird keine Quelle herangezogen, sondern lediglich auf S. William
Halperin "Germany tried Democracy" verwiesen (I39ff). Dieser
1946 erstmals veröffentlichte Essay mag als klassisch gelten; es
wäre gleichwohl am Platze gewesen, ihm mit Ergebnissen aus der
Fülle der neueren einschlägigen Forschungsliteratur zu vergleichen
. Hinzu kommt, daß Reimer die Krisensymptome aus der
Anfangsphase der Weimarer Republik einseitig hervorhebt:
"The Republic however seemed do be crisis ridden from the
start "(141). Diese Sicht ist allzusehr von einer Schau im Nachhinein
bestimmt und läßt dadurch eine republikfeindliche Position
wie die von Hirsch eindeutiger und besser begründet erscheinen,
als das gerechtfertigt ist.

Der Rez. sollte vielleicht der letzte sein, der gegen Reimer Ein-