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Ausgabe:

1991

Spalte:

840-841

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Diversorvm Postchalcedonensivm avctorvm collectanea 1991

Rezensent:

Winkelmann, Friedhelm

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leben (1020- Demnach ist auch die Heidenmission (Paulus!) lediglich
als ein „ Zwischenspiel", d. h. als ein bloßer „ Umweg Gottes
" zu Israel zu betrachten (296); „denn Gott hat die Väter (Israels
) erwählt und geliebt, und deshalb bleibt seine Liebe
unwiderruflich auch ihren Nachkommen zugewandt" (178).

Bis zu diesem Punkt ist die Arbeit mit rühmenswertem Fleiß,
souveräner Umsicht und bemerkenswerter Einfühlung durchgeführt
. Dagegen erfolgt mit dem letzten Abschnitt (Paulus
zwischen Juden und Heiden, 290ff), ein so unerwarteter politisch
-theologischer Sprungschluß, daß eine kritische Auseinandersetzung
nicht zu umgehen ist, dies um so weniger, sofern
alles Bisherige offenbar nur als ein (freilich überlanger) Anmarsch
auf das letzte Kapitel anzusehen ist. Die Vfn. möchte
nämlich den Origenes-Kommentar abschließend dahin aktualisieren
, daß die hier entfaltete Paulusinterpretation als Brücke
und Handreichung zur gegenwärtigen christlich/jüdischen
„Aussöhnung" (292) i.S. des Vaticanum II (295) zu betrachten
sein soll. Der wiederentdeckte „Jude Paulus" und die Heidenchristen
) als „Juden ehrenhalber" (294 u. 298), dies scheint
hierfür die verbindende biblische Vorstellung zu sein. Hierfür
werden neben Lapide, Mußner, Ben-Chorin u.a. auch O. Betz,
E. Peterson und K. Stendahl als Zeugen aufgerufen. Freilich
steht der „jüdischen Paulusdeutung" (292) die abendländische
Gnaden- und Rechtfertigungslehre, zumal in der Gestalt Augu-
stins und Luthers diametral entgegen (293ff), sofern sie das
(nach Origenes ganz anders gemeinte) „Gesetz" zur „Sünden-
und Todesmacht" (297) negativiert hat, womit eine christlichjüdische
Verständigung natürlich aussichtslos wird. In der Tat
bedeutet diese Auffassung nach Ansicht der Vfn. eine folgenschwere
„Einengung" und „Verschiebung" (2930 des von Pau-
lus/Origenes ursprünglich Gemeinten, die wiederum so unmittelbar
mit den „furchtbaren Ereignissen ... der nationalsozialistischen
Ära", d.h. mit dem „Ereignis des Holocaust"
(290 u. 294) in Beziehung gebracht wird, daß der Eindruck entstehen
muß, das eine sei die Kehrseite des anderen.

Nun würde es über den Rahmen einer Rezension freilich weit
hinausgehen, wollte man über das hier angeschlagene hochbrisante
politische Thema in eine extensive Auseinandersetzung
eintreten. Statt dessen nur wenige Gesichtspunkte:

1) Entscheidend für alles, was die Vfn. darlegt, ist - wie anfangs
gesagt - die biblisch/patristische Engführung zwischen Paulus/
Origenes (bzw. Christus/Paulus/Origenes), damit aber zugleich
auch die Neigung der Vfn., die apostolische Autorität des Paulus
mit der Position des Origenes derart ineinanderzuschreiben, daß
Paulus und Origenes aussagemäßig kaum zu unterscheiden sind.
Um es dogmatisch zu präzisieren: „Schrift" und „Tradition"
werden so intensiv ineinander verschränkt, daß es dabei zu
einem deutlichen Übergewicht der „Tradition" (Origenes) über
die Schriftaussage (Paulus) kommt. Daß der Römerbrief ohne die
origenistische Emulsion ein ganz anderes Paulusbild an die Hand
gibt, bedarf hier keines Wortes.

2) Ein weiterer Problempunkt der Arbeit ist sodann der komplexe
Begriff der „Heilsgeschichte", d.h. in diesem Fall die
Alternative zwischen vorwiegend „theologischer" und „anthropologischer
" (um nicht zu sagen: „ethnologischer") Paulusinterpretation
. Wird der Römerbrief unter der Dialektik von
„Gesetz und Evangelium", d.h. protestantisch verstanden, so
ist Gott in beiderlei Hinsicht das alleinige „theologische" Subjekt
, Paulus der Interpret. Wird der Römerbrief dagegen i. S. der
Vfn. als „dramatische Auseinandersetzung" zweier heilsgeschichtlicher
Völker verstanden, so sind Juden und Heiden die
beiden einander widerstreitenden Subjekte. Paulus der „Schiedsrichter
". Das ethnologische Gewicht der Darstellung wird überdies
noch dadurch verstärkt, daß die Vfn. die endzeitliche Apo-
katastasis Israels nach Rom 11 mit der jüdisch/christlichen Verständigung
der Gegenwart kontaminiert. Damit aber läuft die

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hier empfohlene Zurückstellung der reformatorischen Rechtfertigungslehre
zugunsten der „Aussöhnung" mit Israel faktisch auf
die Preisgabe des evangelischen Glaubens überhaupt, mithin auf
die Frage des „Status Confessionis" i.S. der Clausula Petn
(Apg5.29) hinaus.

3) Angesichts der Unbedenklichkeit, mit der die reformatorische
Grundlehre vom „Gesetz" und die Entmenschung der nationalsozialistischen
Judenvernichtung koordiniert werden, ist
daran festzuhalten, daß die Rechtfertigung des Sünders „allein
durch den Glauben, ohne des Gesetzes Werke" (Rom 3.28) und
der mittelalterliche bzw. neuheidnische Antijudaismus und Antisemitismus
funktional nicht das Geringste miteinander zu tun
haben. Der tatsächliche Ursprung der christlich/jüdischen Aversion
wird dagegen sichtbar, wenn man Bibelstellen wie
Thess2,14ff und Joh8,44 (vgl. auch Mt3,7ff) mit patristischen
Belegen wie Mart. Polycarpi 13.1 oder Tertullian, Scorpiacae 10
(„fontes persecutionum") zusammenstellt (weitere Texte b. Har-
nack, Die Mission u. Ausbreitung des Christentums, Bd. I, 65f.
Anm. 3). Solange derartige Stellen, sei es in biblischer, sei es in
patristischer Hinsicht nicht liquidierbar sind, ist der jüdischchristliche
Gegensatz kein bloß tatsächlicher, sondern ein grundsätzlicher
.

Corrigcnda: XI zu Abschnitt 5.4.1: S. 211 (nicht 122); 38. Z. 4: .Gesetzes
"; 40 Mitte: „Marcionitcn"; ebda. Anm. 23: Text erst auf S. 41; 60
Mitte: „Gesetzes"; 79. Z. 8: „Offcnbarungs-";ebda. Anm. 51 ist verderbt-
einzusetzen ist S. 17; 102 Mitte: „Glaubens"; 125. Textzeile 5 v. u. ist das
Wort „Erlösung" zu streichen; 238, Z. 2: „Rechtfertigungen"; 280 Mitte:
„Offenbarungsgeschichte"; 307 oben: Der Titel von Göglcr lautet „Die
Theologie des biblischen Wortes" usw.. die teilweise Sperrung ist zu tilgen
Von den drei Registern ist vor allem das Namen- und Sachregister einigermaßen
dürftig ausgefallen. Leider sind sämtliche mitgeteilten Origcncs-
texte nur in deutsch mitgeteilt. Der „echte Origenes" wird also nur durch
eine doppelte Übersetzung (Rufin und Heither) hindurch erkennbar.

Erlangen Karlmann Beyschlag

Diversorum Postchalcedonensium Auctorum Collectanea, I-
Pamphili Theologi Opus, ed. J. J. Declerck. Eustathii Monachi
Opus, ed. P. Allen. Turnhout: Brepols; Leuven: Universersity
1989. 476 S. gr. 8 = Corpus Christianorum. Series Graeca, 19.
Lw. BF 6350,-.

Es sind keine bedeutenden Theologen, deren Edition mit diesem
Band der Collectanea postchalkedonischer Schriftsteller beginnt,
wenn man aber die Zeit nach dem Konzil von Chalkedon berechtigterweise
als eine eigenständige Etappe der theologischen Entwicklung
faßt, muß man auch die Gesamtheit der christlichen Literatur
dieser Zeit der Forschung zugänglich machen und
analysieren und ihren Gehalt, ihre Methode, ihre Ziele und ihre
Wurzeln prüfen. Der im Jahre 1976 verstorbene französische Pa-
tristiker Marcel Richard hatte hiereine seiner wissenschaftlichen
Aufgaben gesehen. Seine Schüler führen sie weiter fort, und die
von Richard mitbegründete Series graeca des Corpus Christianorum
hat einen ihrer Schwerpunkte folglich in der Edition von
Texten von der zweiten Hälfte des 5.Jh.s bis zum Ende des
7.Jh.s.

Eine genaue Datierung der Capitulorum diversorum solutio
und damit auch ihres Autors Pamphilos ist kaum möglich. Den
Terminus post quem a. 557 stellt Declerck S. 24 selbst in Frage.
Auch die Vorschläge für einen Terminus ante quem a. 630 (Richard
), a. 617 (Declerck) wollen nicht recht überzeugen. Abgesehen
davon, daß J. L. Van Dieten (Geschichte der Patriarchen....
Amsterdam 1972, 25 Anm. 83) die Epistula des Sergios an Geor-
gios Arsas auf Ende a. 616 und V. Gruimel (Les regeses des actes
du patriarcat de Constantinople. 1, Paris 19722) auf a.

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11