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Ausgabe:

1991

Spalte:

836-840

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Heither, Theresia

Titel/Untertitel:

Translatio religionis 1991

Rezensent:

Beyschlag, Karlmann

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11

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gen, Wiederholungen von Formulierungen, verbalen Vor- und
Riickverweisen nachzugehen und rhetorische Mittel wie Ironie,
Pathos und Kontrast aufzuspüren. Mit Recht macht Tannehill
geltend, daß die Apg für eine solche Betrachtungsweise eine noch
breitere Basis liefert als das Lk-Ev: Während dort stärker ein Episodenstil
vorherrscht, haben wir es hier mit größeren, untereinander
auf vielfältige Weise verknüpften Erzählsequenzen zu tun
(50-

T. hat seine Studie formal als Kommentar angelegt. Das ist
sachgemäß. Die narrative Struktur läßt sich am besten erhellen,
indem man dem Erzählgang von Anfang bis Ende folgt. Allerdings
: Es ist "a new kind of commentary" (8), dessen Einseitigkeit
in Fragestellung und Methodik T. durchaus einräumt. Der
Text wird als eine in sich geschlossene Welt betrachtet, deren Dimensionen
nach allen Richtungen hin zu vermessen die Aufgabe
des Kommentators ist. Dadurch, daß dies ungestört durch historische
und traditionsgeschichtliche Überlegungen geschieht, daß
also die synchrone Ebene niemals durch diachrone Elemente aufgebrochen
wird, kommt ein Kommentar von beachtlicher innerer
Geschlossenheit zustande. Der Blick des Lesers soll auf einen
einzigen Gegenstand ausgerichtet werden: die literarische Kunst,
mit der der theologische Schriftsteller Lukas sein Anliegen vertritt
.

Die Frage nach dem Gewinn dieses Verfahrens läßt sich kaum
eindeutig beantworten. Mich überzeugt es am meisten in jenen
Abschnitten der Apg, in denen Lukas seiner schriftstellerischen
Kompositionskunst die größte Freiheit gewährt. So ist die Auslegung
des großflächig angelegten Schlußteils (Kp. 22-28) sehr eindrucksvoll
. Indem T. die weitgespannten Bögen dieses erzählerischen
Komplexes liebevoll und minutiös nachzeichnet, gelingt es
ihm, manche anregende und weiterführende Entdeckung zu machen
. So scheint er mir durch den Aufweis motivlicher und
sprachlicher Parallelen zu Lk 9.18; 22,19; 24,30 und Apg 2,42 sicherzustellen
, daß das Mahl des Paulus auf dem Schiff im Seesturm
(Apg 27,35) tatsächlich als Eucharistie zu verstehen ist
(334ff). Auch die allegorisierend-kerygmatische Deutung der
Seesturmgeschichte insgesamt, die diese in eine überraschende
Nähe zu Mt 8,23-27 rückt, ist zumindest bedenkenswert. Insbesondere
ist es ihm gelungen, die Diskussion um den Buchschluß
ein Stück voranzubringen, indem er zu zeigen sucht, daß dessen
„ Offenheit" im Sinn eines Appells an die Leser zum Nachdenken
über ihre eigene kirchliche Situation am Ausgang der apostolischen
Zeit zu verstehen sei: Noch sind die Hoffnungen und Erwartungen
der Frühzeit nicht erfüllt, noch hat der größere Teil
der Judenschaft sich dem Glauben an Jesus versagt (28,17-29),
noch ist auch das Ende der Erde (1,8) durch die Mission nicht erreicht
. Hier wird nochmals angedeutet, was Lukas auch sonst
nicht verschweigt: daß die Geschichte des Paulus und darüber
hinaus die Anfangsgeschichte der christlichen Mission auch Momente
des tragischen Scheiterns enthält. Das würde bedeuten,
daß das gängige Klischee vom lukanischen Triumphalismus einer
Revision bedürfte.

Ich kann mich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, daß die
Einseitigkeit, mit der dieser Interpretationsansatz durchgeführt
wird, auf weiten Strecken des Buches zu einer erheblichen Verflachung
und Konturenunschärfe führt. Ein besonders markantes
Beispiel, dem zahlreiche weitere an die Seite gestellt werden
könnten, ist die Behandlung von Apostelkonzil und Antiochia-
zwischenfall. Dem Vf. ist das m. E. fragwürdige Kunststück gelungen
. Apg 15 zu behandeln, ohne, wenn ich recht sehe, Gal2
auch nur ein einziges Mal zu erwähnen. Das Ergebnis ist ein völlig
spannungsloser Abschnitt, der sich weithin nur wie eine erbauliche
Nacherzählung liest. Davon, daß hinter dem lukanischen
Bericht eine der folgenreichsten und umstrittensten
Wendepunkte der frühchristlichen Geschichte steht, ist mit keinem
Wort die Rede, und damit bleibt erst recht die Frage nach

Eigenart und Voraussetzungen des lukanischen Geschichtsbildes
ausgeblendet.

T.s Arbeit bringt ein wichtiges Korrektiv in die gegenwärtig6
Apg-Forschung ein, indem sie einer einseitigen Rückwendung
zur historischen Fragestellung Widerstand entgegensetzt. Dafür
verdient der Vf. Dank. Ich bezweifle jedoch, daß sie einen zentralen
Weg zum Verstehen der Apg erschließt. Denn das sollte heute
unbestritten sein: Lukas wirklich verstehen kann nur. wer bereit
ist, seinen Anspruch, Geschichtsschreiber zu sein, zur Kenntnis
zu nehmen. Eine Auslegung, die - aus welchen Gründen auch
immer - diesen Anspruch unberücksichtigt läßt, leistet letztlich
dem Mißverständnis Vorschub, er sei nichts weiter als nur ein
phantasievoller, theologisch engagierter Geschichtenerzähler gewesen
.

Erlangen Jürgen Roloff

Kirchengeschichte: Alte Kirche

Heither, Theresia: Translatio Religionis. Die Paulusdeutung des
Origenes in seinem Kommentar zum Römerbrief. Köln-
Wien: Böhlau 1990. XI, 330 S. gr. 8 = Bonner Beiträge zur
Kirchengeschichte. 16.

Die hier zu rezensierende umfangreiche katholisch-theologische
Dissertation ist einerseits im Blick auf ihren patristisch-
wissenschaftlichen Ertrag, andererseits hinsichtlich ihrer „aktuellen
" theologischen Tendenz zu besprechen. Das wissenschaftliche
Verdienst dieser bei Ernst Daßmann angefertigten
Arbeit besteht zunächst darin, daß sie den einzigen (wenn auch
nur in der Bearbeitung Rufins von Aquileja überkommenen)
vollständigen Bibelkommentar des Origenes erstmals ganzheitlich
zur Darstellung zu bringen sucht. Die Vfn. nimmt damit an
jener breiten, zumal von H. de Lubac ausgegangenen patristi-
schen Forschungsrichtung teil, die die altkirchlichen Quellen wesentlich
biblisch-kirchlich zu erschließen unternimmt. In diesem
Zusammenhang hat Th. Heither zugleich mit einer zweisprachigen
Gesamtausgabe des Kommentartextes (in vier Bänden) begonnen
, deren erster Band in der Herder-Reihe der „ Fontes Chri-
stiani" (lib. I—II zu Rom 1,1-3,4) - Bd. Ii/1, 1990 - bereits
erschienen ist.

Die Untersuchung zur „Traditio Religionis" nach Origenes ist in sechs
korrespondierende Hauptteile gegliedert, die sich in drei Gruppen, nämlich
Einlcitungsfragcn. Analysen, Synthesen, zusammenfassen lassen. Teil
1-3 (Einlcitungsfragcn) behandeln 1) den „Stand der Forschung" (7ff).
hier besonders das Rufinproblem. 2) „Paulus als Verfasser des Römerbriefes
nach der Darstellung des Kommentars" (29ff) sowie 3) den „Römerbrief
im Ganzen in der Sicht des Origenes" (57ff). hier vor allem das
Thema der „Translatio Religionis" (vgl. 57. 59. 66. 76 u. 80). dessen Behandlung
sich von da aus über die ganze Darstellung erstreckt (s. vor allem
86,95, !02ff. 133fT, 214. 228, 240. 247. 254ff. 261. 264 u.ö.). Der umfangreiche
Mittelteil der Arbeit (Abschnitt 4) bringt sodann im Längsschnitt
ausgewählte Analysen der Origenesauslcgung zum Römerbrief (84ff). nämlich
zu Rom 3,1-4 (Orig. Com. lib. 11.14). 84ff. zu Rom 3.29-30) (lib.
111,10), 97ff. zu Rom 5,12-14 (lib. V, 1). 104ff. zu Rom 7.1-6 (lib. VI, 7).
!26ffsowiezuRöm 1 1,25-27 (lib. VIII. 12). 14 Iff. Diesem vorwiegend untersuchenden
Teil folgen schließlich abschließend im systematischen Querschnitt
ganzheitliche Überblicke zur „Lehre des Paulus im RömCom"
(Abschnitt 5. 15lff) und zum „Paulusverständnis des Origenes" anhand
des Kommentars (Abschnitt 6. 266IT). hier das aktuelle Anliegen der Vfn.

Wir versuchen zunächst, das patristische Verfahren zu charakterisieren
. Kaum eine Partie des ganzen Werkes ist dafür so geeignet
wie der einleitende Forschungsüberblick (7ff) im Kontrastvergleich
mit den folgenden Abschnitten zur Paulusperspektive
des Origenes (29ff u. 57ff). Was den heutigen wissenschaftlichen
Erkenntnisstand (Abschnitt 1) betrifft, so arbeitet sich die Vfn..