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Ausgabe:

1991

Spalte:

61-63

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Knapp, Andreas

Titel/Untertitel:

Soziobiologie und Moraltheologie 1991

Rezensent:

Eibach, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

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Der Kritische Rationalismus argumentiert wissenschaftstheoretisch Überlebens bzw. der Ausbreitung der (lebenstüchtigen) Gene. Alles

und folgt einer idealtypischen Logik der Forschung. Er ist theoretisch Verhalten der Lebewesen dient diesem Zweck. Altruistische Verhal-

ausgerichtet. Die Berufung der katholischen Moraltheologic auf tensweisen der Lebewesen - auch des Menschen - sind letztlich eine

Erlahrung und humanwissenschaftlichc Erkenntnisse entspringt Funktion des Egoismus der Gene (42ff, 72ff). Auch der Mensch ist

zunächst einmal einem praktischen Konflikt zwischen kirchlichem eine Überlebensmaschine Tür Gene (91).

Lehramt und wissenschaftlicher Theologie. Die-„autonome Moral" Der Autor untersucht und kritisiert dann ausführlich diese und

war und ist eine Reaktion auf die durch „Humanae vitae" ausgelöste andere Hypothesen vom wissenschaftstheoretischen Standpunkt aus.

Krise der sittlichen Autorität und ihrer Begründung. Sittliche Evidenz Er weist auf die zahlreichen Widersprüche in den soziobiologischen

oder Gehorsam gegen das Lehramt werden damit zu unausweich- Hypothesen hin, deren Erklärungen tierischen und menschlichen

liehen Alternativen. Die Moraltheologic entstand ursprünglich aus Verhaltens alle von der Grundannahme ausgehen, „daß Überleben

der Aufgabe der Seclenluhrung. der Beratung und der Kasuistik der den höchsten Wert darstellt" (87), ohne daß gesagt werden kann.

Sündenbewertung und der Sündenstrafen der Beichtmoral. Weil diese warum und wofür das Überleben gut ist. Fatal wirkt sich der dahinter-

Herkunft unerwähnt bleibt, ist eine Abstraktion der Mcthodenfragcn stehende „naturalistische Fehlschluß" aus, nach dem die Ausbreitung

von konkreten Sachfragen die Folge. Die Arbeit faßt folglich Über- der lebenstüchtigsten Gene auch oberster Grundsatz menschlichen

legungen zur Methodcnlehre zusammen. Eine formalistische Verhaltens sein soll, dem alle Kultur, einschließlich der Religion

Argumentation (und die weithin nur referierende Darstellung) ist frei- (89ff), dienen muß, wenn sie nicht lebensuntüchtig machen soll,

lieh vielleicht auch eine Reaktion auf die Krise im Verhältnis zwi- Wenn der „Mensch kein Ziel außerhalb seiner biologischen Natur"

sehen Lehramt und Moraltheologie. Methoden sind nämlich weniger (91) hat und auch „das soziale Verhalten von der natürlichen Evolu-

anfechtbar und kritisierbar als inhaltliche Aussagen! Die Umwand- tion geformt wird" (134) und werden sollte, dann ist es z. B. „wider-

'ung von einer Kasuistik der Beiehlstuhlmoral und eine der prak- natürlich", schwache Individuen (Behinderte usw.) zu erhalten (93f.

tischen Gewissensberatung gewidmeten Moralthcologie in eine 155). Eine wirkliche Abgrenzung soziobiologischen von sozialdar-

Methodenlehre ist auch der (indirekte) Spiegel einer theologischen winistischem Denken ist schwerlich möglich.

Aporie. Diese Anfrage knüpft freilich nur deshalb an die Dis- Wenn das Überleben der Gene alles Verhalten bestimmt, dann ist
sertation an, weil diese den aktuellen Diskussionsstand in der katho- auch das Geistesleben (z. B. Ideen) durch die Biologie ganz determi-
hschen Moraltheologic unter einer bestimmten Perspektive schildert. niert, dann muß auch der Soziobiologe so denken, wie er denkt, weil
Als Überblick über Ansätze philosophischer und theologischer Ethik, es ihm von den Genen vorgeschrieben ist, dann gibt es weder Wahrunter
besonderer Berücksichtigung der Mcthodenfragc. gibt die Dis- heit noch Freiheit, dann ist das Handeln eines Verbrechers ebenso
sertation paradigmatisch nützliche Informationen. Ausfluß der Gene wie das altruistische Handeln, dann gibt es keine

. ,, , moralische Wahrheit. Knapp legt die philosophischen Vorcntschei-

öonn Martin Honcckcr . , , , . .

düngen der Soziobiologen ollen, deckt die zahlreichen Widersprüche

in ihren Aussagen auf und kommt zu dem Resultat, daß die Soziobio-

Knapp, Andreas: Soziobiologie und Moraltheologic. Kritik der logie „auf der Metaphysik des monistischen Materialismus aufruht

ethischen Folgerungen moderner Biologie. Weinheim: VCH 1989. und in dcr wissenschattsgeschichthchen Tradition des Mechanismus

XIV. 455 S. gr. 8'geb. DM 58.-. stent- der jegliche teleologische Betrachtungsweise a priori ablehnt"

(304) und damit das Leben der Sinnlosigkeit, dem „Überleben" ohne

Diese Dissertation wurde 1988 der theologischen Fakultät der „Wozu" ausliefert.

Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom vorgelegt (Moralthco- Knapp verteidigt dagegen ausführlich die Sonderstellung des Men-

'°ge: Prof. Dr. K. Demmer). Sie behandelt die Thematik in einer grö- sehen. „Nur wenn dem Evolutionsprozeß als solchem Sinn und dem

Beren Breite, als der Titel vermuten läßt. Der Vf. geht von der These Menschen innerhalb dieses Werdeprozesses eine Sonderstellung

aus, „daß ein interdisziplinäres Gespräch zwischen Moralthcologie zukommt, wird dem Menschen eine Würde verliehen, die ihn über die

und Humanwissenschaften nur auf der Grundlage einer philosophi- übrige bekannte Welt hinaushebt" (290, vgl. 95ff). Er betont, daß der

sehen Auseinandersetzung um das Menschenbild möglich ist" (2451", Mensch sich sehr wohl von seinen biologischen Bedürfnissen auf-

vgl. 267IT). Sowohl die Biologie als auch die Moraltheologie müssen grund dessen distanzieren kann, daß er Geist hat (I37ff), Subjekt ist

■hre eigenen anthropologischen Voraussetzungen reflektieren, um auf (214ff) und damit moralisch, d. h. aus einer bewußten Intention und

diesei Basis „ein Gespräch überdasjeweils vorausliegende Menschen- Motivation heraus zu handeln vermag, was auch bedeutet, daß das

bild" (248) zu führen. Entsprechend entfaltet der Autor in breiter Sollen nicht aus der biologischen Natur abgeleitet werden kann und

Weise nicht nur die Hypothesen der Soziobiologie über tierisches eine Handlung nicht - wie bei den Soziobiologen - nur von den Fol-

'35-58) und menschliches Leben (61-94) und seine Entwicklung, gen. sondern in erster Linie von ihrer Intention und Motivation her

sondern auch die in den Hypothesen implizierten fundamentalen moralisch beurteilt werden muß (148ff, 249f). Leben ist dem Mcn-

(natur-)philosophisehen Probleme, wie Freiheit und Determinismus sehen nicht nur biologisch vorgegeben, sondern als Aufgabe zur

(L37ff, 222ff). Gehirn (bzw. Materie) und Geist (123ff. 214ff), das Gestaltung aufgegeben. Ethik ist „Sinnlindung" und „Sinngebung",

antiteleologische Denken des Evolutionismus (193ff u. ö.). Die Breite „Geglücktes" und sein sollendes Leben ist nicht mit Überleben iden-

der Darstellung geht teils zu Lasten einer Konzentration auf die tisch. Eine „ethische Qualifikation kann nur von einem Zielbild des

Kernthesen der Soziobiologie. Menschseins aus erfolgen" (251, vgl. 245, 2720. das nicht aus der

Der Vf. stellt nicht die Hypothesen einiger Soziobiologen gesondert Naturableitbar ist.
dar, sondern wählt den Weg einer übergreifenden Darstellung mora- Zwar kritisiert Knapp die mechanistische Vorstellung von Leben
'■seh relevanter Thesen zahlreicher Soziobiologen. wobei Autoren wie überhaupt und das antiteleologische Denken des Evolutionismus-
der ..Vater" der Soziobiologie E. O. Wilson (Soziobiology. The New vor allem unter Berufung auf R. Spaemann und seine Schüler-, doch
Synthesis. 1975: Biologie als Schicksal, 1980) und R. Dawkins (Das steht und fällt seine moraltheologischc Position mit dem (apologe-
egoistische Gen. 1978) am häufigsten zitiert werden. Der Autor hat tischen) Erweis der Sonderstellung des Menschen im Kosmos
d'ezahlreiche-vorallemamerikanischc-LiteraturzurSoziobiologie (M.Schelcr). orientiert sich entsprechend stark am idealistischen
bearbeitet. Die Soziobiologen verlagern die Darwinschen Hypothesen Denkansatz., wobei er allerdings anerkennt, daß Freiheit. Geist. Ver-
uberdie Evolution von der Ebene der Organismen aufdie der Gene, so nunft wie auch moralische Normen durch die Natur des Menschen
da B das Überleben, ja die Optimierung der biologischen „Fitness"- begrenzt, also einer „naturalen Unbeliebigkeit" (W. Korff) unter-
gemessen an der Verbreitung der eigenen Gene - letzter Zweck allen Würfen sind (243 ff, 250IT). Man „kann weder das Handeln gegen noch
Lebens ist. Die Organismen sind Werkzeuge der Gene zum Zweck des das im Sinne natürlicher Neigungen zur Norm machen" (235). doch