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Ausgabe:

1991

Spalte:

827-828

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Flusser, David

Titel/Untertitel:

Jesusworte und ihre Überlieferung 1991

Rezensent:

Bammel, Ernst

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Seite 1

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Neues Testament

Colpe, Carsten: Das Siegel der Propheten. Historische Beziehungen
zwischen Judentum, Judenchristentum, Heidentum und
frühem Islam. Berlin: Institut Kirche und Judentum 1990. 271
S. 8° - Arbeiten zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte
, 3.

Neun Aufsätze, von denen einer zuvor noch nicht veröffentlicht
war, werden vom Vf. vorgelegt. Es sind Abhandlungen, die
indirekt oder sehr direkt durch den im Titel bezeichneten Vorwurf
„Siegel der Propheten" zusammengehalten werden. Es handelt
sich dabei um ein aus Dan9.24ff entwickeltes Motto, das,
nachdem Jesus selbst die zugrunde liegende Vorstellung auf sich
selbst hinübergedeutet hatte (230, von Tertullian in die christliche
Geschichtsdeutung eingeführt worden ist, dann aber auch im
Manichäismus und Islam auftaucht. Handelt es sich in den letzteren
Fällen um eine mehr beiläufige Verwendung (im Koran ist die
Endgültigkeit, die den Gebrauch bei Tertullian bestimmt, eingeschränkt
[vgl. 243] und der Gesichtspunkt der Versiegelung
durch das Leiden fehlt ganz; im Manichäismus handelt es sich
anscheinend um eine durch den Streit mit dem Islam hervorgerufene
Afterbildung; s. 34f), so erscheint das Motto für das, worum
es dem Vf. geht, nur bedingt tauglich. Sieht man davon ab, so enthält
der Band reiche Einblicke in Zusammenhänge zwischen jüdischen
, christlichen, islamischen und sogar samaritanischen
(182ff) Theologumena. Bezüge, die nach Verknüpfung der
Fäden, d.h. nach ausführlicher Darstellung geradezu schreien.
Wo man nur hinsieht, findet man Wegweisendes. In den Skizzen
deutet sich etwas ganz Besonderes an.

Dabei macht es der Vf. dem Leser nicht leicht. Die religionsgeschichtlichen
Ausführungen sind untermischt mit wissenschaftstheoretischen
Erwägungen. Ist die Darstellung ganz eigenständig
, so ist der Stil eigenwillig: von großer Komprimiertheit,
aber auch sprunghaft und gespickt mit Fremdworten, darunter
solchen eigener Erfindung. Wenn das schon nötig ist, warum
folgte der Vf. dann nicht lieber dem Vorbild Goethes, der deutsche
Wortbildungen in reichem Maße seiner Muttersprache als
Geschenk darbot?

Der aufmerksame und nachdenkliche Leser wird durch das
Buch reich belohnt.

Jena Ernst Bammel

Flusser, David: Entdeckungen im Neuen Testament. 1: Jesusworte
und ihre Überlieferung. Hg. von M. Majer. Neukirchen-
Vluyn: Neukirchener Verlag 1987. VIII, 260 S. 8". Pb. DM
58-.

Es handelt sich bei dem vorliegenden Band um eine Sammlung
von 18 Aufsätzen, von denen zwei bisher unveröffentlicht waren,
während fünf in hebräischer, vier in englischer und sieben in
deutscher Sprache bereits gedruckt waren. Sie gehen, jedenfalls
teilweise, auf für weitere Kreise bestimmte Vorträge zurück.

Wie es nur zu verständlich ist, haftet die Aufmerksamkeit des
Vf.s an der Beziehung des Christentums zum Judentum. Darum
reizt es ihn, dem Judenchristentum, dem in seinen Augen eigentlichen
Christentum näher zu treten. Sechs Aufsätze befassen sich
mit ihm. Dabei liegt dem Vf. daran, neue Quellen oder doch
jüngst rekonstruierte Quellen in die Erörterung einzubeziehen.
Zwei von Pines veröffentlichte Texte macht er zum Ausgangspunkt
für eigene Thesen. Dabei hat er nicht beachtet, daß die von
P. gegebene Ansetzung und Ortsbestimmung unzutreffend ist
(vgl. Rez., Judaica 190ff. 239ff) und somit die übergestülpten
Thesen F.s des Fundaments entbehren. Sodann nimmt er das von

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Fortna aus dem Johannesevangelium rekonstruierte und als judenchristlich
angesehene Zeichenevangelium ohne weiteres als
eine Gegebenheit an (kein geringerer als Hegel hatte die Ansicht
F.s als unbeschreibbar naiv bezeichnet; The Johannine Que-
stion, 201), um daran weitere Hypothesen zu reihen. Lindseys
Versuch, hinter dem Lukasevangelium eine judenchristliche Vorlage
aufzuspüren, findet in F. einen eifrigen Verfechter. Eine Abwertung
nicht nur des Markus-, sondern vor allem des Matthäusevangeliums
als einer judengegnerischen Reaktion ist die von tu
gezogene Folgerung.

Der zweite Gegenstand der Aufmerksamkeit des Vf.s ist der
Prozeß Jesu, auf dessen Beschreibung nicht weniger als fünf
Stücke - ein Drittel des ganzen Buches - ausgerichtet sind. Hier
sind es nicht neue Quellen, sondern Thesen, die den Vf. zu eigenen
Ausführungen veranlassen. Es sind die Behandlung des Prozesses
durch Carmichael, Schonfield, Winter und insbesondere
Cohen (154: „er wird mit den überwiegend sekundären Nachrichten
dadurch fertig, daß er ihren Sinn ins Gegenteil verkehrt
"), deren Schwächen er überzeugend aufweist, um, wenn
auch sehr zögernd, eine eigene Lösung wenigstens für den Kaiphasprozeß
anzubieten (149, 1570 und schließlich in beispielgebender
Weise die Behandlung der Fragen des Prozesses ganz aus
der emotional geladenen Sphäre herauszuheben. Was dazu auf S-
163 steht, kann gar nicht oft genug bedacht werden.

Interessant ist der kleine Aufsatz über Hilleis Selbstverständnis
und Jesus. Sich gegen Winter wendend hält F. bei Hillel wie
Jesus ein „erhabenes Selbstbewußtsein" für möglich. Jedoch ist
Hillels „ Wenn ich hier bin usw." (213) schwerlich so zu deuten,
wie der Vf. es tut. Andererseits ist der Vf. - wie viele jüdische
Schriftsteller - der Meinung, daß bei Jesus keine neue Lehre vorliege
(112).

Der Vf. sieht eine Entwicklung vom Judenchristentum, dem in
seinen Augen eigentlichen Christentum zu einem entjudaisierten
Christentum, als dessen Vertreter ausgerechnet Matthäus erscheint
. Die Frage einer möglichen Rejudaisierung stellt sich für
ihn nicht.

Der Vf. arbeitet fern von den Mittelpunkten europäischen Geisteslebens
. Damit mag es zusammenhängen, daß er vieles, was
auf dem Gebiet, zu dem er sich äußert, erschienen ist. nicht kennt
- zum Nachteil für seine Ziele. Was z. B. hätte aus der von ihm
verfochtenen Lukasthese gemacht werden können, wenn sie mit
den Arbeiten von Feine, Taylos und Jeremias in Beziehung gesetzt
worden wäre.

Er arbeitet auch auf einsamer Flur. Von daher mag zu v erstehen
sein, daß er immer wieder die Gütebezeichnung „Forschung
" für sich in Anspruch nimmt (so 207) und seine Ansichten
im Titel des Buches als Entdeckungen (im letzten Satz des
Vorworts wird daraus das doppeldeutige „verblüffende Entdek-
kungen") ausgibt, obwohl sie doch eher als ideenreiche Besprechungen
dessen, was einige andere im Umkreis des Vf.s veröffentlichende
Autoren gemeint haben, denn als Pfeiler für
künftige Arbeit anzusehen ist.

Gewiß steht es so, daß die Darstellung gelegentlich frische Beobachtungen
und (s.o.) in innerem Kampf errungene Einsichten
enthält. Und doch ist der Gewinn nicht groß genug, um dem
Buch den Eindruck des Zwiespältigen zu nehmen.

Jena Ernst Bammel

Gray, Sherman W.: The Least of My Brothers. Matthew 25:31 —
46. A History of Interpretation. Atlanta. GA: Scholars 1989.
XXII, 462 S. 8 =SBL. Dissertation Series. 114. Kart. $ 17.95.

Die bei J. A. Fitzmyer in Washington gearbeitete katholische
Dissertation beeindruckt zuerst als eine immense Fleißarbeit.

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 11