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Ausgabe:

1991

Spalte:

58

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Titel/Untertitel:

Verweigerte Mündigkeit? 1991

Rezensent:

M., R.

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

58

kosmischen Ordnung zu etablieren. Die christliche Theologie, deren
Besonderheit der Vf. zunächst nach systematischen Gesichtspunkten
diskutiert (15-59), stimmt zwar mit der natürlich-philosophischen
Theologie in der Abgrenzung von der mythisch-poetischen Theologie
übercin. Aber sie unterscheidet sich als religiöse Offenbarungstheologie
von der philosophischen Theologie dadurch, daß sie unbeschadet
ihres intellektuellen Zuschnitts der Innensicht des religiösen
Glaubens- und Gottesbewußtseins verpflichtet ist. Gleichwohl ist die
an der Relation von Offenbarung und Glaube orientierte christliche
Theologie in zweifacher Weise auf philosophische Problemlösungsverfahren
angewiesen. Denn obwohl sie der Binnenperspektive des
religiösen Glaubens folgt, i ' sie als Theologie von diesem doch unterschieden
, so daß ihr erstes Problem darin besteht, durch Reflexion das
Verhältnis von Glaube und Reflexion zu klären. Aus dieser
Reflexionsaufgabe der Theologie ergibt sich zugleich ihr anderes Problem
, das sie nötigt, zwischen der auf den christlichen Glauben bezogenen
theologischen Innen- und der philosophischen Außenperspektive
zu unterscheiden. Dieses Problem kann allerdings weder durch
exklusivistische noch durch dualistische oder pluralistische Positionen
angemessen gelöst werden. Denn obwohl die Theologie der internen
Perspektive des Glaubens folgt, ist sie als rationales Unternehmen
zugleich gezwungen, die externe Perspektive der Philosophie mitzu-
reflektieren.

Dieses Problem der perspektivischen Sichtweise behandelt der Vf.
irn //. 7W/(6I-I48) anhand der Rekonstruktion von sechs Modellen,
zu denen die theologiehistorisch und systematisch relevanten Verhältnisbestimmungen
zwischen dem „Buch" der Schrift und dem der
Natur (Augustin), zwischen Natur und Gnade (Thomas von Aquin),
Gesetz und Evangelium (Luther). Vernunft und Offenbarung (Aufklä-
rung) und die Modelle Schleiermachers und K. Barths gehören, ent-
weder die Differenz von Theologie und Philosophie auf der Basis ihrer
Einheit oder die Einheit auf der Grundlage ihrer Differenz zu bestimmen
. Die Rekonstruktion dieser Modelle zeigt jedoch, daß keines zur
endgültigen Lösung des Problems der Pcrspektivität fähig sei. Daher
versucht der Vf.. abschließend die ontologischen, erkenntnistheore-
tisch-transzendentalen und semiotisch-hermeneutischen Bedingungen
zu formulieren, die es erlauben, daß die interne Glaubens- und die
externe Vernunftperspektive ihrer Unterschiedenheit zum Trotz dieselben
Gegenstandsbezüge implizieren (127-148).

Dem Problem der Reflexion, das der entscheidenden Frage nach
dem Rationalitätscharakter der Theologie gilt, ist der ///. Teil
(149-223) gewidmet. Aufgrund der Unterscheidung zwischen einem
methodisch-instrumentellen und einem metaphysisch-fundamentalen
Gebrauch der Philosophie in der Theologie gelangt der Vf. zu
seiner Schlüsselthese, daß die innerhalb der Grenzen der Theologie in
Dienst genommene Philosophie nicht den Grund der theologischen
Nationalität darstelle: vielmehr gründe die Rationalität der Theologie
>n dieser selbst und in ihrer reflektierenden Bezugnahme auf den
Glauben. Die so verstandene Eigenrationalität der Theologie will der
in den abschließenden Kapiteln (1570 anhand fundamentaltheo-
'ogischer Erörterungen zum besonderen Charakter des auf Offenbarung
und Glauben gegründeten Gottcsglaubens verdeutlichen und
bewähren. Zu diesem Zweck grenzt er die dem Paradigma der kosmo-
'ogischen. begrifflich-mentalen und rationalen Reflexion und dem der
transzendentalen und absoluten'Selbstreflexion verpflichteten philosophisch
-metaphysischen Theorien des Gottesgedankens von dem
Gottesglauben der christlichen Offenbarungstheologie ab; bei dessen
reflexiver Ausarbeitung vollzieht der Vf. die für das 20. Jh. signifikante
hermeneutisch-interpretative Wende der Philosophie und
Theologie mit. Damit hat er zugleich das Ziel seiner Bemühung erreicht
: Der Gottesglaubc der christlichen Offenbarungstheologic wird
ln der Binnenperspektive seines christologisch-eschatologischen
Charakters reflektiert und im Hinblick auf seine Orientierung des
menschlichen Selbstverständnisses beschrieben.

Der Vf. weiß mit den theologischen Grundproblemen der philosophischen
und theologischen Traditionen historisch und systematisch

ebenso souverän umzugehen wie mit den Verfahrensweisen der
sprachanalytischen Philosophie. Gleichwohl scheint mir die vom Vf.
favorisierte Sicht des Verhältnisses von Theologie und Philosophie
eine entscheidende Schwäche zu enthalten: Indem er der semiotisch-
hermeneutisch gewendeten sprachanalytischen Philosophie einen
instrumentellen Stellenwert bei der Rekonstruktion der christlichen
Offenbarungstheologic zubilligt, reduziert er den Erweis der Rationalität
der christlichen Theologie auf die Rationalität ihres methodischen
Vorgehens. Die an der Relation von Offenbarung und Glaube
orientierte Binnenperspektive der Theologie wird auf diese Weise als
Positivität vorausgesetzt und fixiert. Dieser Ausgang bei der Positiv i-
tät des Cilaubens soll zwar durch die Rationalität des semiotisch-
hermeneutischen Verfahrens gerechtfertigt werden. Damit bleibt
jedoch die Frage offen, ob und inwieweit die in ihrer Positivität vorausgesetzten
Gehalte des christlichen Cilaubens. an sich selber betrachtet
, vernünftig seien. Der Vf. ersetzt also die mögliche, also
erweisbare oder nichterweisbare Vernunft der christlichen Religion
durch eine Verfahrcnsrationalität. durch die einzig und allein die an
der Positivität des christlichen Glaubens orientierte Binnensicht bestätigt
wird. Folglich bleibt es unausgemacht, ob der Offenbarungsund
Glaubensanspruch der christlichen Theologie über seine ver-
fahrensmäßig rekonstruierte Binnensicht hinaus, also seinem Gehalt
nach, rational bewährt werden könne.

Wien Falk Wagner

Niewiadomski, Jözef [Hg.]: Verweigerte Mündigkeit? Politische Kultur
und die Kirche. Thaur: Österreichischer Kulturverlag 1989.
254 S. 8" = theologische trends. 2. Kart.Ös. 198.—.

Der zweite Band der neuen österreichischen Reihe Theologische
Trends (Bd. 1, s. ThLZ 114, 1989,6900, auch unter Federführung des
Innsbrucker Systematikers Niewiadomski erstellt, ist der Frage nach
Demokratie und Mündigkeit in der (röm.-kath.) Kirche gewidmet.
Die Brisanz und Spannweite dieser Thematik wird von verschiedenen
(iesichtspunkten aus entfaltet; es wird auf Desiderata und
Ansätze hingewiesen, unterteilt in einen praktisch-theologischen,
exegetischen und einen systematisch-theologischen Abschnitt. Den
Einstieg bilden zwei feministisch-theologische Beiträge.

L Verweigerte Mündigkeit: R. Frick-Pöder: „Schweige, liebe
Schwester.. ." (2Sam 13,20) Ermutigung zum Schweigen? Mündigkeit
als Raster für eine frauenorientierte alttestamentliche Suche

(21 -36); H.-A. Pissarek:.....Viele kamen zum Glauben an Jesus auf

das Wort der Frau hin . . ." (Joh 4,39). Mündige Frauen in den Evangelien
? Überlegungen zu einer veränderten Sichtweise (37-51). II.
Zugänge aus der Praktischen Theologie: R. Pacik: Von der Priester-
liturgic zur Feier der Gemeinde (55-85); K. Schaupp: Demokratiefähigkeit
und Pluralitätstoleranz (87-97); G. Bader: Erziehung zum
mündigen Christsein? Welchen Beitrag kann dazu der Religionsunterricht
leisten? (99-108); R. Brandl: Religionsdidaktische Handlungsfelder
und methodische Aspekte eines emanzipatorischen Religionsunterrichts
(109-117). III. Biblische Skizzen: E. Ruschitzka: Charisma
zur Mündigkeit - Amt zur Disziplin? Der Apostel Paulus und
sein Problem mit dem Selbstbewußtsein der Gemeinde in Korinth
(121-142); M. Hasitschka: Die Botschaft Jesu vom nahegekommenen
Reich (iottes und die darin begründete soziale Wirklichkeit
(143-153); R. Oberforcher: Jesus von Nazarcth und die Vielfalt der
religiösen Landschaft Palästinas (155-177); J. M. Oesch: Königtum
und Heil. Eine Skizze (179-192). IV. Systematische Perspektiven:
W. Palaver: Gleichheit als Sprengkraft? Zum Einfluß des Christentums
auf die Entwicklung der Demokratie (195-217); R. Siebenrock:
Kirche als Communio. Versuch einer systematischen Spurensicherung
zum Thema (219-245); J. Niewiadomski: Verweigerte Mündigkeit
- mündige Verweigerung(247-251).

R. M.