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Ausgabe:

1991

Spalte:

56-58

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Dalferth, Ingolf U.

Titel/Untertitel:

Theology and philosophy 1991

Rezensent:

Wagner, Falk

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

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Existence" von verschiedenen Disziplinen und Standpunkten her
intensiv beleuchtet worden. Dabei sind auch aktuelle Fragen wie die
nach der Rolle der Frau im Werke K.s (vgl. den ersten Artikel von
Birgit Bertung "Yes, a Woman Can Exist", 7-18) behandelt worden.
So schreibt letztere aufgrund und als Folge der Befragung des Kierke-
gaardschen Werkes zu diesem Thema als Fazit: ..Jede Diskriminierung
der Frauen ist meiner Meinung nach eine Projizierung des
Lesers selbst" (17).

Der bedeutende Literaturwissenschaftler F. Billeskov-Jansen ist am
Sammelband beteiligt mit einem glänzenden Essay über K. als Erzähler
(„Kierkegaard - Narrator", 19ff). Geschickt analysiert Billeskov-
Jansen den Zusammenklang von Absicht und Erzählstil bei K. Dabei
gibt es natürlich je nach der Tendenz des einzelnen Werkes gradweise
Unterschiede. So ist in den wissenschaftlich-philosophischen Werken
von 1844 das narrative Element auf ein Minimum reduziert. Dagegen
ist die Bildhaftigkeit der Sprache und die Anzahl von Parabeln in den
Reden K.s ab 1847 besonders groß, was geschickt herausgearbeitet
wird (vgl. 271").

Interessant sind die Vergleiche, die C. Stephan Evans über das
Unbewußte bei K. und Freud anstellt (vgl. 31-48). Hier, wie auch
bei anderen Autoren des Bandes, geht es um die Analyse des Begriffes
„Selbst" bei K. So nimmt auch Anton Hügli die Thematik der Selbst-
findung auf in seinem Referat "Pseudonymity, Sincerity and Self-
Deception" 59-74). Konträr-existentiell steht gegen die „Selbsttäuschung
" die „Offenheit", die ständig gefordert wird. Arne Grön sinnt
über Existenz- und Dialcktikprobleme in dem gleichnamigen Aufsatz
(49-58) nach: „Die Aufgabe, man selbst zu werden, ist kein direkt
ausgerichtetes Projekt. Im Gegenteil, das kann fehlschlagen besonders
durch dasjenige, was das Subjekt selbst tut" (57). Entscheidend ist
daher die Doppelsicht, daß nämlich das Handeln auf Zukunft hin für
das Subjekt bedeuten kann: Es steht sich mit seinem Planen selbst im
Wege.

In die gegenwärtige K.-Debatte hinein bringt Poul Lübke mit seinem
Referat "Kierkegaard - Aesthetics and Crises of Metaphysics"
(75-82) einen wichtigen Aspekt: Die Person des „A" aus dem Roman
„Entweder-Oder" (1843) ist für die moderne, philosophische Debatte
viel relevanter als zum Beispiel die Person des „B", des Assessors von
„Entweder-Oder" II, der das Allgemein-Ethische repräsentiert. Die
Person des „A" als Repräsentant des „Ästhetischen" zeigt gesunde
Deduktionen auf. Von hier aus ergeben sich auch Konsequenzen für
ein neues Wcltempfinden: Es gibt keine abgesicherte Weltstruktur.
Damit können Einsichten gewonnen werden, die der Person des „A"
und seinen Denkansätzen ein größeres Gewicht geben als auch dem
Pseudonym „Climacus", womit sich K.s Stadienlehre in einem neuen
Licht zeigt.

Anhand von K.s anticlimatischer Schrift „Einübung im Christentum
" (1850) wagt es Paul Müller in seinem Essay "The God's Poem -
The God's History" (83-85) die Geschichte Gottes in Christo escha-
tologisch-paradoxal mit der paulinischen Zielrichtung des „von
Angesicht zu Angesicht" (IKor. 13,12, S. 88) zu öffnen. Das ist ihm
voll gelungen!

Christopher Noris setzt sich in seinem Referat (89-107) klug mit
den Interpretationen des „Begriffes der Ironie" (1841) durch Paul de
Man (vgl. dessen Essay "Blindness and Insight", Minneapolis 21983,
bes. 187-228) und durch Donald Barthelme (dessen Betrachtung
"Kierkegaard Unfair to Schlegel" in "Sixty Stories", New York 1981,
160-168) auseinander. Wichtig für die K.-Forschung ist das erneute
Eingehen auf die Friedrich-Schlegel-Debatte!

Die bedeutende französische K.-Forscherin Nelly Viallaneix
kommt in ihrer Betrachtung "Kierkegaard, Poet of Existence: The

Law of 'Gjentagelse'" (.....Das Gesetz der .Wiederholung'",

120-131) zu folgendem Ergebnis: Poesie und Vorwärts-Handeln
müssen aus der Existenz heraus gesehen werden. Hier ist am Ende von
K.s Leben „die Wiederholung voll im Spiel wie in der Dichtung eines
Peguy, der Dichtung vom kleinen Bauern und Matrosen" (130).

Wegweisend sind schließlich zwei typologisch gefaßte Darstellungen
zum Leben und Denken Kierkegaards. Sixtus Scholtens, seit 1947
Karmelitermönch, behandelt die Tagebucheintragungen der holländischen
Jüdin Etty Hillesum während ihres Leidens und Höffens
1941-1943 (108-119; vgl. die deutsche Ausgabe der Tagebücher:
„Das denkende Herz", Rowohlt TB Nr. 5575, Hamburg 1985). Dabei
verweist Scholtens beziehungsvoll auf Vergleichspunkte in Grundaussagen
K.s zur Leidensexistenz. Überzeugend wird nachgewiesen,
wie beide „gute Poeten" ihre Existenz zwischen Zeit und Ewigkeit
erlitten. Etty Hillesums Briefe aus dem Lager Westerbork. die sie bis
zum Abtransport nach Auschwitz, wo sie am 30. November 1943 ermordet
wurde, schreiben konnte, vollenden in der ganzen Tiefe großer
Gläubigkeit die Tagebuchnotizen. Dieser Vortrag von Scholtens
bildet ein ergreifendes Dokument der Menschlichkeit inmitten der
Brutalität des Daseins.

Ebenfalls typologisch vorgehend, zeichnet Julia Watkin die „Pilger
auf dem Lebensweg" im Vergleich. Es handelt sich um K. und Bunyan
(132-145). Von dessen „Pilgerreise" her werden Stadien von K.s
Leben und Werk, besonders unter Berücksichtigung der beiden
Romanwerke, beleuchtet. Dies geschieht beherzt und lädt ein, sich
mit diesen beiden „Poeten" christlicher Existenz näher zu befassen.

Detmold Wolfdictrich v. Klocden

Dalferth, Ingolf U.: Theology and Philosophy. Oxford: Blackwell
1988. X, 236 S. gr. 8° = Signposts in Theology. geb. £ 27.50.

Der jetzt in Frankfurt a. M. lehrende Systerhatiker I. U. Dalferth
hat seit 1974 mehrfach den Versuch unternommen, Einsichten der
angelsächsischen sprachanalytischen (Religions-)Philosophie eigenständig
zu vergegenwärtigen und zugleich in den Kontext einer von
K. Barth inspirierten und hermeneutisch gewendeten Offenbarungstheologie
zu überführen (vgl. J. Röhls: Sprachanalyse 'ind Theologie
bei I. U. Dalferth, in: ThR 55 [1990] 200-217). Auch das vorliegende
Buch gehört in den Zusammenhang dieser Bemühungen. In ihm will
der Vf. zeigen, daß die Theologie um ihrer immanenten, der Verständlichkeit
des christlichen Glaubens dienenden Rationalität willen
auf philosophisches Denken unabdingbar angewiesen sei, was
jedoch nicht bedeute, daß die Theologie mit der oder irgendeiner Philosophie
zusammenfalle. Das Verhältnis von Theologie und Philosophie
wird weder aus der Perspektive eines neutralen Beobachterstandpunktes
noch aus der philosophischen Sicht betrachtet. Vielmehr
expliziert der Vf. das Verhältnis von Theologie und Philosophie in der
Weise aus dem internen Blickwinkel der Theologie, daß diese um der
allgemeinverständlichen Explizierbarkeit des christlichen Glaubens
willen auf philosophische Argumentations- und Problcmlösungsver-
fahren angewiesen sei. In der Sicht des Vf. bedient sich die Theologie
der Philosophie als eines Instruments, um ihre eigenen Probleme auf
argumentative und begründete Weise zu lösen. Diese funktional-
instrumentelle Indienstnahme der Philosophie durch die Theologie
ist allerdings einem reduzierten Philosophieverständnis verpflichtet:
Im Anschluß an das von der angelsächsischen sprachanalytischen
Philosophie vertretene Verständnis erblickt der Vf. in der Philosophie
ein rationales, nämlich an Argumenten und Gründen orientiertes
Verfahren zur Lösung beliebiger Probleme des menschlichen Selbst-
und Weltumgangs. Macht sich die Theologie dieses instrumenteile
Philosophieverständnis zu eigen, so will sie nach Maßgabe der zu
lösenden Probleme, der verwendeten Argumente und der vorgebrachten
Gründe verstanden sein (10).

Der Vf. baut seine Sicht des Verhältnisses von Theologie und
Philosophie im Kontext umfassender theologie- und philosophiegeschichtlicher
und systematischer Problemkonstellationen auf. So
geht er im /. Teil (1-59) nach grundsätzlichen Erwägungen zur
Rationalität der Theologie (1-18) von der Entstehung der natürlichphilosophischen
Theologie bei den Vorsokratikern, Plato, Aristoteles
und in der Stoa aus (18-34), die er als eine Folge einander überbietender
Versuche begreiflich macht, den Gottesgedanken als Prinzip der