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Ausgabe:

1991

Spalte:

763-765

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Lebt unser Gottesdienst? 1991

Rezensent:

Merkel, Friedemann

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 10

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sangbuch", das Arno Büchner und Siegfried Fornacon aus dem
Nachlaß von Johannes Kulp herausgaben (Berlin und Göttingen
1958). Was im „Kulp" schon im Ansatz vorhanden war, wurde
dann in der Liederkunde in Form von ausführlicheren Besprechungen
der Texte und der Singweisen für Band III des Handbuchs
in Aussicht gestellt. Erst 1970 erschien davon der erste
Halbband. Durch die große Zahl von Mitarbeitern und die sehr
unterschiedliche Gestalt der Lieder war von vornherein klar, daß
es es sich dabei um eine Veröffentlichung mit deutlich heterogenen
Elementen handeln mußte. Vermutlich war die Resonanz auf
diesen Halbband (Lieder 1 bis 175 des EKG) so schwach, daß der
Verlag vor der Vollendung zurückschreckte. Der Rez. empfindet
die erwähnte Heterogenität jedoch nicht als Makel, sondern als
Reichtum. Es wäre in der Tat bedauerlich gewesen, wenn das
Handbuch als Torso steckengeblieben wäre. Mit genau zwei Jahrzehnten
Abstand legt der Verlag nun den Halbband 111/2 vor, in
dem die Texte und Melodien von EKG 176 bis 394 (also die
zweite Hälfte des EKG-Stammteils) besprochen werden. Zwanzig
Autoren zeichnen dafür verantwortlich, darunter auch Waldtraut
Ingeborg Sauer-Geppert und Alfred Stier, denen mit diesem
Band zugleich zu etwas wie ein hymnologischer Gedenkstein gesetzt
wird.

Es gilt dasselbe wie für den ersten Halbband: Die Autoren
haben sehr unterschiedliche Weisen, wie sie an die Texte und Melodien
herangehen und sie erschließen. Es kann sich hier nicht
darum handeln, den einen Autor gegen den anderen auszuspielen
oder abzusetzen. Insgesamt gibt der Band gutes Rüstzeug für
Liedbesprechungen an die Hand. Es bleibt sehr zu hoffen und zu
wünschen, daß er auch entsprechend genutzt werden möchte.
Viel zu selten wird in unseren Gottesdiensten und sonstigen Gemeindeversammlungen
auf die Inhalte unserer Kirchenlieder
eingegangen - eine Vernachlässigung, die im Blick auf den kostbaren
Schatz, den unser Kirchenlied darstellt, nur als sträflich bezeichnet
werden kann. Da der überwiegende Teil der Lieder des
EKG auch in das künftige Gesangbuch übernommen werden
wird, hat das Handbuch keineswegs an dem Tage ausgedient, an
dem das Evangelische Kirchengesangbuch abgelöst wird.

Berlin Christoph Albrecht

Maas-Ewerd, Theodor [Hg.]: Lebt unser Gottesdienst? Die bleibende
Aufgabe der Liturgiereform. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1988. 350 S. 8 . geb. DM 25,-.

Der eher erbaulich klingende Titel, der freilich durch den Untertitel
etwas aussagekräftiger wird, ist der Versuch, nach fünfundzwanzig
Jahren römischer Liturgiereform mit und nach dem
2. Vaticanum eine Art Bilanz über ihre praktische Verwirklichung
im deutschsprachigen Raum zu erstellen, die für die weltweite
römische Kirche im „Apostolischen Rundschreiben von
Papst Johannes Paul II. zum XXV. Jahrestag der Konzilskonstitution
Sacrosanctum Concilium über die heilige Liturgie" unter
dem geschichtsträchtigen Datum des 4.12. 1988 (am 4.12.1963
war die Konstitution promulgiert worden) vorgelegt wurde.

Im vorliegenden Buch sind 14 Beiträge, dem Regensburger Liturgiewissenschaftler
Bruno Kleinheyer zum 65. Geburtstag gewidmet
, versammelt, in denen an Stücken der Liturgie Erfolge
und Fortschritte der Reform gewürdigt, aber auch Desiderate
und Probleme dargelegt werden. Dabei beziehen sich die Gegenstände
der Überlegungen nicht nur auf die Messe oder einzelne
ihrer Stücke, sondern betreffen z. B. die Riten der Buße, der
Krankensalbung, Weihe und Trauung, aber auch die Kirchenmusik
und die Stundenliturgie. Es ist nicht zu verkennen, daß diese
Auswahl etwas zufällig erscheint, ein Umstand, der bei Festschriften
, auch wenn sie thematisch angelegt sind, sich leicht einzustellen
pflegt.

Eine sehr gründliche Studie legt der Münchener Liturgiewis-
senschaftler Reiner Kaczynski vor: „Erneuerung der Kirche
durch den Gottesdienst" (Weder Frage- noch Ausrufezeichen!)-
Wie auch das genannte Apostolische Rundschreiben deutlich BT"
kennen läßt, ist die Liturgiereform nicht als ein abgeschlossener
Akt zu verstehen, sondern sie ist in vielen Stücken für neue Ein-
sichten und Entwicklungen offen. Das Papstschreiben steht voll
hinter den Beschlüssen des Konzils und resümiert sehr metaphorisch
: „ Das Saatkorn wurde gesät, es hat die Strenge des Winters
erlebt, aber der Samen ist aufgegangen, er ist ein Baum geworden-
Es handelt sich in der Tat um das organische Wachstum eines
Baumes, der um so kräftiger sein wird, je tiefer er die Wurzeln >n
das Erdreich der Tradition senkt.«

R. Kaczynski schreibt klarer: „Wer heute, 25 Jahre nach Veröffentlichung
der Liturgiekonstitution, fragt, ob dieses zentrale Anliegen
der Erneuerung der Kirche erreicht ist, wird zugeben müssen
, daß es so wenig erreicht ist, wie nach 10, 15 oder 20 Jahren,
und so wenig, wie es nach 50 Jahren erreicht sein darf; denn eine
Ecclesia Semper reformanda braucht eine Liturgie Semper refor-
manda" (15). Unter dieser überzeugend herausgestellten Prämisse
werden einige Problemfelder gründlicher beleuchtet und
Desiderate angemeldet, so beispielsweise die Zulassung v'°n
Mädchen zum Ministrantendienst, zur Frage der Gruppengottesdienste
und zur liturgischen Bildung von Priestern und Gemeinden
. Auch werden neben den unübersehbaren Lichtseiten der
Einführung der Landessprache in den Gottesdienst ihre Schattenseiten
nicht abgeblendet. Sie erschwert auch den „Umgang
mit dem Wort": Freie Formulierungen verleiten zur Weitschweifigkeit
und lassen „erklärende Hinweise zu weiteren Ansprachen
oder Predigten werden" (26). Besonders bemerkenswert ist die
richtige Feststellung, daß „in einer vorher niemals gekannten
Fülle ... Gottes Wort in den Gemeinden verlesen" wird (27). >n
der Tat, die Messe ist .biblischer' geworden, was aber zugleich erhöhte
Anforderungen an die Lektoren stellt, damit die Lektion
nicht zum „Wort des Lesers" wird, sondern „Wort des Lebendigen
Gottes" bleibt. Auffallend kurz ist die Problemanzeige hinsichtlich
der Predigt. Sie hat bekanntlich in den Beschlüssen des
Konzils nicht den selben Stellenwert wie die Lesungen erlangt-
Infolgedessen betont Kaczynski ihren pädagogischen Sinn, da sie
nicht den Anspruch erhebt, viva vox evangelii zu sein.

Solche Bemerkungen zeigen überzeugend, wie reformbedürftig
auch die Reformmesse bleibt, damit der Gottesdienst eine „bewußte
, tätige und fruchtbringende Teilnahme" ermöglicht - so
die Überschrift des Beitrages von Franz Kohlschein, der die zentrale
theologische Bestimmung der Liturgiekonstitution sehr ma-
terialreich zum Gegenstand seiner Untersuchung macht. Freilich
, eine Frage ist nach diesem Reformabschnitt unumgänglich,
die R. Kaczynksi beherzt stellt: Wie kommt es, daß die Formen
des Gottesdienstes gemeindegerechter geworden sind, aber trotzdem
die Teilnehmer an ihm nicht zu-, sondern abnehmen? Die
behutsam und sicher nicht monokausal verstandene Deutung
dieses unbestreitbaren Phänomens: Die Tatsache, daß nunmehr
der Gottesdienst anspruchsvoller geworden ist. weil die aktive
Teilnahme der Gläubigen, und nicht ihre passive Versorgung
konstitutiv ist, schreckt manche vom Besuch der Messe ab. Mit
der Reform ist noch nicht eine Mentalitätsveränderung gegeben-
Allerdings wird man fragen müssen, wie lange man ihr Zeit lassen
kann.

Die Frage, ob die Einheitsmesse noch weiterhin das einzige
Modell der römischen Kirche sein könnte, wird von Hans-
Bernhard Meyer sehr nachdrücklich gestellt. Er hält fest, „daß es
die römische Meßliturgie und das römische Meßbuch im Grunde
schon heute nicht mehr gibt und in Zukunft noch weniger geben
wird" (93). Hier kommt die Zukunft der Messe nach dem Konzil
in den Blick. Der „Vielfalt der Völker und Kulturen" entsprechend
müssen Gestaltungen gefunden werden, die in der „Viel-