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Ausgabe:

1991

Spalte:

759

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Bertinetti, Ilse

Titel/Untertitel:

Paul Tillich 1991

Rezensent:

Müller, Ulrich

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Systematische Theologie: Dogmatik

Bertinetti, Ilse: Paul Tillich. Berlin: Union Verlag 1990. 186 S. 8°
- Biographien zur Kirchengeschichte. Pp. DM 14,80.

Früher habe ich nichts von Biographien gehalten. Um theologische
Probleme zu lösen, las ich Aufsätze, Abhandlungen und
Lehrbücher. Heute greife ich bevorzugt zu Biographien, weil sie
im Vorfeld Auskunft darübergeben, warum Menschen in konkreten
Situationen so und nicht anders gehandelt haben. Diese Einsicht
mag vielleicht auch den Union Verlag Berlin animiert
haben, eine neue Reihe mit dem Titel: „Biographien zur Kirchengeschichte
" zu eröffnen.

Mit Paul Tillich wird ein Denker vorgestellt, der zeitlebens
wenig Einfluß hatte auf die Gestalt der deutschen evangelischen
Landeskirchen im 20. Jh.; um so größer ist jedoch sein Einfluß
auf die Theologie als Wissenschaft. Er kommt 1886 als Pfarrerssohn
im Dorf Starzeddel, Kreis Guben, zur Welt. 1965 stirbt Tillich
in den USA. In dieser „Zwischenzeit" ereignet sich das
Leben eines Mannes, der als Theologe zu philosophisch und als
Philosoph zu theologisch war. Bereits als Gymnasiast gerät er in
Widerspruch zu den konservativen theologischen Ansichten seines
Vaters. Im Studium der Theologie an verschiedenen deutschen
Universitäten profiliert er sich als Grenzgänger zwischen
Theologie und Philosophie. Er mischt sich ein in die politischen
Auseinandersetzungen seiner Zeit und lehnt es als eingefleischter
Individualist ab, das Theologiestudium lediglich als Durchgangsstadium
zum Pfarramt anzusehen.

Ziel des Studiums ist es, die Theologie als Wissenschaft ernsthaft
zu betreiben und die damit verbundenen Probleme zunächst
theoretisch zu durchdenken, unter Einbeziehung der Philosophie
, der Tiefenpsychologie, der Naturwissenschaften und anderer
wissenschaftlicher Disziplinen.

Seine schonungslose Verneinung des Nationalsozialismus und
die Beschreibung der Gefahr der Anpassung der deutschen evangelischen
Landeskirchen an diese inhumane Weltanschauung
zwang Paul Tillich zur Emigration in die USA, um das eigene
Leben zu retten.

Dort lehrte er an vielen Universitäten und theologischen Seminaren
als Theologe und Philosoph und verfaßte seine „Systematische
Theologie" als „eine sehr eigenwillige Darbietung der
Dogmatik unter Ausschluß der speziellen ethischen Problematik
." (N. Müller: Systematische Theologie, in: Theologisches Lexikon
. Berlin 1977. 392)

Ilse Bertinetti zeichnet die Lebensstationen dieses universalen
Geistes plastisch nach. Durch ihre Beschreibung dieses eigenwilligen
Lebens werden Leser sicher angeregt, wichtige Schriften
von Paul Tillich selbst zur Hand zu nehmen, um am Original die
theologische Methode der Korrelation nachzuvollziehen.

Die Autorin, die in einem kurzen Abriß „Die Religionsphilosophie
des späten Tillich " (115ff) skizziert, fordert uns zu diesem
Unternehmen geradezu heraus.

Satow Ulrich Müller

Krenski, Thomas Rudolf: Passio Cartatis. Trinitarische Passiolo-
gie im Werk Hans Urs von Balthasars. Einsiedeln: Johannes
1990. 406 S. 8 = Sammlung Horizonte, NF 28. geb. DM 58,-.

Im Koordinatensystem der Schultheologie ist es eigentlich ein
umgrenzter Platz, den die Passiologie bislang beansprucht hat
und der zudem auf zwei Traktate aufgeteilt war. Die Gotteslehre
behandelte unter den attributa divina die Unveränderlichkeit,
die Christologie erörterte die Frage der Leidensfähigkeit Christi.
Erst in jüngerer Zeit haben sich neue Versuche zu Wort gemeldet

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- zunächst mehr im Raum der evangelischen Theologie, dann
auch bei einzelnen katholischen Theologen -, die nach einer umfassenderen
systematischen Passiologie streben. Die vorliegende
Diss. (Theol. Fakultät der Univ. Freiburg i. Br.) faßt diese Bemühungen
kräftig zusammen und bringt den Beitrag der Theologie
Hans Urs von Balthasars (B.) in ein fruchtbares Gespräch. Dabei
rückt die Passiologie unversehens aus einem Randdasein in den
Knotenpunkt theologischer Optionen.

Das erste Kapitel (29-94) sammelt die „Strukturelemente der
theologischen Passiologie" im Oeuvre B.s und reflektiert über
seine Bibelhermeneutik. Auch steht eine Sichtung der patristi-
schen und scholastischen Apathieaussagen an. Während das
Gros der modernen Forschung im Gefolge der Hellenisierungs-
debatte den Bruch mit der Überlieferung geradezu als Bedingung
der Möglichkeit ansah, um überhaupt von einem Leiden in Gott
sprechen zu können, erkennt B. in der Tradition Markierungspunkte
, über die nicht hinweggedacht werden darf. Statt den Vätern
eine unkritische Übernahme des philosophischen Apathieaxioms
anzulasten, spricht B. von einer kritischen Assimilation-
Grundlegend wird die Unterscheidung zwischen einem Leiden,
das als unfreiwilliges, äußeres Widerfahrnis zustößt und von
Gott mit der Apathieaussage fernzuhalten ist, und einem Leiden,
in das sich Gott dank seiner souveränen Freiheit begibt und das
Origenes von einem „Leiden der Liebe" (hom. in Ez6.6) sprechen
läßt. Dieser Origenesstelle, die nur lateinisch überliefert ist.
entnimmt der Vf. auch den Titel für seine Untersuchung: „Passio
Caritatis". Eine letzte Gruppe von Strukturelementen wird
unter der Überschrift „Dramatisches Instrumentar" zusammengefaßt
. Hier geht es um den originären Zugewinn, den B.s Theodramatik
für die Passiologie gebracht hat.

Mit einer Skizze der theologischen Erkenntnislehre B.s führt
das zweite Kapitel (97-126) den Leser weiter ein.

Auf die Prolegomena folgt im dritten und vierten Kapitel die
Entfaltung der These, die dann das fünfte Kapitel formulieren
wird. Das dritte Kapitel (129-223) bemüht sich um eine imma-
nent-trinitarische Grundlegung. Soweit ich sehe, wird hier im Bereich
der Sekundärliteratur zum ersten Mal der Versuch unternommen
, die Trinitätstheologie B.s in recto zusammenzufassen,
aber auch die Auseinandersetzung mit Karl Rahners und Jürgen
Moltmanns trinitätstheologischen Optionen aufgenommen.

Mit Recht macht der Vf. den Einfluß Adriennes von Speyr
(maßgeblich ihr Werk „ Die Welt des Gebetes", Einsiedeln 1951)
auf B.s Trinitätstheologie - vor allem auf der Ebene der terminologischen
Ausformung - geltend. Wenn Karl Rahner geneigt war.
in dieser Theologie einen subkutanen Tritheismus zu vermuten,
erklärt der Vf. die Differenzen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen
Ausrichtung der konkurrierenden Entwürfe, „die
man plakativ mit der Alternative .inner- bzw. interpersonales
Modell' zu beschreiben suchen könnte" (149). „Im Gegensatz
zur augustinisch-neuplatonischen Einheitsmystik, die innerhalb
der Einheit Gottes keine eigentliche und damit reale Verschiedenheit
zu denken erlaubt, sucht B. den Anderen (weil es um eine
Unterschiedenheit in der Werheit, nicht aber der Washeit geht) in
Gott als reine Position und Positivität zu begreifen und damit
deutlich zu machen, daß der Andere zwar die Voraussetzung
dafür darstelle, daß Gott innertrinitarische Liebe sei, damit aber
keineswegs die Negation des Einen bedeuten müsse" (159). Während
Karl Rahners Personbegriff vom neuzeitlichen Verständnis
des selbständigen Aktzentrums bestimmt ist. entwickelt B. im
Zuge seiner Theodramatik einen vom Personalismus (M. Buber.
F. Ebner, F. Rosenzweig) her modifizierten Personbegriff der
Sendung, der zunächst in der Christologie und davon abkünftig
in der Anthropologie seinen Ort hat, aber auch für die Trinitätstheologie
relevant wird. Weder das innerpersonale noch das interpersonale
Trinitätsmodell, theologiegeschichtlich gesagt:
weder Augustin noch Richard von St. Viktor dürfen absolut ge-

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 10