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Ausgabe:

1991

Spalte:

53-54

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Was ist Wahrheit? 1991

Rezensent:

Hildebrandt, Bernd

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

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einschätzung, nämlich durch Rekurs auf „echte" Metaphysik das lichkeiten (99)". Und die Dichtung ist es, die jene Wahrheit zum Vor-
nachmetaphysische Zeitalter zu beenden bzw. gar nicht erst auf- schein bringt, „die nicht allein dem Wirklichen gerecht wird, sondern
kommen zu lassen (vgl. 90), gerecht zu werden versucht, kann nur in auch dem Unwirklichen in jeder Wirklichkeit (98)".
systematischer Auseinandersetzung erfolgen, wobei sich die Aufmerk- Was fügen nun die theologischen Beiträge als Antwort auf die Titel-
samkeit m. E. besonders erkenntnistheoretischen Problemen zuzu- frage hinzu? Wenn einleitend im Vortrag von C.-H. Ratschow die reli-
wenden hätte. In diesem Zusammenhang wäre dann im einzelnen zu giöse Frage nach der Wahrheit als Frage nach dem Heiligen an reli-
priiten, ob das recht pauschale Verdikt der Seins- und Transzendenz- gionsgcschichtlichen Beispielen unterschiedliche Antworten erfahrt
Vergessenheit die großen Systeme neuzeitlicher Philosophie, wie etwa . und damit auch durchaus unterschiedliche Wahrheitsverständnisse
das Denken Hegels, tatsächlich in der Weise trifft, wie L. das an- deutlich werden, so wird der Leser in der Antwort des katholischen
nimmt. In theologischer Hinsicht wäre ferner zu erörtern, wie sich der Theologen H. Vorgrimler in die philosophische und theologische
von L. beschrittene philosophische Denkweg zu Gott präzise zur gött- Tradition des Wahrheitsproblems eingeführt. Anknüpfend daran
liehen Selbstoffenbarung in Jesus Christus verhält. Dabei ist nach wird gesagt, daß Gott selber als das letzte Ziel des Menschen die Wahr-
nieinem Urteil davon auszugehen, daß es für beide Seiten nicht hin- heit sei. Wie verhält sich diese (erste) Wahrheit zu den vielen Wahrreicht
, den Zusammenhang von philosophischem Denken und Christ- heiten. Hier besteht ein notwendiger Zusammenhang, ist doch der
licher Offenbarung im Sinne eines Ergänzungsverhältnisses zu be- Mensch in all seinem Wahrheitsstreben sich selbst auf Gott hin schon
schreiben, wie das bei L. der Fall ist, wenn er abschließend betont: immer transzendierend, so daß von der Korrelation zwischen der
-Das bisher Gesagte wurde aus der Sicht der Philosophie entwickelt, offenbaren Wahrheit Gottes und den Fragen des Menschen nach Sinn,
die allen Menschen zugänglich ist. Freilich gelangen sie zu ihr auf Gerechtigkeit und Freiheit auszugehen ist. Damit ergibt sich eine Art
mannigfachen Wegen, in verschiedener Ausprägung und nicht immer Kriterienkombination überhaupt für wahre Aussagen, die auch für
m derselben Vollendung. Ergänzend tritt dazu die göttliche Offen- theologische Aussagen Gültigkeit besitzt.

barung, die in Christus ihren Gipfel erreicht." (1350 H.-P. Müller nimmt in seinem Beitrag das Stichwort „Anpassung"

Augsburg Gunther Wcnz aus der evolutionären Erkenntnistheorie positiv auf und sucht von da

aus das biblische Zeugnis zu verstehen. Es gehe in ihm - und darin sei
es dem Mythos verwandt - um Anverwandlung der Realität an das

Füller. Hans-Peter [Hg.]: Was ist Wahrheit? Stuttgart-Berlin-Köln: Menschengemäße (55). Damit orientiere dieses Zeugnis einerseits auf

Kohlhammer 1989. I 19 S. gr. 8'. Kart. DM 39,80. pragmatische Bewahrheitung des Sagens durch das Handeln des Menschen
, andererseits aber bleibe diese Bewahrheitung kontingentes

Was wird angesichts der evolutionären Erkenntnistheorie, die das Ereignis von Gott her. Besagte Anverwandlung bzw. Assimilation
Interesse des biologischen Überlebens der Gattung Mensch zum könne aber nicht so verstanden werden, daß die Offenbarung in den
Wahrhcitskritcrium schlechthin macht, aus der klassischen Dcfini- Dienst menschlicher Interessen trete, vielmehr gehe es um Eröffnung
''on. daß Wahrheit adaequatio rei et intellectus sei? Und wie kann der des Heils. Und dessen Begründung als gegenständlich-reale Wirklich-
Wahrhcitsanspruch des christlichen Glaubens noch vertreten werden, keit liege aber, „wie das rettende Vergeben angesichts von Unheilsverwenn
die biologische Funktionalisierung der Wahrheit Platz greift? kündigung und Umkehr, allein bei Gott (64)". M. Welker insistiert in
Diese Fragen haben offensichtlich den Anstoß gegeben für eine an der seinem abschließenden Beitrag darauf, daß nicht im vagen Ausblick
Universität Münster gehaltene interdisziplinäre Ringvorlcsung, deren auf eine schrankenlose Totalität, sondern in spezifischen Formen
Beiträge in dem hier zu besprechenden Buch abgedruckt sind. Wahrheit gegenwärtig wird. Aber jede sprachliche Form, in welcher

Schon vom Naturwissenschaftlichen her ergibt sich eine Sprödig- Menschen sich die Wahrheit zu vergegenwärtigen suchen, sei illu-
keit gegenüber der Auffassung, daß der Selektionsvorteil Maßstab für sionsgefährdet. Gibt es nun Kriterien dafür, solcher lllusionierung zu
die Wahrheit sei. So macht der Biologe G. Altner deutlich, daß wohl entraten? Von der biblischen Überlieferung her lassen sich als (gleichwie
Erkenntnisfähigkeit des Menschen evolutionäres Anpassungser- sam ideologiekritische) Kriterien gegen sich selbst die Gerechtigkeit
gebnissci. aber eines, welches „hinsichtlich der Erkenntnis Wahlmög- und die Bereitschart zur Selbstrücknahmc angeben sowie die Sensibi-
'•chkeiten eröffnet (25)." Und der Physiker W. Franz zeigt die (vor lität für das scheinbar Vernachlässigbare.

a"em auch psychologischen) Hürden auf, die sich vor der Aufgabe Alle Beiträge dieses Sammelbandes machen deutlich, daß eine

Auftürmen, die Wahrheit vorurteilsfrei zu erkennen. Grundsätzlich rasche und plane Lösung, wie solche sich etwa in Gestalt dereolu-

aber sei gerade von der Physik her auf den Sprung zwischen der tionären Erkenntnistheorie neuerdings anbietet, dem Wahrheitspro-

örauchbarkeit einer Theorie zur Erklärung der Phänomene und der blem niemals gerecht werden kann. Die Schwierigkeiten bleiben, aber

voUsOnd igen und widerspruchsfreien Beschreibung der Wirklichkeit ebenso die Aufgabe, um Antwort auf die Frage1, was Wahrheit sei, zu

aufmerksam zu machen. ringen und Bedingungen hierfür zu formulieren. Klarheit in diesen

Noch komplizierter gestaltet sich eine bündige Antwort auf die Schwierigkeiten und in dieser Aufgabe zu gewinnen ist das gelungene

Titelfrage, wenn der sprachliche Charakter der Wahrheit in den Blick Anliegen des Buches.

|ritt und mit den Sprachen die Erkenntnis einer in ihnen enthaltenen Greifswald Bernd Hildebrandt
Je besonderen Weltsicht. Da diese nicht gänzlich in eine andere Sprache
übersetzbar sei, gewinne der Gedanke des sprachlichen Relativi-

'aisprinzips. so der Sprachwissenschaftler H. Gippcr in seinem Vor- o..„4.„_--,*:~„u.,. tu__—:~ a ii____:___

^ag. piausibii.tät. Sein Fazit lautet dann: Wahrheit ersehen perspek- Systematische Theologie: Allgemeines

tivisch gebrochen im Spektrum der natürlichen Sprachen. „Was Menschen
überhaupt erkennbar ist. wäre nur dann zu ermessen, wenn man Bertling, Birgit [Ed.]: Kierkegaard - Poet of Existence. Kierkegaard
die Spektralfarben der Sprachen zusammenfaßte und somit eine Conferences 1, publ. by The Soren Kierkegaard Society Denmark
Ann:ih0^,,-„ i o i - u. j ... ....... . ,. and The Department of Soren Kierkegaard Research University ol

■*unanerung an das weiße Licht der unerreichbaren Wahrheit erzielte K iTnoo i ai. c o. ir

I8si-n> n l . j- «-u. ■ . iii i_ i_ ■* Copenhagcn. Kopenhagen: Reitzel 1989. 146 S. gr. 8'. Kart. DKK

*°->). Daß insbesondere die Dichtung dieses Geheimnis der Wahrheit _

hütet und bewußtmacht, kommt eindrucksvoll im Beitrag des Litera-

•urwissensehaftlcrs G. Baumann zur Sprache. Der Beitrag stellt Dieser von Birgit Bcrtung herausgegebene Sammelband enthält die

8'eichsam einen Kommentar zu dem Satz von der Unauslöschlich- Vorträge, die auf der internationalen Sören-Kierkegaard-Konfcrenz

keit des Individuums dar. in Hilleröd (Dänemark)-veranstaltet von der dänischen Kierkegaard

Allein eine erdichtete Gestalt vermag Antwort auf die Frage nach Gesellschaft - vom 26. Juni bis I.Juli 1988 gehalten wurden. In

dem Ich zu geben, denn „sie allein versammelt alle möglichen Wirk- diesen Referaten ist das Grundthema „Kierkegaard - Poet of