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1991

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 10

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Luthers theologischem Denken zurückkehrt. Dies sieht er darin,
daß Luther die sich selbst durchsetzende, vorgegebene Klarheit
der Heiligen Schrift als die seinem Denken vorgegebene Größe
anerkennt, also gerade keine Lehre, keine Grundlegung der Lehre
von der Heiligen Schrift entwirft. Rothen bewährt dies princi-
pium in einer Kritik an der Theologie Karl Barths, der er eben
dies vorwirft, daß sie eine eigene Grundlegung der Theologie
schaffen will (vgl. II, 29).

In einer breit angelegten Darstellung wird Luthers Verständnis
der Heiligen Schrift dargelegt: „Die Bibel ist Gottes Wort, nicht
Menschenwort" (I, 55). Aus dieser allgemein anerkannten Voraussetzung
kann Luther im Streit mit Erasmus die Klarheit der
Schrift folgern (I. 159). Daß Gott seiner Kirche die Heilige
Schrift gegeben hat, wird nicht „mit dem Hinweis auf das innere
Zeugnis des Heiligen Geistes" (I, 60) begründet: Die Bibel wird,
was sie ist, nicht erst durch den Gebrauch, der von ihr gemacht
wird. Sein „klares Urteil über ihre historische Verwurzelung" widerspricht
seiner Überzeugung von der Göttlichkeit der Schrift
dabei in keiner Weise (I, 65).

Eine ausführliche Darstellung gilt der viel erörterten Frage der
(zweifachen) Klarheit der Schrift. Grundsätzlich ist sie keine
„Aussage der Empirie", sondern „Prinzip, ... Annahme und Voraussetzung
" (I, 82), die dann allerdings zur Erfahrungswahrheit
des Glauben werden kann. Die innere Klarheit dient nur der Erbauung
des einzelnen, während die äußere „in der öffentlichen
Verkündigung" der Schrift „an alle Welt" besteht (I, 86). (Rothens
spätere Betonung der Unterscheidung von Glaube und
Lehre hat hier ihre Grundlage in Luthers Denken [vgl. I., 183ff])
Luthers „primum principium", sein Vertrauen in die Schrift, bewährt
sich im Abendmahlsstreit (I, 98ff). in der Auseinandersetzung
mit der scholastischen Theologie (I, 108ff). insbesondere
aber im Streit mit Erasmus(I, 115ff): In „De servoarbitrio" geht
es in erster Linie um das rechte Verständnis der Heiligen Schrift.
Luther will die „Wahrheit recht, d. h. heilsam ... sagen", „nicht,
sie irgendwie anschaulich und begreifbar ... machen" (I, 126).
Nur so wird verhindert, daß die Vernunft „ohne und jenseits des
Glaubens die Probleme des Gottesgedankens" (I, 132) zu lösen
versucht. Luthers Verständnis der Vernunft und sein Beharren
auf den einfachen Worten der Bibel entsprechen einander: „Die
Schrift ist nicht ein passives Objekt, das vom Licht des Menschengeistes
erhellt wird, sondern sie ist das Subjekt (!), das vielfältig
.aufklärend' die dunklen Schatten über dem Leben vertreibt." (I,
145) Die Vernunft kann das Wort allenfalls hören (I, 174), sie integriert
auch noch die Wahrheit Christi als seine Nützlichkeit in
ihr System des Gesetzes (1,170), sie kann das Angebot der Gnade
nur als Gesetz, als Aufforderung zum Nichtstun hören. Sie vermag
aber nicht ohne „eigenes Recht und ohne eigene Sicherheit
allein an der Zusage Gottes" (I, 174) zu hängen.

Sehr wohl aber kann und muß die Vernunft „geheilt", „befreit
", „erlöst" werden, ohne dabei auf eine neue, höhere Seinsstufe
gehoben zu werden (I, 177). Da Gott und Mensch immer
schon „von Natur aus" beisammen sind (I, 176), geht es darum,
die zwischen ihnen bestehende Feindschaft aufzuheben, nicht
darum, sie erst zusammenzubringen. Die Vernunft kann also erleuchtet
werden; dies geschieht so, „daß sie sich .entspannt' und
Gottes Wort als solches sein und gelten läßt" (I, 177). Innerhalb
ihrer weiten Grenzen ist sie gar nicht hoch genug zu schätzen. Zurückzuweisen
ist jedoch ihr Anspruch, die Bedingungen und
Möglichkeiten der Erkenntnis Gottes zu bestimmen und auf
einen Begriff bringen zu wollen. - Luthers Denken bleibt auch an
diesem Punkt offen, nicht begrifflich verfestigt und systematisch
abgeschlossen; eben damit folgt es dem unendlichen Reichtum
der Heiligen Schrift und ist so auch der Vielfalt des menschlichen
Lebens angemessen.

Daraus ergibt sich Rothens Grundkritik an Barth: Mit seinem
Grundverständnis der Bibel als „Bezeugung des Wortes Gottes"

(II, 25) hat Barth das „neuentdeckte Rätsel der Heiligen Schrift
„wieder in einen Begriff .eingeordnet'" (II, 26). Als Bezeugung'('
die Bibel nicht mehr Gottes Wort, sondern sie muß immer wieder
, ubi et quando visum est Deo (siehe II, 50, Anm. 69). in einem
unverfügbaren Ereignis dazu werden.

Die gleiche Struktur sieht Rothen in Barths Christologic: In dem Werk,
der Tat Jesu Christi liegt die Einheit seiner göttlichen und menschlichen
Natur (II. 57). Die „Kooperation (sc. der beiden Naturen in Christi Werk)
ist aber nicht Kommunikation." (II. 59) Damit stimmt Rothen Hägglund5
(und Wingrens) „Vorwurf einer doketischen Auffassung der Person und
einer .nestorianischen' Scheidung der beiden Naturen Christi" weitgehend
zu.

Aber: „ Will Gott den Gegenständen gegenüber frei bleiben?
(II, 131) Oder hat er nicht so, wie er sich in Christus an den Menschen
gebunden hat, auch sich und sein Wort an das (durchaus
menschliche) Wort der Heiligen Schrift gebunden? Und Führt es
nicht allen gegenteiligen Intentionen zum Trotz zu einer Geringschätzung
der Bibel, wenn die „Erkenntnis des Glaubens •■■
durch das zeitlich Gegebene hindurch zu Gott als ihrem einzige0
Gegenstand" (II, 128) dringen soll?

Alle weiteren Kritikpunkte an Barth (insbesondere II, 92fD
Führt Rothen letztlich darauf zurück, daß der Bibel ihr Platz nicht
zuerkannt wird. Mit dem Schlagwort „Ethisierung des Christlichen
" (II, 177) wird das unterschiedliche Verständnis des sola
gratia bei Luther und Barth bezeichnet. Zwar stimmt Rothen zunächst
der Kritik Jüngels an Ebeling (II, 1760 zu, um dann jedoch
noch schärfer und grundsätzlicher zu werden: „Es ist also
das im Analogiedenken befangene menschliche Herz, das keinen
anderen Weg kennt, um zu Gott zu gelangen, als den des vermittelnden
Denkens und Handelns" (II, 179). Diese „Beschaffenheit
des menschlichen Herzens" (II, 178) macht die eigentliche
Gefährdung des Evangeliums aus; und dies wird verdeckt, wenn
man „auf das Tun Gottes und die diesem Tun ebenbildlich entsprechende
Spontaneität des menschlichen Handelns" (II. 180)
blickt, anstatt bei dem den Menschen rechtfertigenden „Wort
und ... Glaube(n) allein" (ebd.) stehenzubleiben.

Das Werk Rothens wird mit seiner kompromißlosen Kritik an
Barth und seiner ebenso scharfen Ablehnung jedes Vermittlungsversuches
, die Anliegen Luthers und Barths nebeneinander gelten
zu lassen und sie zusammenzubringen, sowie seinem Verständnis
der Bibel als unmittelbares Wort Gottes Unverständnis
und Ablehnung provozieren. Vielleicht wäre im universitären
Bereich aus den beiden Bänden eine Abhandlung über die geistesgeschichtlichen
und theologischen Voraussetzungen und Implikationen
der historischen Kritik geworden, die kaum jemand
zur Kenntnis genommen hätte. Rothen hat jedoch seinem „Anliegen
" (trotz II, 35), im Dienst der Kirche zu einem neuen Hören
auf die Heilige Schrift beizutragen durch die Zurückweisung aller
Voraussetzungen jeglicher Art, durch die Konzentration auf
Luther und Barth, die beiden Theologen, von denen auch am
Ende des 20.Jh.s immer noch am meisten zu lernen ist. sicher
besser gedient.

Bern Ulrich Dietzfelbinger

Benrath. Gustav Adolf: Evangelische Bewegung und Reformation in
der Reichsstadt Speyer (1517-1555) (BPfKG 57. 1990. 289-306).

Eger, Wolfgang: Ausstellung „450 Jahre Reformation in der Stadt
Speyer" (BPfKG 57, 1990. 70-288: III.).

-: Speyer und die Reformation: die konfessionelle Entwicklung in der
Stadt im 16. Jahrhundert bis zum Dreißigjährigen Krieg (BPfKG 57. 1990.
9-37).

Finzsch-Sprengel, Norbert: Heinrich VIII. und Anna von Kleve: das
„Privatleben" Heinrichs VIII. von England zwischen 1538 und 1542 und
seine Verwicklungen in die europäische Politik dieser Jahre (AHVNRh
192/193. 1990,47-67).