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Ausgabe:

1991

Spalte:

739-741

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schenke, Ludger

Titel/Untertitel:

Die Urgemeinde 1991

Rezensent:

Lohse, Eduard

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 10

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eine mindestens implizite christologische Perspektive, die Androhung
eschatologischer Sanktionen und die durch die eigene
Gesetzesauslegung und Gemeindeordnung gegebene Distanz
zum Judentum. Ein zusammengehörender Traditionsblock B
umfaßt 6,(l).2-6.16-18; 10,5f.23b; 23,2f.5. 6,1 und 23,5 enthalten
beide 7tpö<; tö Geaüfjvai +Dativ. 10,23b setzt 10,5f voraus.
Diese Logien sind aus einer Perspektive innerhalb der Synagoge
formuliert, wobei die Synagogenleitung vermutlich aus nicht-
jesus-gläubigen Juden bestand. Daneben erkennt B. zwei weitere
Traditionsblöcke. Ein Block C umfaßt 23,15.16-22.24 und evtl.
5,23f; hier wird der Kult immer noch als für die Frömmigkeit
wichtig vorausgesetzt, aber die Polemik gegen die jüdischen Führer
ist stärker geworden. Zum Block D gehören 6,7; 7,6, die gemeinsam
eine antiheidnische Polemik aufweisen. Brooks ergänzt
seine Überlegungen dadurch, daß er sich ausschließende Logien
zusammenstellt. Dazu gehören 23,2f.5 und 8-10; 5,33-35+(37)
und 23,16ff; 23,2f.5 und 15.16ff.

Ich gestehe, daß ich nur in seltenen Fällen überzeugt worden
bin. Abgesehen von 5,19.21f.27f.33ff und 10,5f.23b, wo B. sich
darauf stützen kann, daß einzelne Logien ohne ihren Kontext unverständlich
bleiben, scheinen mir die vorgeschlagenen inhaltlichen
Kriterien zu vage, um von einem "level of tradition" (93)
sprechen zu können. Polemik gegen jüdische Führer (Gruppe C)
und gegen Heiden (Gruppe D) sind an sich sowohl mit der „innerjüdischen
" Traditionsschicht B als auch mit der „außerjüdischen
" Traditionsschicht A vereinbar. Wie wenig sich die escha-
tologische Ausrichtung (Gruppe A) als Kriterium eignet, zeigt
sich daran, daß sie in der Mehrzahl der Logien auch dieser
Gruppe fehlt. Die Problematik des Verfahrens zeigt sich auch
daran, daß B. nirgendwo auf die Frage, welche dieser Logien auf
Jesus zurückgehen könnten, zu sprechen kommt. Wenn ich das
uns heute vorliegende methodische Instrumentarium von Echtheitskriterien
anwende, so stoße ich in allen vier Traditionsgruppen
auf möglicherweise echte Jesusworte. Nun kann ich gewiß
auch selbst irren; aber der Hinweis weist auf ein ernsthaftes Defizit
in seinen methodischen Schritten.

Es ergibt sich nun von selbst, daß ich auch seinen historischen
Rekonstruktionen nur cum grano salis folgen kann: Aufgrund
des jetzigen Aufbaus der Kapitel Mt 10 und 23 erarbeitet er ein
geschichtliches Entwicklungsschema von 1. Existenz der judenchristlichen
Gemeinde innerhalb des Judentums, 2. Konflikten
und 3. Trennung vom Judentum (116-119). Das ist gewiß richtig,
aber es ist ein nicht ganz seltener Trugschluß, zu meinen, Materialien
, die in einem bestimmten Textabschnitt später kommen,
seien jünger. Er ordnet dann seine vier Traditionsgruppen diesen
drei Entwicklungsstufen zu: Gruppe B gehört in die älteste
Phase, Gruppen C und D in die mittlere, Gruppe A in die jüngste.
Brooks weist auch selbst auf den hypothetischen Charakter seiner
Folgerungen hin (122). Er tut gut daran.

Die Arbeit ist im übrigen methodisch solid, begrifflich klar und
von wohltuender Kürze (weniger als 110 Seiten Haupttext trotz
der zahlreichen analysierten Stellen!). Es ist nicht auszudenken,
wie weitschweifig eine entsprechende Arbeit hätte werden können
, wenn sie in deutschsprachigen Landen geschrieben worden
wäre (eine Umfangbegrenzung für Dissertationen ist hierzulande
m. E. ein dringendes Desiderat!). Ein ebenso wohltuend knapper
Anmerkungsteil und drei Anhänge (Übersicht über M bei Stree-
ter, Manson und Kilpatrick, Text und Übersetzung des M-Texts
und eine [entbehrliche] unterstrichene Synopse, die auch die
strittigen Texte enthält) ergänzen den interessanten Band.

Laupen/Bern Ulrich Luz

Schenke, Ludger: Die Urgemeinde. Geschichtliche und theologische
Entwicklung. Stuttgart-Berlin-Köln: Kohlhammer 1990.
358 S. gr. 8 . Kart. DM 36,-.

Im Vorwort charakterisiert der Vf. die Absicht, die seine Darstellung
verfolgt, mit den Worten, es gehe ihm nicht um neue Einsichten
, sondern eher um Veranschaulichung. Er wolle „die Ereignis
-, die Sozial- und die Überlieferungsgeschichte der
Urgemeinde aufeinander beziehen und in einem Band darstellen
". Für diese Aufgabe stütze er sich „auf den Konsens der historisch
-kritischen Exegese", wie er ihn meine wahrnehmen zu
können. Diese Kennzeichnung seines Vorhabens ist fast ein
wenig zu bescheiden gehalten. Denn tatsächlich entwirft der Vf.
ein Bild der frühen Christenheit, das in weit ausgreifender Betrachtung
nicht nur den Ablauf des Geschehens, sondern auch
die Lebensbedingungen der damaligen Zeit, vor allem aber die
Anfänge einer frühchristlichen Theologie umfaßt. So sehr sich
der Vf. dabei auf die Fülle einschlägiger Untersuchungen stützt,
so klar gibt er doch jeweils sein eigenes, durchweg wohl abgezogenes
Urteil ab und fügt die vielen Bausteine zu einem geschlossenen
Entwurf zusammen, der nicht nur die Urgemeinde im engeren
Sinn, sondern darüber hinaus auch die frühe Christenheit
in Palästina und Syrien vor und neben Paulus in den Blick faßt-
Sorgfältig zusammengestellte Literaturhinweise sowie gefaßt
kritische Würdigungen wichtiger Abhandlungen tragen dazu bei-
daß der Leser gründlich informiert und in die Lage versetzt wird-
sich für die eigene Arbeit orientieren zu können. Insofern erfüll'
dieses Buch durchaus die gestellte Aufgabe, eine Zusammenschau
für die Hand der Studierenden zu bieten.

Die „Darstellung der Geschichte der Urgemeinde und ihrer
Überlieferung beginnt dort, wo das Wirken des irdischen Jesus
endete" (11). Doch wird mehrfach nach der Wirksamkeit Jesu
und den Impulsen, die von ihr in die frühe Christenheit ausgegangen
sind, zurückgefragt. Ebenso wird immer wieder auf die
Umwelt des Neuen Testaments sowie religionsgeschichtliche Zusammenhänge
eingegangen, um die Anfänge der Christenheit vor
dem Hintergrund der Zeitgeschichte zu beschreiben. Dem Leser
werden dabei nützliche Orientierungshilfen geboten, indem sowohl
wichtige Texte aus der Spätantike und der frühen christlichen
Überlieferung wie auch kennzeichnende Sätze aus der
Werkstatt der exegetischen Forschung abgedruckt werden, so daß
man die vorgelegte Darstellung prüfend begleiten kann. Hat die
Geschichte der Urgemeinde mit den Erscheinungen des Auferstandenen
begonnen, so folgt hieraus die konstitutive Bedeutung
der Osterbotschaft für die Ausbildung ihrer ersten Verkündigung-
Doch wie die Hörer der Jesusbotschaft von Anfang an recht unterschiedlicher
Herkunft waren, so stellte auch die Urgemeinde
keine einheitliche Größe dar. Alsbald gewann die Gruppe der
Hellenisten schon in Jerusalem prägende Bedeutung, die dann
noch einflußreicher wurde, als sie die Stadt verlassen mußten
und in Palästina und Syrien neue Gemeinden gründeten. In Galiläa
wird es Gruppen gegeben haben, die auf die Predigt Jesu zurückgegangen
sein werden und dann - teilweise auf Grund der
Tätigkeit von Wandermissionaren - mit der Urgemeinde nähere
Verbindung gewannen. Eine feste Ämterstruktur wird die Urgemeinde
selbst noch nicht entwickelt haben. „Wo in ihr Ämter
und Funktionen von einzelnen Personen wahrgenommen wurden
, wurden sie auf eine Berufung durch den Auferstandenen
oder auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt ... Erst
in der zweiten Generation stellte sich das Problem organisierter
Gemeindeämter und der Amtssukzession." (80) Breiteren
Raum erhält die Darstellung der frühen christlichen Verkündigung
und der Anfänge einer urchristlichen Theologie. Sowohl die
christologischen Anschauungen der ältesten Urgemeinde wie
auch ihre Stellung zu Gesetz und Tempel, die Anfänge einer urchristlichen
Ethik in der Ausbildung von Weisungen und Ermahnungen
wie auch die Prägung frühchristlicher Glaubensformeln
- teils durch die Jerusalemer Urgemeinde, teils durch die Hellenisten
und dann die Gemeinde von Antiochia - werden beschrieben
und gewürdigt. Auf diese Weise tritt der enge Zusammen-