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Ausgabe:

1991

Spalte:

711-712

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Baur, Wolfgang-Dieter

Titel/Untertitel:

Johann Georg Hamann als Publizist. Zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Verkündigung 1991

Rezensent:

Baur, Wolfgang-Dieter

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711

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 9

712

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

Baur, Wolfgang-Dieter: Johann Georg Hamann als Publizist.
Zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Verkündigung. Diss.
Tübingen 1989. 258 S.. 99 S. Anm.

Die Arbeit rekonstruiert vorwiegend unter religionspublizistischen
Gesichtspunkten Hamanns Engagement bei den „Königs-
bergschen Gelehrten und Politischen Zeitungen" in den Jahren
1764-1780.

Der erste Teil bietet einen Überblick über Anlaß, Ausmaß und
Eigenart von Hamanns Mitarbeit bei der von Johann Jakob Kanter
herausgegebenen Zeitung. Hamanns Leistung als Zeitungs-
wissenschaftlcr. Redakteur und freier Mitarbeiter wird ebenso
dargestellt wie seine Eigenart als Rezensent und Kritiker.

Im zweiten Teil wird an acht exemplarisch ausgewählten Rezensionen
die Arbeitsweise des Religionspublizisten Hamann
untersucht. Die Auseinandersetzung mit der aufklärerischen Religionskritik
und deren theologische Verarbeitung durch Hamann
steht dabei im Mittelpunkt des Interesses. Hamanns Stellung
zur natürlichen Religion, zum Verhältnis von Vernunft und
Offenbarung, zu Fragen der Anthropologie. Ethik und Ästhetik,
aber auch der Bibclhermcneutik, des Sakramentsverständnisses
und der religiösen Erziehung lassen in anschaulicher Weise Hamanns
theologische Grundauffassungen und den Versuch ihrer
Vermittlung in dem im 18. Jahrhundert immer größere Bedeutung
gewinnenden Medium „Zeitung" deutlich werden.

Der dritte Teil der Arbeit widmet sich Hamanns Verständnis
der Öffentlichkeit. In scharfer Auseinandersetzung mit den sich
neu etablierenden Institutionen bürgerlicher Öffentlichkeit gewinnt
Hamann die Einsicht, daß sich die Annahme einer von
selbst funktionierenden Öffentlichkeit als zu optimistisch erweist
. Besonders Kants transzendentales Prinzip der Publizität
läßt sich von Hamann her kritisieren, der die Durchsetzung allgemeiner
Publizität nicht nur als eine Chance zur Rationalisierung
politischer EntScheidungsprozesse ansah, sondern in ihr zugleich
die Errichtung eines neuen Herrschaftsinstruments der aufgeklärten
Vernunft aufspürte, die den Streit um das Denkbare und
Sagbare nur noch innerhalb ihrer Grenzen zuzulassen gewillt ist.
Gegen diese Identifikation von Wahrheit und Öffentlichkeit setzt
sich Hamann als Publizist zur Wehr.

Das Ziel Hamannscher Publizistik ist es, den christlichen
Glauben unter den Bedingungen einer sich auch in religiöser
Hinsicht aufgeklärt wähnenden Öffentlichkeit kommunikabel zu
machen. Mittel und Wege dazu versucht der vierte Teil der Arbeit
zu systematisieren. Die Herablassung Gottes - ein theologischer
Zentralgedanke Hamanns - bewegt ihn zu einer entgegen dem ersten
Anschein seiner Schriften höchst kommunikativen Form
der Einlassung sowohl dem von ihm besprochenen Autor als
auch dem Leser gegenüber. Mitteilung wird zur Uberführung des
Gegners mit dessen eigenen Sprach- und Denkmöglichkeiten.
Hamanns Form der Einlassung läßt sich dabei als ein konkreter
Widerspruch zu dem im Raum öffentlicher Diskussion immer
schon vorausgesetzten Einverständnis über das überhaupt Mitteilbare
erweisen. Sie zielt auf eine Intensivierung der Kommunikation
im Blick auf bisher von einer vernünftigen Öffentlichkeit
für nicht kommunikabel gehaltene Sachverhalte.

Dem unbekannten Leser gilt die besondere Aufmerksamkeit
des Religionspublizisten Hamann. Die Eigenart seiner Mitteilung
läßt sich unter rezeptionsästhetischen Gesichtspunkten als
der Versuch verstehen, den Leser schon in der Anlage des Textes
zu Wort kommen zu lassen und ihn zugleich zu einer anwendenden
Deutung des Gelesenen zu bewegen.

Für Hamann bedeutet Publizistik in erster Linie „ Dienst der
Wahrheit", der den springenden Punkt, den anderen frei zu machen
, nicht verfehlen darf. Darum gilt.ein Hauptaugenmerk de>
Publizisten Hamann dem Verhältnis von Wahrheit und Freiheit
und deren wechselseitigen Implikationen in der Form der Mitteilung
. Hierin liegt auch die bleibende Aktualität des Publizisten
Hamann angesichts einer veränderten Gestalt von Öffentlichkeit
.

Koppehl, Thomas: Der wissenschaftliche Standpunkt der Theologie
I. A. Dorners. Diss. Kirchl. Hochschule Berlin-Brandenburg
. Berlin 1989. 357 S.

Mit dem wissenschaftlichen Standpunkt der Theologie c//nl
Theologen ist immer zugleich das System von Standpunkten thematisch
, welches dem einzelnen Standpunkt seinen Ort zuweist-
Es ist ja die erstaunliche Entdeckung Hegels und der ihm nachfolgenden
Theologie, daß der Vielzahl theologischer Äußerungen
eine relativ geringe Zahl systematischer Standpunkte zugrunde
liegen. Diese Standpunkte lassen sich in immer neuem terminologischen
Gewand explizieren und miteinander vermischen. Zur
Führung eines geordneten Dialogs innerhalb einer pluralistisch
verfaßten Theologie ist die Frage nach diesen Standpunkten unumgänglich
. Da eine einheitliche terminologische Klammer und
ein einheitliches Verständnis der grundlegenden theologischen
Wahrheiten nicht vorhanden ist. können die unterschiedlichen
theologischen Äußerungen nur über den Rekurs auf ihre unterschiedlichen
bzw. identischen systematischen Standpunkte miteinander
wissenschaftlich kommunizieren. Jede unmittelbare
Kommunikation führt zu einer nicht reflektierten Integration
der theologischen Äußerung in den jeweils eigenen theologischen
Standpunkt und damit zur Vereinnahmung des Gesprächspartners
.

Die Vcrmittlungstheologen des 19.Jh.s und insbesondere sein
herausragender Vertreter, Isaak August Dorner. haben einen soll"
den Beitrag zur Erforschung der Standpunkte geleistet, in denen
sich unser theologisches Denken vollzieht. In seiner monumentalen
Christologiegeschichte (1845-1855) schildert D. die Entwicklung
der Christologie als ein jeweiliges Entstehen und Konkurrieren
verschiedener theologischer Standpunkte, die auf einer
jeweils neuen Ebene überwunden und zugleich integriert werden-
Die Rekonstruktion dieser begrifflichen Entwicklung bildet den
Schwerpunkt des ersten Teils der Dissertation. Dem Vf. ging 6*
dabei nicht um die Diskussion des thcologiegeschichtlichen
Aspekts von D.s Werk, sondern um die genaue Erfassung des begrifflichen
Fortschritts, in welchem sich die Aufhebung der verschiedenen
systematischen Standpunkte vollzieht. In dieser
Weise kann Dorners „Entwicklungsgeschichte der Lehre von der
Person Christi" als die genetische Konstitution seines eigenen
theologischen Standpunktes gelesen werden. Dabei zeigt sich-
daß D. im Vollzug der Darstellung der Christologiegeschichte zugleich
die wesentlichen Standpunkte thematisiert und aufhebt-
mit denen es die Theologie nach Hegel zu tun bekam: dem Standpunkt
der Immanenz der Hegeischen Linken, dem Standpunkt
der Transzendenz der Hegeischen Rechten, sowie dem kenoti-
schen Standpunkt der konfessionellen Theologie. Diese Standpunkte
werden am Beispiel von Strauß, Baur. Michelet. Göschd
und Thomasius dargestellt und mit entsprechenden systematischen
Entwicklungen verglichen, die innerhalb der Dornerschen
Entwicklungsgeschichte im Zeitraum der Alten Kirche abgehandelt
werden.

Insgesamt galt diese erste Phase des Wirkens D.s der Auseinandersetzung
mit der Auswirkung von Strauß" „ Leben Jesu" (1835)
und Baurs monumentaler Entwicklungsgeschichte der „christh-
che(n) Lehre von der Dreieinigkeit und Menschwerdung Gottes"
(1841-1843). Der Straußschen „Gattungschristologie". wonach