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Ausgabe:

1991

Spalte:

700-701

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Krusche, Werner

Titel/Untertitel:

Und Gott redete mit seinem Volk 1991

Rezensent:

Heintze, Gerhard

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699

Theologische Litcraturzcitung 1 16. Jahrgang 1991 Nr. 9

700

Theologie der missionarischen Gemeinde zusammengestellt,
wobei primär die Apostelgeschichte, die paulinischen und die
nachpaulinischen Briefe untersucht werden. Das zweite Kapitel
bedenkt ekklcsiologische Aspekte zum Thema, wie sie vom 2. Vaticanum
formuliert wurden. Es schließen sich pneumatologischc
Überlegungen an. da eine Theologie der Gemeinde nach Uberzeugung
des Autors nicht denkbar ist. ohne ausdrücklich die Bedeutung
des Heiligen Geistes für die Gemeinden zu behandeln.
Missionstheologische Erwägungen schließen sich an, in denen
grundlegende Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils und der
neueren Missionstheologie (J. Amstutz und L. Rütti) aufgearbeitet
werden. Das Schlußkapitel bündelt und systematisiert die
Überlegungen und will „praktisch-theologische Grundzüge einer
Theologie der missionarischen Gemeinde" formulieren (236-
312). Jedes Kapitel ist in vorbildlicher Klarheit nach einem einheitlichen
Schema untergliedert: Einer Darstellung der theologischen
Grundlagen schließt sich ein Kritcricnkatalog an, der
jeweils „wesentliche Einstellungen", „grundlegende Handlungen
" und „charakteristische Strukturmcrkmale einer missionarischen
Gemeinde" benennt. Jedes Kapitel wird mit einer Zwischenzusammenfassung
abgeschlossen.

Worum geht es inhaltlich? Der Vf. plädiert dafür, daß an die
Stelle unbewußt-christlicher Gemeinden „entschieden motivierte
" missionarische Gemeinden treten. Gemeinden, die ihren
Glauben offensiv bekennen, die für Gottes Anruf offen und ständig
umkehrbereit sein wollen, die Heil in umfassender Weise verstehen
und bezeugen, die es nicht unkritisch an den Zeitgeist anpassen
, sondern die aus dem Geist Jesu leben, deren Glieder sich
von der Vcrsorgungsmcntalität befreien und ihrer eigenen Sendungsverantwortung
bewußt sind. Für diese Gemeinden sind
Dialog. Kooperation mit allen Menschen guten Willens und gc-
lebte Solidarität mit den Armen ebenso unverzichtbar wie die
Evangelisation aller und die Sammlung zum Volk Gottes. Strukturell
geht es um Formen einer „dynamischen Offenheit", die
u.a. die Situationsbczogenhcit. Kommunikationsfähigkeit nach
außen und innen. Flexibilität. Intensität des Gemeinschaftslebens
und Kreativität gewährleisten sollen. Dieser Fülle attraktiver
Ideale ist schwer zu widersprechen. Das Problem dieser Arbeit
ist nicht, daß der Vf. Falsches oder Abwegiges forderte. Er
nennt als Ergebnis kompetenter und fleißiger Einzcluntcrsu-
chungen in der Tat viele wichtige und richtige Herausforderungen
an die Gemeinde heute. Schwierig ist vielmehr, daß er sich so
stark um Integration der verschiedenen theologischen Argumentationsebenen
und unterschiedlichen Positionen bemüht, daß
am Ende die missionarische Gemeinde zu einer Sammelbezeichnung
für eine Fülle ekklesiologischer Zielsetzungen wird, die sich
nicht so einfach miteinander harmonisieren lassen. Manche seiner
integrativen Interpretationen leuchten ein. Aber andere erinnern
bisweilen an Synodenerklärungen, mit denen man verbale
Brücken über dennoch vorhandene reale Gräben zu schlagen versucht
. Die abstrakt-deduktive Art der Gedankenführung und die
oft thesenartige Sprache tun ein übriges, um solche Assoziationen
zu verstärken.

Gelegentlich wird das Engagement des Vf.s eindeutiger. z.B.
wenn er sich zur „Option für die Armen" bekennt und fordert,
die Gemeinde solle auf staatliche Privilegien verzichten und sich
von den dominierenden Bindungen an die Wohlhabenden und
Herrschenden lösen. Insgesamt ist unübersehbar, daß ersieh zu
einem ganzheitliehcn Heils- und Missionsverständnis bekennt,
das dem nahekommt, das während der Debatten um die „ missionarische
Struktur der Gemeinde" von den ökumenischen Arbeitsgruppen
zwischen Neu Delhi und Uppsala vertreten worden
ist. Im Unterschied zu den damaligen Begründungen eröffnet der
Vf. mit seinem pneumatologischen Argumentationszusammenhang
eine Grundlage, um einige der damaligen offenen Fragen
theologisch überzeugender zu beantworten. z.B. die Frage nach

dem „Christusaußcrhalb der Kirche", nach Sinn und Grenze des
„Dialogs", nach der Bedeutung der „Welt", die die „Tagesordnung
" aufstellt.

Hat der Vf. mit seinem Entwurf eine praktisch-theologisch1-'
Handlungsthcoric entworfen? Er hat biblische und systematisch-
theologische Kriterien zusammengestellt, die als Impulse für den
Gemcindcaufbau wirken können. Leider fehlt eine Reflexion des
heutigen Menschen, der vorfindlichen Gemeinden oder der gegenwärtigen
gesellschaftlichen Situation. Hier überläßt der VI.
alles Weiterdenken den Verantwortlichen vor Ort. Aber eine
grundlegende Reflexion der Situation gehört m.E. mit zu den
Komponenten einer praktisch-theologischen Handlungsthcoric-
Durch sie würden Prioritäten gesetzt und das neutralistische Nebeneinander
der vielen Postulate beendet. Außerdem würde so
deutlicher, wie aus den Idealen nicht nur ein „ unglückliches Bewußtsein
" aufgrund der so ganz anderen Realität, sondern eine
motivierende Schrittfolge abgeleitet werden könnte, mit der sie
in Handlung überführt werden. Praktische Theologie wird hier
als reine Deduktion aus biblischen und systematisch-theologische
Kriterien gedacht. Die Arbeit selbst belegt in ihrer Weise-
daß dieser Ansatz zu eng ist.

Leipzig Wolfgang Ratzmann

Krusche, Werner: Und Gott redete mit seinem Volk. Predigte"
aus den achtziger Jahren. Hg. von R. Landau. Stuttgart: Cal-
wer 1990. 192 S. 8 = Calwer Taschenbibliothek. 1 7. Kart. DM
19,80.

Der Band enthält Predigten aus Krusches bis 1983 reichender
Bischofszeit in der Kirchenprovinz Sachsen und aus seiner Ru-
hestandszeit in den Jahren danach. Die Predigten sind größtenteils
in Gemeinden der früheren DDR gehalten, einige aber auch
in der Bundesrepublik und in anderen Ländern. Bemerkenswert
ist. daß alle diese vor der politischen Wende gedruckt werden
konnten. Sic haben auch jetzt noch eine starke geistlich*
scelsorgcrliche Aussagekraft.

Überall geht es Krusche darum, die Aussagen des jeweiligen Bi-
beltextcs der Gemeinde als sie gegenwärtig betreffendes, tröstendes
, erbauendes und mahnendes Wort Gottes nahezubringen. Er
weiß sich dazu berufen als einer, den Jesus Christus als der wahre
gute Hirte dazu gesandt hat. So hält Krusche sieh in der Regel an
die Texte, die für den jeweiligen Sonn- oder Festtag in der Ordnung
der Predigttexte zum Predigen empfohlen sind.

Klare Dispositionen und vielfältige Hinweise auf andere zentrale
Schriftaussagen und Zitate aus Gesangbuchliedern, die den
Gemeinden bekannt sind, erleichtern vor allem Hörern, die den
regelmäßigen Umgang mit der Bibel gewohnt sind, das Verstehen
und Behalten. Auf den historisch-kritisch zu ermittelnden „Sitz
im Leben" des jeweiligen Textes wird sorgfältig hingewiesen
Dennoch gelingt es Krusche. den Hörern zu vermitteln, inwiefern
gerade dieser Text zur lebendigen Anrede für heutige Menschen
wird. Konkrete Nöte und Anfechtungen, namentlich der
zur Minderheit gewordenen christlichen Gemeinde, werden
offen zur Sprache gebracht. Aber vor allem geht es Krusche um
Ermutigung und Wegweisung, um das Wagnis neuen Gottvertrauens
allen Anfechtungen zum Trotz. „Vertrauen wagen" wa'
das Thema der verschiedenen im Jahr 1983 in der DDR gehaltenen
Kirchentage. Auch eine der in der Calwer Sammlung erschienen
Predigten Krusches ist auf einem dieser Kirchentage-
nämlich in Erfurt, gehalten worden.

Die Predigten Krusches sind keine politischen Predigten im
Sinn eines politisierenden Dreinredens in gerade aktuelle Tagcs-
themen. Wohl aber macht Krusche deutlich, wie das Evangelium
Jesu Christi, von dem her auch die atl. Texte verstanden und aus-