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Ausgabe:

1991

Spalte:

48

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

L' attualità filosofica di Anselmo d'Aosta 1991

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

48

nicht nur staatliche Kontrahenten, vornehmlich nach Gründung der
DDR in diesem Staatsgebiet, sondern auch kirchliche, die die geistliche
Einschätzung des Kirchenkampfes 1933-1945 ganz anders vornahmen
als er. Oft zitiert wurde sein programmatischer Satz von
1959: „... wir haben 1945 da wieder angefangen, wo wir 1933 aufhören
mußten". (K. Kupisch: Die deutschen Landeskirchen im 19. und
20. Jahrhundert, Göttingen 1966, 176)

Wer Stupperichs Biographie liest, ist selber der ob seiner Haltung in
zurückliegender Zeit Gefragte. Die Fülle von Materialien und Nachweisen
bietet viel Stoff zu eigener Belehrung und Prüfung, so daß erst
einmal zur Kenntnis zu nehmen und dann, gewissermaßen im zweiten
Arbeitsgang, nach dem zu fragen ist, was fehlt und worin Versäumnisse
des Porträtierten und der ganzen Kirche in seiner Zeit bestanden
haben.

Der Aufbau der Biographie ist durchsichtig und klar. Stupperich
unterteilt dreifach: 1. Leben und Wirken bis 1933 (17-197), 2. In der
Zeit des Nationalsozialismus (201-351), 3. Der Neubau der Kirche
nach 1945 (355-618). Es fällt außerordentlich schwer, die Bedeutung
Dibelius' an dieser oder jener Stelle besonders hervorzuheben, weil
Berichterstattung und Propaganda über ihn sein Bild mannigfach
geprägt und verstellt haben. Je nach eigener kirchenpolitischer Haltung
wurde auch Dibelius eingeschätzt, von Einzelpersonen und ganzen
Synoden. In mehrfacher Hinsicht gab durch Jahrzehnte hin dieser
in so vielen Lebensbereichen Begabte und Engagierte manchen
Anstoß.

In Berlin, wo sich in diesem Jh. so folgenträchtig deutsches Schicksal
entschied, wurde Dibelius geboren. Hier ist er auch gestorben. Seine
Familie kam aus der Mark (Prenzlau), im Brandenburgischen wurde er
tätig. Immer war es die altpreußische Landeskirche, die ihn geistlich und
territorial festhielt. In Berlin bei Harnack ging er kirchengeschichtlich
vor Anker. Seine Dissertationen in der Philosophie und in der Theologie
machten deutlich, daß er gewiß nicht nur ein durchschnittlicher
Professor geworden wäre. Aber durch Frömmigkeit der Eltern, Einfluß
guter Theologen, ja wohl auch durch den theologischen Liberalismus
Harnacks wurde er ein Mann der Kirche. Wissenschaft, Pfarramt,
Kirchenleitung, von 1921-1925 zunächst im Evangelischen Oberkirchenrat
der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, zogen
ihn fast gleichermaßen an, und er verkörperte seine Lebenszweige und
-interessen wohl ganz in jedem seiner Ämter bis hin zum Dienst des
Bischofs in Berlin-Brandenburg, des Vorsitzenden des Rates der EKD
und eines der Präsidenten im Weltrat der Kirchen. Eine Reihe von
Ehrendoktoraten zeugen von der ökumenischen Bedeutung dieses
Mannes, der in fast allen wichtigen kirchenpolitischen Vorgängen der
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mitinvolviert war.

So ist die vorliegende Dibelius-Biographie tatsächlich in etwa ein
Stück Theologie- und Kirchengeschichte seit dem zweiten Viertel des
Jahrhunderts. Damals wurde er Generalsuperintendent der Kurmark
.

Fast alles, was sich in seiner Dienstzeit, besonders in der Zeit seiner
kirchenleitenden Tätigkeit, begab, hat Dibelius angesprochen oder
auch selbst beeinflußt. Die Kontroverse Barth-Dibelius (189-191), in
der er wesentlich auf Seiten seines großen Lehrers Harnack stand, ist
genauso ein Kabinettstück der theologischen Auseinandersetzung der
Zeit schlechthin wie seine Obrigkeitsschrift, die Befürworter und Gegner
gleicherweise auf den Plan rief und damit anzeigte, wo die Probleme
der Zeit zu suchen waren (543-567). Der leidenschaftliche Protest
vieler namhafter Theologen gegen Dibelius' Auslegung von
Rom 13 hat die Gemüter erregt, aber der Bischof meinte auf dem
Höhepunkt der Debatte, seiner Sache „noch nie so unbedingt gewiß
gewesen" zu sein „wie heute" (1960. hier: 566).

Was will man loben, was tadeln? Hier ist nicht in jedem Falle von,
aber an einem - von Freunden und Gegnern - anerkannten bedeutenden
Prediger, Theologen, „Kirchenführer", Ökumeniker, Schriftsteller
und faszinierenden Debatteredner zu lernen, wo die Zeichen der
Zeit zur Entscheidung riefen und in vieler Hinsicht weiter rufen.

Auch wer Stupperichs Problemauswahl und Problemgewichtung

nicht ganz folgen will, wird dem Vf. dankbar angesichts der erstaunlichen
Aktivitätenvielfalt seines Gegenstandes einräumen müssen,
daß er jedem, der hier weiterfragen will, eine gute Ausgangsplattform
gegeben hat.

Görlitz Joachim Rogge

Dogmen- und Theologiegeschichte

Hoegen. Maternus: L'attualita filosofica di Anselmo d'Aosta. Rom:
Pontificia Atcneo S. Anselmo 1990. 263 S. gr. 8' = Studia Ansel-
miana, 101.

Im Dezember 1987 fand in Rom ein Symposium statt, das dem philosophischen
Denken Anselms gewidmet war. Der genannte Band
enthält die Vorträge, „ergänzt und bereichert durch Beiträge, für die
sich dankenswerterweise spätere Mitarbeiter zur Verfügung stellten"
(5). Der Hg. Maternus Hoegen gibt eine Einführung, die zwei Personen
nennt: P. Franziskus Sales Schmitt OSB, den Hg. der kritischen
Gesamtausgabe der Werke Anselms (5), sowie Hans Urs von Balthasar
, der „von dem monastischen und dem benediktinischen Stil" in
Anselms Denken gesprochen hatte (8). Anselms Formel „fides quae-
rens intellectum" wird zweimal erwähnt (5 und 7), den Namen Karl
Barth nennt Hoegen jedoch nicht. Erinnert wird „an die für Jahrhunderte
einflußreichen Gebete und Meditationen Anselms" (8). Sein
Denken kommt aus dem geistlichen Leben, es mündet „am Ende wieder
in das Leben ein, weil es mit ihm immer verbunden geblieben war.
Am Ende liegt der Schwerpunkt um so mehr bei der praktischen statt
bei der theoretischen Vernunft" (9).

Nachstehend die Beiträge: Carlo Huber: Considerazioni seman-
tiche e logichc sul cosidetto argomento ontologico di Anselmo
d'Aosta nel Proslogium (11-24); Aniceto Molinaro: „Unum argumentum
": la peculiaritä del pensiero di Dio (25-64); Paul Gilbert:
L'eternite de Dieu dans le Proslogion de Saint Anselme (65-82); Yves
Cattin: La pensee de S. Anselme et la tradition philosophique de
l'immediatete de Dieu (83-142); Elmar Salmann: Korreflexive Vernunft
und theonome Weisheit in der Logik von Monologion und Proslogion
(143-228); Paul Gilbert: La confession de foi dans le De pro-
cessione Spiritus Sancti de Saint Anselme (229-262).

GH.

Largier, Nikiaus: Zeit, Zeitlichkeit, Ewigkeit. Ein Aufriß des Zeitproblems
bei Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart. Bern-
Frankfurt/M.-New York-Paris: Lang 1989. IX, 316 S. 8'= Deutsche
Literatur von den Anfängen bis 1700,8. Kart. sFr 69,-.

Das angezeigte Buch verdient besondere Beachtung, und zwar in
doppelter Hinsicht: In präzisen Analysen werden noch wenig
erforschte Texte Dietrichs von Freiberg (ca. 1250— 1318/20) umfassend
interpretiert und bekannten Texten Meister Eckharts (ca.
1260-1327/28) neue Perspektiven seines Denkens abgewonnen; darüber
hinaus werden Dietrichs und Eckharts Zeit- und Ewigkeitskonzeptionen
auf dem Hintergrund der unter dem Aspekt der Zeit untersuchten
philosophiegeschichtlichen Entwicklung im 13./14. Jh. miteinander
nach Konvenienz und Differenz verglichen, dies mit dem
Resultat, daß trotz unabweisbarer Berührungspunkte Eckharts Zeit-
und Ewigkeitstheorie sich von der Dietrichs markant unterscheidet,
zumal im Blick auf die divergierenden Phasen Eckhartsehen Denkens
.

Die Untersuchung hebt an mit der Explikation der im Traktat .De
natura et proprietate continuorum' entwickelten Zeittheorie Dietrichs
. Auf die Analyse der Naturkontinua in ihrer Differenziertheit
(3ff) folgt die des Zeitkontinuums, das auf keine Naturaktivität
zurückführbar ist, sondern auf die dreifache Kausalität der Himmelsbewegung
(der causa remota), die „durch die Bewegung" das phanta-