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Ausgabe:

1991

Spalte:

688-690

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Kann man Gott aus der Natur erkennen? 1991

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 9

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deutlich werden läßt, ist mir fraglich. Die Offenbarung geschieht, wie Tillich
in seiner Marburger Dogmatikvorlcsung von 1925 (von Seh. selbst
1986 hg.) sagt, „weder nur im Objekt noch nur im Subjekt, noch in beiden
nacheinander, sondern in der religiösen Wechselbeziehung beider" (i}6).
Was Tillich später die .. Methode der Korrelation" nennen wird, ist in dieser
Beschreibung der Offcnbarungsqualität enthalten: Offenbarung als
Durchbruch ist Offenbarung für das Ich. aber doch auch flir das Ich. ,. Es
gibt keine Manifestation, die nicht für ein Ich wäre". Aber das gilt auch
umgekehrt: „Das Unbedingte offenbart sieh niemals (anders: so ergänze
ich. E. St.) für ein Ich als durch ein Nicht-Ich. Wäre es anders, hätte die Manifestation
keine Realität außer dem Ich. so könnte sie nicht gegen das Ich
andringen. Daseigene Erschüttcrtscin ohne Rcalitäts-Korrclat ist nicht Offenbarung
, sondern im Gegenteil Bleiben in sich selbst. Wohl kann ein eigenes
Schicksal in der Korrelation stehen. Dann ist es etw as vom Ich Losgelöstes
, dessen unbedingt mich angehenden Sinn ich erfahre. Aber ein solches
< )bjektivcs ist nötig. Auch noch der radikalste Mystiker bezieht sieh auf das
Seiende in seinem transzendenten Charakter. Er bleibt nie in seiner Subjektivität
" (Dogmatik. Marburger Vorlesung 1925. Hg. von W. Schüßler.
I >üsscldorf 1986. S. 50). Tillich kann darum auch vom Durchbruch der unbedingten
Gewißheit", vom Durchbruch der Fülle und des Sinnes" und
der Offen ha rung der „Gcgcnwärl igkcil Gottes" sprechen.

Sch. sieht seine Interpretation der Grundoffenbarung bei Tillich
bestätigt durch einen Vergleich mit Martin Kählers Rede von
der „Innerlichkeit des religiösen Lebens" und der „Gottesahnung
", die als begrenzte Erkenntnis Gottes der „Vollkräftigung"
durch die geschichtliche Offenbarung bedarf (§3). Doch die Unterschiede
zu Tillichs Begriff der Grundoffenbarung liegen auf
der Hand. In i}4 geht Sch. zu einer Beschreibung des religiösen
Anliegens über. v.a. der in ihm liegenden Spannung von Konkretheit
und Unbcdingtheit. die zum Wesen der Religion gehört.
Sic habe ihre „objektive Fundierung" in der Immanenz und
Transzendenz Gottes (66). Er zeigt, wie Tillich Gottes Transzendenz
und Immanenz als gegenseitige Freiheit von Gott und Welt
„voneinander und füreinander" versteht (60).

In Kap. 2 und 3 wendet sich Sch. nun direkt dem Rcligions-
thema zu. In der Darstellung des Verhältnisses von Religion und
Kultur (Kap. 3) folgt er i. W. Band III der „Systematischen Theologie
", wobei er allerdings Tillichs Ausfuhrungen zur Selbst-
Transzendierung des Lebens nur streift. Er will nicht mit dem Begriff
„das. was mich unbedingt angeht" bzw. "ultimate concern"
einsetzen, sondern mit Tilliehs „eigentlicher" Definition von Religion
, die er aus der Unterscheidung zwischen dem Existcntial-
und Essentialbild der Religion gewinnt. Ausführungen über den
weiteren und engeren Begriff der Religion und über den Begriff
Theonomic schließen sich an. Er faßt zusammen: „Das Gesagte
bedeutet gerade nicht die Ablehung der Religion im engeren
Sinne, im Gegenteil: Religion im engeren Sinne wird erfaßt als ein
notwendiger Bestandteil unserer Existenz. Wir leben nicht im
Reich Ciottes. in der idealen Theonomic.. in der Gott alles in allem
ist. Doch macht diese Einsicht, daß Gott prinzipiell in allem cr-
fahrbar ist. frei von der Einengung Ciottes auf die Religion im engeren
Sinne" (91). Tclos der Religion ist die ideale Theonomic.

Diese Unterscheidung w ird dann angewandt auf das Verhältnis
von Religion und Religionen (Kap. 3). Telos der Rcligionsgc-
schichte ist die Religion des konkreten Geistes, die innerhalb der
konkreten Religion sich annäherungsweise realisiert. Die Theonomic
ist in der konkreten Religion „fragmentarisch verwirklicht
" (145).

Im 4. Kap. gibt Sch. eine Skizzierung der Symboltheorie Tillichs
im engen Anschluß an seine einschlägigen Aufsätze sowie
einen Vergleich zwischen Bultmanns Programm der Entmytholo-
gisicrung und Tillichs „halber Entmythologisicrung". Schließlich
werden im 5. Kap. einige spezielle Probleme behandelt, die
sich z.T. durch Tillichs terminologische Ungcnauigkciten ergeben
, so die Unterscheidung von Religion und Glaube. Anfragen
formuliert er an Tillichs Glaubensverständnis, das in der Gefahr
des Subjektivismus stehe - von Locke und Leibniz aus betrachtet
. Leider werden die Probleme hier nur berührt. Weitere Themen
sind: Religion und Wissenschaft. Theologie als Wissenschaft
, das Gebet, das Problem des Atheismus.

Wir haben hier eine knappe, gut lesbare Darstellung des Til-
lichschen Rcligionsbcgriffs vor uns. die i. W. der Gedankcnfün-
rung Tillichs und ihren Begründungen folgt, ohne in Sachdebatten
aus heutiger philosophischer, religionswissenschaftlichci
oder theologischer Sicht einzutreten. Dies wäre bei Tillichs allgc*
meinem Religionsbcgriff oder seiner Symbollehre durchaus angebracht
gewesen. Freilich hätte eine kritische Darstellung alle*
hier referierten Themen den gegebenen Rahmen gesprengt.

Methode. Voraussetzungen und Ergebnis der Darstellung hängen
aufs engste zusammen. Entwickelt man. wie der Vf. es will-
Tilliehs Religionsbcgriff aus seinem Gesamtwerk heraus und i"
systematischer Absicht, ergibt sich ein Bild von beeindruckende!
Geschlossenheit und Kontinuität, von Tillichs frühen Arbeiten
über Schclling bis hin zu seiner letzten Vorlesung. Aber gibt es
nicht doch Verschiebungen. Schwerpunktverlagerungen. Entwicklungen
und Brüche im Denken Tillichs? Zweifellos gibt >-'s
auch hier den Kairos. Das Thema der Weltrcligionen z. B. hat
sich ihm vor 1950 anders gestellt als in den Jahren danach, in
denen sich Tillich sehr intensiv in Vorträgen. Seminaren. Begegnungen
, Gesprächen und Reisen mit dem Buddhismus und Zen-
Buddhismus beschäftigt hat. In dem 1951 von Keglcy und Bretall
hg. Sammelband "ThcThcology of Paul Till ich" wird das Thema
„Religionen" nicht mit einem Satz erwähnt. Zehn Jahre später
hält er die Bampton Lccturcs über "Christianity and the Encoun-
terof the World Religions." Auch in diesen Vorlesungen ist das
Kriterium, unter dem alle Religionen stehen, die Manifestation
und Rezeption Jesu von Nazarcth als des Christus. Wie verhalten
sich seine christozcntrischcn Aussagen zu seiner Vorstellung > on
der Religion des konkreten Geistes als des inneren Tclos aller Religionen
? Tillich hat dieses Dilemma sieher gesehen, aber es ist
ihm nicht mehr gelungen, es überhaupt zu lösen. So geschlossen
ist seine Theologie offensichtlich nicht. Sch. selbst räumt dies
ehrlicherweise an einer Stelle ein. wenn er zum Symbol des Christus
mit Rudolf Otto sagt: „ Er ist der Sohn" und dann ausführt;
„Wie nun dieser Sohnesbegriff zu verstehen ist und was dies im
einzelnen heißt, das kann Philosophie rein aus Vernunft nicht
mehr leisten: hier sind wir auf die Offenbarung verwiesen und
deren Verwalterin, die Kirche" (148). Tillich hätte sich so nicht
äußern können. Aber wir können diesen Satz auch als Hinweis
nehmen auf das problemrciche Verhältnis von Tillichs Reli-
gionstheorie und seiner Theologie der Religionen zu seiner Theologie
insgesamt und zu seiner Christologie im besonderen, eine
Thematik, die diese zweite Diss. des jungen katholischen Tillich-
Forschers nicht aufgenommen hat. die er aber uns zu bedenken
gibt.

Münster Erdmann Sturm

Systematische Theologie: Dogmatik

Bresch, Carsten. Daecke. Sigurd Martin, u. Helmut Riedlinger
[Hg.]: Kann man Gott aus der Natur erkennen? Evolution als
Offenbarung. Frciburg-Bascl-Wien: Herder 1990. 1 75 S. 8 -
Quaestioncs Disputatac. 125. Kart. DM 36.-.

Dieser ausgesprochen lesenswerte Sammelband. bzw. das ihm
zugrunde liegende Symposium von Frühjahr 1989 „Evolution
als Offenbarung" verdankt sieh entscheidend dem Einsatz eines
engagierten Laien, nämlich Hans Martin Schmidt in Köln, und
der Stiftung „Theologie und Natur". Die Frage „ Kann man Gott
aus der Natur erkennen?" findet zwar keine einhellige Antwort,
aber die Mehrheit der Autoren tendiert deutlich dazu, diese
Frage grundsätzlich zu bejahen, wenn sie dabei auch im einzel-