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Ausgabe:

1991

Spalte:

680-681

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lage, Dietmar

Titel/Untertitel:

Martin Luther's Christology and ethics 1991

Rezensent:

Lohse, Bernhard

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679

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 9

680

„Ecclcsia spiritualis": „Wenn ich den Begriff .ecelesia spiritua-
lis' (und den ihm korrespondierenden Begriff .ecclcsia corpora-
lis') verwenden möchte, dann nicht mit der Zielsetzung, die genannten
Begriffsvarianten zu unsachgemäßen terminologischen
Beschreibungen der zur Debatte stehenden Fragestellung zu erklären
. Luther selber hat sich immer wieder verschiedener Begriffe
bedient, um sein Verständnis von Kirche darzulegen." (II)

So geht es speziell hier wie generell auch in Luthers Frühtheologie
um die rechte „connexio verborum". Luther wird gezeigt
als ein dynamischer Denker, der auf die Verbindung von Formulierungen
, nicht auf Formeln festzulegen ist und dadurch besonders
im methodischen Ansatz für Folgezeiten interessant und attraktiv
bleibt. Der Autor will „die ungewöhnliche Freiheit" des
Denkens Luthers sichtbar werden lassen, die es dem Reformator
möglieh machte, „seine Auffassung vom Wesen der Kirche und
von ihrer Funktion im geschichtliehen Prozeß der Vermittlung
des christlichen Glaubens in neuen und veränderten geschichtlichen
Situationen zu entfalten". (a.a.O.)

Aus der vorgenannten Einsicht leitet H. seine Methode ab. mittels
derer er Luthers Schriften „Von dem Papsttum zu Rom" und
„Ad librum Ambrosii Catharini" als „polemische Gelegenheitsschriften
" bzw. als „Streitschriften" bezeichnet, die jedoch weit
über diese Tatsache hinaus allgemeine geistliche Akzente von
Luthers Theologie in der Christus-Relation, im Gemeinschaftsund
Vollmachtsgedanken im Blick auf das Kirchenverständnis
enthalten. So gewinnt der Leser bei Durchsicht der zugezogenen
Streitschriften den Eindruck, daß hier nicht Einzelstreitpunkte
ventiliert, sondern wesentliche Beobachtungen zur Erhebung des
ganzen ekklesiologischcn Denkens des Reformators begegnen.
Luther hatte offenbar bei aller Akribie in der Einzelanalyse der
gegnerischen Schriften die große systematische Kraft, exemplarisch
zum Ganzen seines Reformationswerkes zu sprechen. Der
Vf. kann so in Schilderung seines methodischen Ansatzes davon
ausgehen, daß die herangezogenen Lutherschriften „alsganzheitliche
Texte zu interpretieren sind" (14). Zugunsten so gemeinter
Textbefragung hält Hammann „den Verzicht auf eine Darstellung
der Forschungsgeschichte" für vertretbar.

H. erkennt in der Behandlung der beiden Kontrahenten bei
Luther durchaus Unterschiede. Diese faßt er folgendermaßen zusammen
: „ In der Auseinandersetzung mit Augustin von Alveldt
geht Luther weit mehr auf seinen Gegner ein als in seiner Kontroverse
mit Ambrosius Catharinus. Während die Frage nach dem
Haupt der Kirche und. damit unmittelbar verbunden, nach dem
Wesen und der Einheit der Christenheit im Zentrum der Diskussion
mit Alveldt steht, verlagert sich Luthers Interesse in der
Schrift gegen A. Catharinus auf die Darstellung des Gegensatzes
zwischen der wahren Kirche Christi und der von Luther mit dem
Reich des Antichrist identifizierten Papst-Kirche." (15) Nach
dem Forschungsergebnis Hammanns führt Luther „gegenüber
der Sclbstdarstellung der Kirche durch das Papsttum "(121) seinen
Kirchenbegriff so ins Feld, daß er die Kirche „als den Bereich
des verborgenen Handelns Gottes versteht".

Als flankierenden Text zieht der Vf. noch Äußerungen Luthers
über Murner heran, die das Mißverständnis hervorriefen. Luther
habe die Kirche derart spiritualisicrt, daß sie „als gestaltende
Energie der Geschichte ausscheidet" (a.a.O.). Diese Argumentationsweise
macht in anerkennenswerter und interessanter Weise
deutlich, daß der Vf. Luther nicht nur im Gegenüber zu seinen
Gegnern sieht, sondern daß er gewissermaßen mit Luther selbst
das Gespräch führt. Hier hebt die Dissertation durchaus von der
reinen historischen Befundaufnahme ab. Der Vf. weist darauf
hin. daß Luther in seinem Begriff der „Ecclcsia spiritualis" seinen
„Widerspruch zu Müntzers Vorstellung von einer wahren
Geistkirche" ja auch durchhalten mußte. (123)

Wenn Luther auch in seiner Schrift gegen Catharinus „die ecclcsia
spiritualis als verborgene Größe" festhält (160). so entgeht

er doch fortgesetzt einer kriterienlosen Spiritualisierung der KU1,
che dadurch, daß er „der allein auf das Christus-Wort gegründeten
Geist-Kirche die Papst-Kirche als das Reich des Antichrist
gegenüberstellt" (161).

In der Zusammenfassung stellt H. in den Überschriften dci
Schlußabschnitte das Ergebnis vor (220-241): I. Der Reformator
sieht sein Verständnis der Geist-Kirche der Kirche des Pap'
stes und der des Antichrists gegenüber. 2. Der Papst selbst erscheint
ihm als Antichrist. 3. Luther definiert 1520/2 I seine Sich'
der ecclcsia spiritualis so. daß er damit „im Kern die geistliche
Lebensgemeinschaft der Gläubigen mit Christus" (237) meint-
„Dieser von Luther gemeinten Geist-Kirche genügt es. daß sie
ihre geschichtliche Identität in dem Wort gewinnt, das sie Ol"
Christus verbindet." (241) So liefert H. mit seinem Spezialtheivui
der Geist-Kirche aufs Neue einen Beitrag zur Sicht der Theologe
des Reformators als „Worttheologie", die auch dann festgehalten
ist. wenn isoliert verstandene Begrifflichkeit Luthereinen Spiritual
istischen Kirchenbegriff unterschieben will. Daß diese Sich1
zutreffend ist. belegt Luthers schroffe Wendung gegen jede Art
von Schwärmerei, zu der er ein Jahrfünft später Anlaß bekommt-

Man darf dem Vf. zu der wohlfundierten Studie beglückwünschen
. Sic führt in die Mitte von Luthers Frühtheologie, und sie
bringt weiteres Licht in die Betrachtungsweise derer, die Luthcf
vor Eintritt in sein großes Reformationswerk theologisch widerstanden
.

Görlitz Joachim Kogge

Lage, Dietmar: Martin Luther's Christology and Ethics. Lew'"
ston-Quecnston-Lampeter: Mellen 1990. X. 175 S. gr. 8 "
Tcxts and Studics in Religion. 45. Lw. $ 49.95.

Der Autor, der an verschiedenen kanadischen Universitäten
studiert hat und jetzt an der University of Windsortätig ist. hat in
seiner Erstlingsarbeit eine ebenso sorgfältige wie konzentrierte
Untersuchung über die Frage vorgelegt, w ie bei Luther ChristoU>-
gic und Ethik oder Glaube und Werke miteinander verbunden
sind. Obwohl bei dieser Thematik natürlich manche Aspekte aus
Luthers Theologie im ganzen mit berücksichtigt werden müssenhat
er sich durchweg auf seine eigentliche Aufgabe beschränkt
und andere Fragen nur insoweit erörtert, wie sie für sein Problem
unmittelbar etwas austragen.

In neun Kapiteln werden nacheinander behandelt (I) "The
State of Late Mcdieval Seholasticism". (II) "Contra Scholasti-
cam Theologiam". (III) „Imitatio Christus Exemplum". (IV)
„Conformitas Christi". (V) „Sacramentum et Exemplum*. (VI)
"Good Works". (VII) "Luther and Karlstadt". (VIII) "Luther
and the Anabaptists" und (IX) „Fides Abstracta. Fides incar-
nata". Die Anmerkungen sind jeweils am Schluß eines Kapitels
gedruckt worden, leider nicht auf den Seiten, zu denen sie gehören
. Am Schluß des Bandes finden sich Indiccs der Namen und
der behandelten Sachen, wobei allerdings Ausführungen innerhalb
der Anmerkungen nicht aufgenommen worden sind.

Die wichtigsten Fragen, welche sowohl für das Spätmittclaltcf
als auch für Luther behandelt werden, sind die unterschiedlichen
Auffassungen von der Syntercsis in Verbindung mit dem Gcw is-
sensbegriff; der Gedanke der Imitatio. des Exemplum sowie der
Conformitas: die Auffassung von der Humilitas: dann für Luther
im Gegenüber zum Spätmittelalter das Sola Fidc sowie die Autfassung
von der Nachfolge: Luthers Entfaltung seiner Rechtfertigungslehre
und seiner reformatorischen Ethik im Konflikt mit
Rom: weiter die Kritik, wie sie von Karlstadt und in etwas anderer
Weise von den Täufern gegen Luthers Ethik vorgebracht
wurde, sowie Luthers Entgegnung: schließlich der Versuch einer
zusammenfassenden Würdigung von Luthers Position.

Die Behandlung dieser zahlreichen Fragen ist im ganzen
kenntnisreich, mit guter Auswahl der wichtigsten Aspekte und