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Ausgabe:

1991

Spalte:

46-48

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Stupperich, Robert

Titel/Untertitel:

Otto Dibelius 1991

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

4h

Wien Johannes Dantine

ralbesuches in Österreich. Reden der Bischöfe. Gottesdienste, einer nenswerten intensiven Bemühungen der röm.-kath. Kirche ist dieses
Ausstellung. Tagungen und Publikationen. Mittelpunkt des Bandes Urteil in keiner Weise gerechtfertigt, weder was andere Gruppierun-
]st die Dokumentation der Wissenschaftlichen Tagung des Verbandes gen u. s. w. betrifft, noch was die eigene Selbstkritik betrifft, wie
kath. Publizisten - „Grüß Gott" und „Heil Hitler" -. M. Liebmann gezeigt worden ist. Und schließlich war vielen Österreichern ein
stellt ausführlich dar, wie es zur Märzerklärung der Bischöfe gekom- „Schambekenntnis" zu wenig. Die ev. Kirche legte in ihrem offiziel-
men ist. welche Spannungen es innerhalb des Episkopates gegeben len Bedenkgottesdienst jedenfalls ein „Schuldbekenntnis" ab.
hat. wie die Kontakte mit dem Vatikan verlaufen sind und welcher
Druck seitens des Gauleiters Bürckel ausgeübt worden ist (161-194)
und in einem zweiten Referat die Entwicklung von den Geheimver-
handlungcn mit dem NS-Regime zum Widerstand (237-258). Stupperich Ro5ert u Martin: Qtto Dibclius. Ein evangelischer
V-hmolkc analysiert die katholische Publizistik vor dem Marz Bischof im Umbruch der Zeiten. Göttingen: Vandenhoeck & Ru-
1938 (194-211). Ergänzt wird die Wiedergabe der Referate durch precht 1989. 707 S. m. 27 Abb. gr. 8-Lw. DM 78.-.
Gesprächsprotokolle mit Erinnerungen von Zeitzeugen. Einen weiteren
Schwerpunkt bildet schließlich auch eine Geschichte des CV Hier ist schlechterdings alles interessant und bedenkenswert sowie
von G. Hartmann (347-365) und eine Darstellung der Haltung von für die Kenntnis der ersten sieben Jahrzehnte unseres Jahrhunderts
Kardinal Innitzer zu den Juden und der Tätigkeit der „Erzbischöf- aufschlußreich: Der Name dessen, dem die Biographie gilt und der auf
liehen Hilfsstelle für nichtarische Katholiken" von A. Frenzl der Rückseite des Umschlages einer „der bedeutendsten Bischöfe die-
(387-438). Ein Namensregister ergänzt den Band. ses Jahrhunderts" genannt wird, der Vf.. der Dibelius kannte und
Die Devise aller Äußerungen ist „Versöhnung", denn die Ge- eigentlich selbst Quelle im Rahmen eines wissenschaftlichen Rück-
"enichte des Jahres 1938 läßt sich nicht verstehen ohne die unüber- blicks ist, und schließlicht fast ein Dreivicrteljahrhundert. das hier
kindlichen Gegensätze der Parteien, ohne den Antisozialismus des besichtigt wird in der Biographie eines einzelnen, von dem es aller-
katholischen Österreichs, ohne den Bürgerkrieg von 1934. „Versöh- dings heißt, er habe „während dreier entscheidender Epochen unseres
nung" ist notwendigerweise auch die Devise zur Gewinnung eines Jahrhunderts eine maßgebliche Rolle innerhalb der evangelischen
anderen Verhältnisses zu den Juden. Diese Devise verleitet aber auch Kirche" gespielt.

zum versöhnlerischen Umgang mit der Geschichte. Die Mitschuld der Die, die zustimmen, die, die Skepsis äußern, die. die erst ohne eigene
r°rn.-kath. Kirche wird weithin heruntergespielt („auch"!), der Erfahrungen informiert werden müssen, sie alle werden das große Werk
austro-faschistische (katholische) Ständestaat wird nur gelegentlich mit seinen 618 Seiten Text und „über 1700 Anmerkungen und Quellen-
kritisch angeführt, nur vereinzelt wird das Schweigen der Kirche, auch hinweise(n)" erst einmal mit Interesse lesen. Bunt und kompliziert wie
über den W iderstand nach 1945. zur Diskussion gestellt. Der Wehr- die Zeiten des Kaiserreiches, der Epoche zwischen den beiden großen
dienstverweigerer und Märtyrer Jägerstätter wird ausführlich er- Kriegen, die Kriegszeiten und die Epoche des Neubaus der Kirche nach
•ahnt, nicht aber die fehlende Unterstützung durch die Hierarchie 1945 ist auch die Beurteilungsskala der Lebensleistung des Bischofs Di-
damals. Die außerordentlich kritische Historikerin E. Weinzierl belius selbst. Wie unterschiedlich sind schon erste Rezensionen überkommt
nur beiläufig zu Wort. Nur die Aussagen der Bischöfe Krätzl schrieben: „Karriere in vier Epochen" (evangelische Information, epd
und Stecher und des Journalisten Csoklick sowie einzelne Beiträge in Wochenspiegel, Nr. 4/22. Jg.. 25. Januar 1990) und „Vermißte Nähe"
den Diskussionen fallen durch deutlichere Sprache auf. (Evangelische Kommentare 4/1990); wie unterschiedlich werden wei-

Okumenische Ereignisse werden (von einer Pressemeldung über tere Beurteilungen sein. Aber vieles ist unabweisbar.:

C|ne Gedenkfeier abgesehen) nicht dokumentiert. Also auch nicht der I. Robert Stupperich ist selbst Zeitzeuge, er hat lange Zeit für diese

große, gesamtösterreichische Bedenkgottesdienst zum Reichspogrom Biographie gesammelt und sehr anerkennenswerterweisc die nächste

am 9. November in der ehemaligen Synagoge in Wien-Leopoldstadt, Generation mitarbeiten und gewiß mitkorrigieren lassen.

aueh nicht die kirchliche Beteiligung an der Einweihung des Anti- 2. Der Hauptverfasser läßt Dibelius an zahlreichen Stellen - W.-D.

■aschismus-Denkmals von Hrdlicka. Das hat teilweise den Grund Zimmermann spricht von „zwei Drittcl(n) Originaltexte(n)" (Evange-

darin. daß sich vor allem in der ev. Kirche die Meinung durchgesetzt lische Kommentare, a. a. O.)- in Petitdruck selbst zu Wort kommen,

hat. daß jede Kirche auf eigene Weise in diese Geschichte verwoben ist dazu auch eine Reihe von Zeitzeugen. Streckenweit liest sich das

und ihre eigene Geschichte aufzuarbeiten habe. Vor allem dürfe die Ganze wie ein Florilegium von Dibclius-Zitaten.

ev- Kirche nicht der Versuchung unterliegen, sich hinter dem kath. 3. Es wird künftig nicht einfach mehr möglich sein, so viele Quellen

^ 'derstand zu verstecken. zur Verfügung zu haben wie der Vf.. besonders was den im Familien-

Nun moniert D. Binder(29).daßdieev. Kirche und die Gesellschaft besitz befindlichen Nachlaß angeht, aus dem Stupperich fleißig

*ur die Geschichte des Protestantismus in Österreich ihre eigene zitiert.

Geschichte noch kaum aufgearbeitet haben. Es ist verständlich, wenn 4. Die sehr große Zahl der Anmerkungen ermöglicht vielgestaltige

er Arbeiten, die erst 1988 und danach erschienen sind, noch nicht Weiterarbeit und wissenschaftliche Kontrolle.

berücksichtigt, weniger, daß er mehrere andere, ältere Arbeiten, aller- 5. Die 386 Titel umfassende Dibclius-Bibliographie ist eine Fund-

d'ngs ohne kirchenolTiziellen Anstrich, vernachlässigt. M. Liebmann grübe, dazu die notierte übrige Literatur (694-699).

stiert mehrfach Äußerungen des ev. Oberkirchenrates aus dem Jahr 6. Diese Biographie ist eine hilfreiche erste, darf aber keinesfalls die

"38. allerdings ohne weiteren Kommentar, anscheinend nur um zu letzte über einen Mann sein, der seine Zeit, zumal die Kirche seiner

2e'gen. daß sich die ev. Kirche noch viel fragwürdiger verhalten hat als Zeit, mitgeprägt hat und der sich von seiner Zeit und von der Kirche

die katholische. Mehr als ärgerlich ist es schließlich, mit welcher seiner Zeit prägen ließ. Die Bezeichnung „eines der bedeutendsten

Selbstverständlichkeit schon der Titel des Bandes die röm.-kath. Kir- Bischöfe unseres Jahrhunderts" ist nicht die einzige. Despektierlich

ehe mit der „Kirche in Österreich" in eins setzt und wenn der Vorsit- und abschätzig wird seine Art, Kirche zu beschreiben und Kirche zu

zende des Verbandes katholischer Publizisten Österreichs. H. Feich- leben, von manchen Zeitgenossen mit „Dibelianismus" apostro-

'elbauer in seinem Geleitwort schreibt (11): „So darf man ohne Über- phiert.

heblichkeit hinzutügen. die Kirche (i.e. röm.-kath. Kirche!) tat es In einem sind sich alle Beurteiler dieses seltenen Mannes einig: Er.

mehr als alle anderen. Keine andere weltanschauliche Gruppierung, der seine „große Programmschrift" 1926 „Das Jahrhundert der Kir-

keine Partei und kein .Lager- hat sich selbst so kritisch bespiegelt wie che" nannte (143-161), war ein Mann der Kirche, fest umschriebener

d'e Kirche (!) in Österreich, niemand außer ihr hat ein Schambekennt- Kirchlichkeit mit viel Zustimmung und nicht wenig Ablehnung. Es ist

n's in eigener Sache abgelegt." Dieser triumphalistische Ton ist fatal in nichts übertrieben, zu sagen: An Dibelius schieden sich -besonders

angesichts der Sache, um die es hier geht. Unbeschadet der anerken- in der Zeit des Neubaus der Kirche nach 1945 - die Geister. Er hatte