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Ausgabe:

1991

Spalte:

674-676

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Feige, Franz G.

Titel/Untertitel:

The varieties of Protestantism in Nazi Germany 1991

Rezensent:

Meier, Kurt

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Theologische Litcraturzcitung I 16. Jahrgang 1991 Nr. 9

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zu verlassen. Am 6. Januar 1919 schon beauftragt die französi- formgeschichtliche Schule (was sein späterer Werdegang manch-

c Regierung den seit 1915 emeritierten Professor Paul Lob- mal überdeckt hat). Baldenspcrger hingegen hat von Holtzmanns

stc|n mit der provisorischen Verwaltung der Fakultät. Am l.Ok- liberalem Klassizismus und vom übertriebenen Komparatismus

■ober 1945 aber, dem anderen Termin, bezieht die Fakultät nach Klostcrmanns klar und deutlich Abstand genommen, während

^ehsjähriger,. Auffangstellung" in Clcrmont-Fcrrand ihre Straß- andere Lehrer, wie Caussc. der von Renan und der französischen

"rger Räume wieder, und die drei letzten jener Dozenten soziologischen Schule beeinflußt war. oder Sabaticr (Renan)
Hausse. Jaegcr und Strohl).dic 1919 die Einsetzung der französi- scheinbar kaum von der deutschen Theologie angeregt wurden.
Schcn Fakultät erlebt haben, treten in den Ruhestand. Dieses Buch stellt also eine Seite aus der Geschichte des Elsas-
Eben diese Einsetzung behandelt Kapitel I hinsichtlich der ses dar. zugleich aber auch ein wesentliches Kapitel der Ge-

■nfügung der Fakultät in die französische Universität, während schichte der protestantischen Theologie in Frankreich, ein Kapi-

apitel 2 die Art und Weise erörtert, wie sie sich in ihren Struktu- tcl. das bislang noch nicht untersucht worden war. In Anbetracht

",Cn gestaltet und entwickelt hat. Die Berufung von Professoren. seiner derzeitigen Laufbahn wird der 1965 geborene Matthieu

'e von der Pariser Fakultät (Ehrhardt. .1. Monnicr) oder aus Arnold sich zweifelsohne recht bald als einen Historiker des Pro-

eutschland (Baldenspcrger) kamen, oder bis dahin noch nicht testantismus zu behaupten wissen, mit dem man wird rechnen

0z>crt hatten (P. Sabaticr. C aussc). wie auch von Pfarrern aus müssen.

er Gegend (Strahl. Hauter. Will. Bricka) hinderte trotz der Beachtungen
der Kirche die Fakultät nicht daran, auf sehr zufrie- Straßburg l'lulippc Francois

^stellende Weise zu funktionieren.

Die Kapitel 3 bis 5 sind jeweils den Dozenten, den Lehrfachei n

Und den der Fakultät eigenen Veröffentlichungen (Revue d'Hi- Fei8e- Franz c M- - The Varieties of Protestantism in Nazi Ger

SI°irc et de Philosophie religieuse) gewidmet. Besonders unter- ™">- F|VCN J^op^l'vi. ^T*' cLcw's,on-^u^'^ton-

«reichr ,w a . a u -a , Z- , u. Lampeter: Mellen 1990. XII.498S.gr. 8 -Toronto Stüdes in

Beh«. £T, d:' X;',dCn <wlcht,8eren als ma" « ZUfglbt) Theologv. 50. Lw. $ 89.95.

"rag von W ilhelm Baldenspcrger. einem Vorläufer der form-

geschichtlichen Schule, zur ncutestamcntlichen Wissenschaft: Unterausgiebiger Benutzung vorallem deutscher Literatur zur
l*wurdigt werden ebenfalls Charles Hauter und Jean Hering, die Kirchen- und Theologiegeschichte des Dritten Reiches, aber
usserPs Phänomenologie in Frankreich eingeführt haben. auch unter sorgfaltiger Berücksichtigung angloamerikanischcr
°nri Strahl. Schüler von Johannes Fickcr und Erbe von Karl Titel zur Sache gelingt es dem Vf.. eine eindringende Untcrsu-
o|l. sowie Oscar Cullmann. der 1938 nach Basel berufen wurde chung des theo-politischen Konzepts von fünf repräsentativen
und dessen Lehrtätigkeit und erste Veröffentlichungen schon Universitätstheologen vorzulegen. Das Verhältnis theologischer
Se'ne spätere geistige Statur vorausahnen ließen. Bemerkenswert Positionen (Barth. Althaus. Hirsch. Rade und Tillich) zum Na-
S|nd auch die wichtige Rolle der Revue d'Histoirc et de Philoso- tionalsozialismus ist im exemplarischen Vergleich, aber auch im
Phie religicuses einerseits und die beschränkte Aufnahme des einzelnen konsistent erörtert. Das Literaturverzeichnis (460-
anhianismus in Straßburg vor 1945 andererseits. 491 (enthält die aktuelle Standardliteratur, aber auch die wesent-
,n Kapitel 6 wendet sich der Vf. den Studenten zu: insbeson- lichsten Publikationen der herangezogenen Theologen zum
erc untersucht er darin ihre soziale und geographische Her- Thema. Auf die Vorgeschichte im weiteren wie im engeren Sinn
Unft. Die ersten Studentinnen traten im Jahr 1920 auf. wird eingegangen. Daß für angloamerikanische Leser auch die
Die Kapitel 7 bis 10 behandeln die Beziehungen der Fakultät protestantische Tradition im Überblick vorgestellt wird (bis
*Ur Außenwelt: ihren Platz inmitten der Universität, ihr Verhält- 1918). kann für Kenner des evangelischen Kirchentums als ent-
"ls *u anderen theologischen Fakultäten, ihre Beziehungen mit betulich gelten, soll aber das Verständnis auch für theologische
Cr Kirche (oft brachen Konflikte mit der lutherisch-orthodoxen und kirchliche Situation zur Zeit der Weimarer Republik för-
artei aus. die sich, wie schon von 1872 bis 1918. um einen Vcr- dem. Im Hauptteil der Arbeit (Kap. IV-XII. 134-459) findet
Ireter in der Fakultät gebracht fühlte) und mit der übrigen Gesell- sich neben methodischer Besinnung und einer gcschichtlich-
Schaft Elsaß-Lothringens (das Umsichgreifen des Autonomismus strukturellen Skizze (politisch- kirchenpolitische Parteicnland-
nd der Einsatz gewisser Studenten in mehr oder weniger politi- schalt) auch ein Kirchenkampfkapitel (1 74—208) zur Kennzeichnen
„Verbindungen" warfen heikle Probleme auf), nung des Hintergrundgeschchens. Es fußt auf einschlägiger
Das letzte Kapitel schildert in chronologischer Dat stellung das neuerer Fachliteratur zur kirchlichen Zeitgeschichte,
eben und Wirken der nach Clcrmont-Fcrrand „verbannten" Dem Autor liegt daran, nicht lediglich das Kirchc-Staat-
akultät. die dort unter den kriegsbedingten Einschränkungen Verhältnis oder die Stellung der behandelten theologischen Expo-
"nd von 1942 ab unter den Verfolgungen durch die Nazis zu lei- nenten im kirchcnpolitischcn Geschehen vorzuführen, sondern
en hatte. im besonderen theo-politischen Vergleich ihre Reflexionen zur
Von 1919 bis 1945 zählte die Protestantische Theologische Fa- damaligen Situation zu erörtern. Darin liegt der besondere theo-
^u"ät 8 deutsche Studenten, dafür aber 84 aus Rumänien. 60 aus logicgcschichtliche Reiz, der die Lektüre auch Für den fachkom-
ngarn. 46 aus der Schweiz. 44 aus Norwegen: diese Zahlen be- petenten Leser attraktiv macht. Im Vergleich zu dem gelegentlich
sagen viel über die Beziehungen der Fakultät und generell der erwähnten Buch von Ericksen ("Theologians under Hitler",
traßburger Universität zu Deutschland. 1984) über Gerhard Kittel. Paul Althaus und Emanucl Hirsch'
Was die Revue d'Histoirc et de Philosophie religicuses anbc- das vom historischen Standpunkt auch theologische Fragen an-
ngt. so brachte sie nur 10 gelegentliche Beiträge großer deut- zuvisicren versucht, aber aufs Ganze gesehen eher eine mora-
schcr Theologen (Bultmann. Dibclius. ...). obwohl sie rcgclmä- lisch-juridisch gefärbte historische Bilanzierung der Haltung die-
'g Uber ihre Arbeiten berichtete. ser Theologen darstellt, zeugt Feiges Studie von fachtheologisch
Es liegt nämlich auf der Hand, daß während dieses Zeitab- eindringendem Verständnis.

chn'»s die deutsche Theologie, deren Erbin die Fakultät ja war. Althaus, der die lutherische Obrigkcitslehre im Blick auf die

Jeiterhin einen bedeutenden Einfluß auf die Forschungsarbeiten Ordnungen des geschichtlichen Lebens wie die Uroflenbarungs-

" Straßburger Lehrkräfte ausübte (von denen einige einen oder lehre betont und auch im favorisierten Volks-und Volkstumsge-

te crc Semester lang an deutschen Universitäten studiert hat- danken eine neokonservative Orientierung erkennen läßt, wird

en): Einfluß von Ritsehl auf Lobstein, von Fickcr und Holl auf in seiner unbestreitbaren Inklination zum „nationalen Auf-

r°hl. von Husserl auf Hering. Anschluß Cullmanns 1925 an die bruch" des Dritten Reiches kritisch vorgestellt und - ähnlich wie