Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

42-44

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Herbert, Karl

Titel/Untertitel:

Kirche zwischen Aufbruch und Tradition 1991

Rezensent:

Greschat, Martin

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

u

Theologische Literatur/eitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 1

42

Seligkeit beinhaltet", und auf „dine negative, die die Rettung und Kirchengeschichte: Neuzeit

Befreiung von allem Übel besagt. Da letztere von den Reformatoren

und in ihrem (iefolge von der evangelisehen Theologie nahezu aus- ^ ^ Jnm(m Entschcl_

schließlich thematisiert worden sei, berühre die Behandlung des Heils dungsjahre nach 1945. Stuttgart: Radius 1989. 407 S. 8'= Radius

kontroverstheologische Probleme." (2) Bücher. Lw. DM 29.-.

Man sieht, der Vf. ist durchaus seinerseits kontroverstheologisch

interessiert und verbindet mit seiner Quellenforschung gegenwarts- Zwanzig inhaltsreiche und mit z. T. leidenschaftlichen Auscinan-

theologische Standortbestimmungen......die Auseinandersetzung dersetzungen gefüllte Jahre der evangelischen Kirche werden in die-

mit Calvins Verständnis des Heils" erscheint dem Vf. „kontrovers- sem Buch des emeritierten stellvertretenden Kirchenpräsidenten von

theologisch nützlich". Seine Arbeit soll deshalb ein Beitrag sein zum Hessen und Nassau lebendig. Im Mittelpunkt stehen - neben der

ekklesiologischen Brückenschlag: „Die Frage nach dem Heil, von Schilderung der Ereignisse auf der Ebene der gesamtdeutschen EKD-

katholischer Theologie geteilt und unter Berücksichtigung calvini- die Vorgänge in Westdeutschland. Doch fällt der Blick immer wieder

scher Aussagen beantwortet, könnte dazu beitragen, manche kon- auch einmal auf die kirchliche Entwicklung in der SBZ/DDR; und

fessionell bedingte Verengung in evangelischer und katholischer von einzelnen Begebenheiten in der katholischen Kirche sowie in der

Theologie zu überwinden." (a. a. O.) Scheid wendet sich zunächst der Ökumene ist wenigstens sporadisch die Rede.

Aufarbeitung seines Themas in der bisherigen Forschung zu. (8-78) Herbert entfaltet sein reiches Material in acht Kapiteln, die im
Es folgt nach so ausführlicher Bewertung der bisherigen Aussagen, die wesentlichen chronologisch gegliedert sind. Auf eine knappe Bein
ihrer Gründlichkeit schon einen Selbstwert in sich darstellt und Schreibung der Ausgangslage im Mai 1945 („Zwischen Ende und Neuselbstverständlich
Theologen evangelischer und katholischer Pro- beginn", 13-33) folgt die Darstellung der „Neuordnung der EKD"
venienz berücksichtigt (u. a. wird stark auf W. Krusche rekurriert), (33-60). Plastisch tritt nicht nur die Vielfalt, sondern die Gegensätz-
gewissermaßen als Hauptteil eine Calvin befragende Begriffsanalyse. lichkeit der nun aufeinanderprallenden theologischen und kirch-
die vornehmlich das Vorkommen der Termini „medium, remedium, liehen Positionen hervor. Und gleichzeitig wird sehr deutlich - auch
adiumentum und adminiculum" (247) untersucht. (79-246) wenn der Autor das kaum grundsätzlich reflektiert -. wie überaus
'n 57 Abschnitten, die mit ihren stichwortartigen Überschriften schwach der bruderrätliche Flügel der Bekennenden Kirche jetzt war.
zunächst verwirrend und willkürlich angeordnet wirken, gibt der Ver- Immerhin war diese Gruppe zunächst noch einig und stark genug, um
•asser einen erstaunlich gründlichen Einblick in Calvins Aussagen- die Stuttgarter Schulderklärung nicht nur abzugeben, sondern auch
behält, in der er jedoch eine großangelegte Systematik erkennt, über weiterhin zu propagieren und sodann das Darmstädter Wort zu (orderen
Inhalt Scheid in einem Schlußteil eine zusammenfassende Aus- mulieren (61-107). Neben dem sofort aulbrechenden Streit um diese
kunft gibt. (247-267) Darin wird nun doch gut erkennbar, daß der Vf. beiden Äußerungen wird knapp - allzu knapp - auch der kirchliche
w'e sein Lehrer Ganoczy ein theologiegeschichtlich interessierter Beitrag zum Entnazifizierungsprogramm der Siegermächte behan-
Systcmatiker ist. Immer wieder wird die Theologie in ihren großen delt.

Dimensionen in den Blick geholt, allerdings aufdem Hintergrund des Das vierte Kapitel greift noch einmal auf die Situation von 1^45
Quellendetails. In der „systematischen Zusammenfassung" begegnet zurück und versucht, in einem breiteren theologischen und kirchen-
dann im Gegensatz zu der Anmerkungsschwemme und den massen- politischen Kontext die Entwicklung der EKD bis zur Verabschieden
Quellenzitaten im vorhergehenden Teil buchstäblich keine dung ihrer Grundordnung (1948) zu entfalten (107-148). Ob sich
einzige Fußnote mehr. dieser Themenkomplex freilich angemessen unter dem Gesichtspunkt

Nach seinen umfangreichen Analysen stellt der Vf. fest: „Dabei der „Restauration" begreifen läßt, erscheint mir fraglich. Denn allzu
^■gt sich rückblickend eine übergreifende Systematik, die sich mit vage, verschwommen und emotional wird dieser Begriff gehandhabt,
dem Gliederungsraster der Dogmatik des Genfer Reformators in Ver- als daß er einen höchst komplexen und komplizierten Entwicklungsbindung
bringen läßt und die Zuordnung analytischer Aspekte zu je prozeß wirklich durchsichtig und insofern verstchbar machen
g'eichbleibenden Themenschwerpunkten gestattet." (247) könnte.

Scheid exemplifiziert die genannte Einsicht an der Schöpfungs- Ausführlich und gründlich wird sodann der innerkirchliche Streit

lehre. der Gottesgemeinschaft durch das Wort, der Medialität Christi. um „die deutsche Wiederbewaffnung" behandelt (148-219). Herbert

an den Hilfen zur Aneignung des göttlichen Heilsangcbotes und an läßt klar erkennen, auf welcher Seite er damals bei den erbitterten

den kirchlichen Mitteln, von denen der „Dienst an der Christus- Auseinandersetzungen stand. Aber er müht sich redlich, auch der

gemeinschaft" (261) in Gestalt des Amtes das vornehmste ist. Da Cal- Gegenseite gerecht zu werden. Über die Einzelheiten ist hier nicht zu

vir> nach Feststellung des Autors mit dem Amt nicht wesentlich das rechten. Aber stimmt es wirklich, daß es bei diesem Streit „zutiefst um

sazerdotale Moment verbindet, sondern „gemäß den Kennzeichen der die innere Verfassung von Volk und Kirche, um die .theologische

Wahren Kirche die Verkündigung des Gotteswortes und die Spendung Existenz' der Kirche ging"? (219) Damals sahen es die Gegner der

der Sakramente", ist das Gegenüber zur römisch-katholischen Kirche westdeutschen Wiederbewaffnung sicherlich so. Doch läßt sich dieses

k'ar fixiert. Scheid stellt auch heraus (263), daß das kirchliche Amt Urteil heute einfach wiederholen?

-in ständiger Verbindung" zur Gemeinde zu stehen hat. Eher additiv werden im sechsten Kapitel „vielfältige Probleme der
Scheld schließt mit einem kurzen Blick auf das Sakramentenver- fünfziger Jahre" erörtert (219-267). angefangen bei Bultmanns Ent-
ständnis. Hier würde man zu den klassischen Formeln die von Fall zu mythologisierungsprogramm über die Kontroversen um die Kindcr-
Fal1 exakten Quellcnbclegc gern mitgeliefert bekommen: „Ex parte taufe, die Einführung der Jugendweihe in der DDR, die Bemühungen
Dei kann Calvin die Anwesenheit Gottes in den Sakramenten mit um den Schutz der Kriegsdienstverweigerer, bis hin zu dem in mannen
Vollzug, also exopere operato. annehmen. D«;h die eigentliche cherlei Hinsicht problematischen und insgesamt wohl allzu unbe-
Negnung mit Christus, die zugleich heilbringend ist, existiert für ihn dacht und selbstsicher akzeptierten Militärseelsorgevertrag. Knapp
nur im Glauben Die Kirche mag in dieser Erdenzeit alle Mittel anbie- und treffend beschreibt das nächste, das siebte Kapitel den Streit um
len im Wort, durch das Amt, in den Sakramenten, in tätiger Liebe und die Bewallung der Bundeswehr mit Atomwaffen als „Zerreißprobe lur
ln ihrer Zucht. Das Heil bleibt unverlügbar." (267).Ob mit dieser so die EKD" (267-297).

ub«aus offene Formulierung Calvins Sotcriologie wirklich ange- Danach, im letzten Kapitel (297-346), werden wechselnde 1 hemen

messen und eindeutig beschrieben ist'' der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre behandelt: die Eni

... .......r. _ j j- .i___i__:„„u^ i i....... t ..,, (

t'örlitz Joachim Roggc

wicklung der Kirche in der DDR und die theologische Ubereinkunft
zwischen Reformierten und Lutheranern über das Abendmahl sowie
die Horizonterweiterung der deutschen evangelischen Kirchen durch