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Ausgabe:

1991

Spalte:

619-622

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schneider-Harpprecht, Christoph

Titel/Untertitel:

Trost in der Seelsorge 1991

Rezensent:

Beyer, Franz-Heinrich

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619

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 8

620

„Klassiker" zu diesem Thema. J. Henkys' Seelsorge und Bruderschaft
(1970), kommt nicht zu Wort.

Ein Buch aus der Praxis? Unverkennbar! Aber auch für diese
Praxis?

Stuttgart Reinhard Schmidt-Rost

Schneider-Harpprecht, Christoph: Trost in der Seelsorge. Stuttgart
-Berlin (West)-Köln: Kohlhammer 1989. XII, 368 S. gr.
8 . Kart. DM 74,-.

Der Titel des Buches von Schneider-Harpprecht (SH) - unter
der Betreuung von Klaus Winkler an der Kirchlichen Hochschule
Bethel erarbeitet und dort 1987 als Dissertation angenommen -
darf großes Interesse voraussetzen. „Trost" ist von den biblischen
Schriften her, durch die Frömmigkeitsgeschichte der Jahrhunderte
hindurch ein zentraler Begriff christlicher Frömmigkeit
und von daher auch ein Grundbegriff christlicher Seelsorge. Es
ist aber zunehmend schwieriger geworden, unbefangen von Trost
zu sprechen. Zu sehr ist die Rede von Trost in die Nähe von illusionärer
, die erlebte Wirklichkeit unberücksichtigt lassender
„Vertröstung" gerückt worden - nicht zuletzt durch psychoanalytische
Konzepte befördert. So steht die herausfordernde Frage,
ob die alltägliche Wirklichkeitserfahrung von Menschen, wie sie
in den Begriffen der Sozialwissenschaften beschrieben werden
kann, einerseits und der „Trost" als subjektiv erfahrene Wirklichkeit
andererseits in eine Beziehung gebracht werden können.
Oder anders ausgedrückt: Kann das, was subjektiv als „Trost" erfahren
wird, in einer Darstellung der menschlichen Wirklichkeit
in sozialwissenschaftlichen Kategorien als manifest beschrieben
werden?

Mit seiner Arbeit hat sich SH dieser großen Aufgabe gestellt.
Sein Vorhaben beschreibt er folgendermaßen: „Der hier angestrebte
kritische interdisziplinäre Dialog um das Wirklichkeitsverständnis
verfolgt das Ziel, menschliche Erfahrung so zu entziffern
, daß deutlich wird, wo die in Glaubensaussagen
angesprochene Wirklichkeit Gottes und des Menschen vor Gott
ihren ,Sitz im Leben' und .Erleben' ... haben. Er verfolgt aber
auch umgekehrt das Ziel, die profane Wirklichkeitserfahrung so
zu entziffern, daß ihr Zusammenhang mit der in Glaubensaussagen
angesprochenen Wirklichkeit Gottes und des Menschen
deutlich wird." (139). Von daher steht in dieser Arbeit die Wahrnehmung
der Lebenswirklichkeit im interdisziplinären Gespräch
zwischen psychologischer, soziologischer und theologischer Perspektive
im Mittelpunkt.

Im ersten Kapitel werden allerdings zunächst „Anfragen
an das Trostverständnis praktisch-theologischer Seelsorgekonzepte
" vorgeführt. Auf 70 Seiten werden hier jedoch mehr Seelsorgekonzepte
skizziert. Die Namen stehen jeweils für wirksame
Traditionslinien (C. I. Nitzsch: F. Niebergall) sowie für vier
postulierte Typen gegenwärtiger Seelsorgekonzeptionen: H. As-
mussen und E. Thurneysen; O. Händler (Sic!); D. Stollberg und
H. Chr. Pieper; H. Tacke. Dabei wird das jeweilige Trostverständnis
zwar akzentuiert, aber nicht in ein Gespräch eingebracht
. Die fraglose Bedeutung der hinter diesem Kapitel stehenden
Bemühung für den Autor erschließt sich so dem Leser kaum.

Im zweiten Kapitel behandelt SH „Das Trostverständnis im
interdisziplinären Dialog". Trost wird hier in psychoanalytischer
Perspektive, in soziologischer Sicht und in theologischer Perspektive
erörtert. Dabei ergibt sich die Schwierigkeit, unterscheiden
zu müssen zwischen dem Begriff „Trost" - der bisher systematisch
nicht genügend entfaltet wurde - und zwischen
„tröstenden Möglichkeiten", die in sozialwissenschaftlicher
Wirklichkeitserfassung benannt werden können. Das Vorhaben,
die notwendige Unterscheidung zu treffen und doch die gegenseitige
Interpretations- und Korrekturverweisung zu ermöglichengleicht
einer Gratwanderung, gerade auch in der Terminologie-
Unter der psychologischen Sicht wird die Religionskritik S.
Freuds in ihrer Bedeutung für das entsprechende Wirklichkeitsverständnis
, das mit dem christlichen konkurriert, herausgestellt-
Nicht der Trost, sondern die Trostbedürftigkeit des Menschen ist
eine anthropologische Gegebenheit. Die Wiederentdeckung der
Symbole und die damit gegebene ganzheitliche Erkenntnis lassen
„Trost" eine veränderte, konstruktive Funktion zukommen-
Unter soziologischer Sicht wird im Gespräch mit Luhmanns Systemtheorie
im Zusammenhang der Kontingenzbewältigung
durch Religion auch hier eine Wirkung benannt, die mit „Trost
interpretiert werden kann. Im Gespräch mit P.-L. Bergers Wissenssoziologie
wird im Zusammenhang von Trost das Moment
der Legitimation in Plausibilitätsstrukturen hervorgehoben-
Schließlich wird ausführlicher und wohl auch ertragreicher die
soziale Feldtheorie nach K. Lewin vorgestellt. Die Herausstellung
der personalen, interpersonalen und transpersonalen Faktoren
weist sowohl auf die subjektiv erfahrenen als auch auf die
kommunikativ vermittelten Elemente von „tröstenden Möglichkeiten
" hin. Damit scheinen hier günstige Ansatzpunkte für eine
interdisziplinäre Verständigung gegeben zu sein. (Die Funktion
des folgenden Abschnittes, der Trost als Kontingenzbewältigung
im sozialen Feld am Beispiel eines Magenpatienten zeigen willerschien
dem Rez. nicht einsichtig.) Nunmehr geht es SH um die
Darstellung einer theologischen Theorie des Trostes. Die gewählte
Reihenfolge ergibt sich aus der Aufgabenstellung, wonach
es im Anschluß an die sozialwissenschaftlichen Ergebnisse nunmehr
darum geht, „- Trost als Element der Anthropologie zu
entfalten. - Den Zusammenhang von Glaube und Identität im
Trostverständnis zu reflektieren. - Einen christlichen Wirklichkeitsbegriff
zu entwickeln, der eine Unterscheidung von Trost
und Vertröstung erlaubt und die aufgezeigte Trostfunktion von
Religion verantwortlich zu kontrollieren." (1220 Nach der Lektüre
des Kapitels erscheinen diese Ziele zu hoch gesteckt; zumindest
gelingt die sprachliche Vermittlung zu den sozialwissenschaftlichen
Perspektiven nur ungenügend. Das Teilkapitel „Die
Christen und das Leiden" (137-146) beeindruckt inhaltlich und
stilistisch. Hier werden Ausgangspunkt und Anliegen der Arbeit
am deutlichsten.

„Neue Impulse aus den Humanwissenschaften und deren Integration
. Die psychische Funktion von Trost und Vertröstung" -
so ist das dritte Kapitel überschrieben. SH will hier die zentrale
These seiner Arbeit, „Trost und Vertröstung seien funktional
äquivalente Versuche zur Stabilisierung bzw. Wiederherstellung
des psychischen Gleichgewichts in Streß- und Krisensituationen
" (164), erläutern. Im folgenden werden anhand von sechs
Begriffen die jeweiligen psychischen Konzepte dargestellt und
mögliche bzw. wirksame „Trosf'-Funktionen in diesem Zusammenhang
herausgestellt. Bei den Konzepten „Psychisches
Gleichgewicht", „Anpassung" und „Ich - Ich-Identität - Ich-
Stärke" ist „Trost" im Zusammenhang von Bewältigungsleistungen
zu sehen, „die dem Ich einer Person durch innere oder äußere
Veränderungen abverlangt werden" (165). Durch Trost kommt es
dabei zu einer Stabilisierung des psychischen Gleichgewichts
(172). Bei der Konzeption „Abwehr und Regression" wird herausgearbeitet
, daß Abwehrmechanismen, die für die Entwicklung
und Erhaltung des Ich konstitutiv sind, eine tröstende Funktion
haben können (187). Allerdings wird auch deutlich die
gefährliche Nähe zu einer vertröstenden Wirkung gesehen. Im
Zusammenhang des Streßkonzepts weist SH darauf hin. „daß
Trostverhalten als Element von bewußter und unbewußter Streßbewältigung
in den Streßprozeß integriert ist" (195). Ausführlich
wird das Konzept der Krise untersucht, wobei besonders auf die
acht „Spiralphasen" der Krisen Verarbeitung, wie sie E. Schu-
chardt erarbeitet hat. rekurriert wird (201). Insgesamt aber wird