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Ausgabe:

1991

Spalte:

606-607

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Bernardus Claraevallensis, "Weil mein Herz bewegt war" 1991

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 8

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ekk'esiologisch interpretieren; (58) will er IKor 10,16 „als ein Die Hauptthese des Buches - daher der Titel - lautet: Frauen
v°rpln Kultinterpretament" bewerten, soma als Mahlsubstanz schaffen neue Ausdrucksformen der Mystik: im Ringen um die
"i</mit ekklesiologischem Bedeutungsinhalt (V. 17) verstehen - weibliche Selbstbehauptung gegen eine männlich geprägte und
d|es m.E. zu Recht -, während die „traditionsgeschichtliche(n) beherrschte Lebenswelt entwickeln sie ein neues und aktuelles
Vorstufen der Joh6 zugrunde liegenden Konzeption vom Le- Menschenbild (12f), ein Menschenbild, in dem Gleichbcrechti-
bensbrot" der„vorpln Kultmahlüberlieferung 1 Kor 10.3f" zuge- gung und Leiblichkeit eine wichtige Rolle spielen. Die Beweisordnet
werden (129). Was ist nun „vorpln Kultmahlinterpreta- führung überzeugt nicht völlig. Um die „weibliche Dimension"
^ent"? Ist die Gleichsetzung von „dpro; Tfjc, ^wfjc, und Jesu herauszustellen, überzieht Beyer die Deutung mancher Quellen
°dPq Jon 6.51 f" nicht doch zugleich eine personale undsubstan- (z. B. 34-38; 45; 52; 181; 199), zum Teil werden die männlichen
,lale Repräsentanz Jesu (zu 130), dem auch die Ignatiusbriefe Vorläufer oder Parallelen übersehen. Wo die Visionärinnen die
entsprechen (133-137)? Eph20,2 macht m.E. gerade deutlich, Vision und deren Deutung mitteilen, ist es nicht statthaft, die Vi-
daß es sich nicht um eine „ magisch wirkende Lebensspeise" han- sion - die wir doch nur in diesem Bericht besitzen - gegen ihre
delt (was ist überhaupt „magisch"?), denn durch das Heilmittel Deutung durch die Betroffene auszuspielen (55: 93). Wäre es
der Unsterblichkeit sollen wir „in Jesus Christus leben". Der nicht besser, spezifisch weibliche Erfahrungen und Formen ihrer
Nachsatz wird meist (nicht beim Vf.) unterschlagen. Ist das aber Verarbeitung an verbreiteten Phänomenen von Volksfrömmig-
-ehristologisch in quasi mysterienhafter Begrifflichkeit" ausge- keit und im religiösen Alltag zu untersuchen? Extremformen reli-
drückt (138)? Handelt es sich nicht vielmehr um eine „unio my- giösen Verhaltens bieten für solche Fragestellungen unsicheren
stica"? Gebraucht nicht der Vf. undifferenziert Schlagworte? Grund, zumal wenn die Texte oder Lebensbeschreibungen dieser
Sicher ist die Arbeit fleißig und solide erarbeitet. Aber daß sie Frauen zum Großteil durch die Hand von Männern gegangen -
auf erheblichen Widerspruch stoßen wird, ist abzusehen. und gefiltert - sind.

Die Konzentration auf die These von der „anderen Offenba-

Freiberg Karl-Hermann Kandier rung" verhindert die Auswertung von wichtigen Informationen,

die immer wieder in dem beobachtungsreichen Band mitgeteilt
werden: Die Übernahme der Prophetenrolle durch manche My-

KirchengeSChichte: Mittelalter stikerinnen; die Bedeutung der Visions- und Lebensbeschreibungen
für die Entwicklung volkssprachlicher Literatur; die

Bevp, d ,r r^- i .. ... w i Fremdheit und die von den Mystikerinnen selbst betonte Unaus-

c> er. Roll: Die andere Offenbarung. Mvstikennnen des Mittel- ., ... ■ _____ d;m«.- A.a ,,,common m;.

alters. Bergisch-Gladbach: Lübbe 1989. 368 S. m. 19 Abb. dav. sprechbarke. der neuen Bilder, d.e zusammen mit den unge-
8 färb. 8 geb DM 4~> - wohnlichen Verhaltensformen einer Gruppe, die von dem normalen
theologischen Gespräch ihrer Zeit ausgeschlossen war.
Wie außeralltäglich, befremdend, ja extrem die religiösen Er- eine „Sprache" eroberten. Diese „Sprache" wurde weitergege-
fahrungen und Verhaltensformen der mittelalterlichen Mystike- ben: Selten steht eine Mystikerin isoliert, sie leben oft in klöster-
■innen sind, fällt nicht schwer zu demonstrieren. Rolf Beyer führt liehen oder klosterähnlichen Gemeinschaften, haben „ Schülerin-
Öeichwohl in seinem Buch Die andere Offenbarung: Mystikerin- nen" und pflegen den Austausch mit Gleichgesinnten über
len des Mittelalters kein Raritätenkabinett vor. In einem gut und erstaunliche Entfernungen hinweg. Mystische Sprach- und Erle-
kenntnisreich geschriebenen, im wesentlichen historisch geord- bensformen breiten sich zeitweise wie eine Massenbewegung aus.
"eten Durchgang werden zunächst-sehr ausführlich-Hildegard Dies ist ein Grund, warum Beyer auf individualpsychologische
v°n Bingen und Elisabeth von Schönau, die um die Mitte des (und medizinische) Deutungen von Mystik - mit Gewinn - ver-
'2. Jh.s lebten, vorgestellt; dann folgt der weite Kreis der Begi- ziehten kann. Die Suche nach neuen Formen religiösen Erlebens
nen-Mystik und schließlich einzelne Mystikerinnen des 14.-16. und Lebens in einer Zeit sozialen Umbruchs ereignet sich nicht
Jh-s. die an der Peripherie Mitteleuropas und jenseits davon leb- nur im Mittelalter. In der Form von Sekten. Kursen und Thera-
ten. piezentren zeigt sich die Aktualität der Suche. Beyers Buch er-
Frauenmystik. das ist Mystik von Personen, die kirchlich wie klärt das Phänomen nicht, es bietet weder Rezepte für Betroffene
gesellschaftlich kaum Rechte haben, ist Mystik, die ihre Trägerin- noch für ihre Gegner, es plädiert auch nicht für unbegrenzte, und
nen gefährdet, ja auf den Scheiterhaufen bringen kann, aber auch das heißt in der Konsequenz: inhaltsleere Toleranz. Wer den
eine Mystik, die jene Unterprivilegierten zu Kritikern wie Ge- Umweg über die Geschichte geht, entdeckt aber, wie fremd der
sPrächspartnern von Bischöfen, Kaisern und Päpsten macht, eigene Zeitgenosse sein kann, um wieviel weiter als gewohnt man
ihnen gleichsam eine öffentliche Rolle verschafft. Beyer arbeitet seine Toleranzgrenzen ziehen muß und kann, sieht, wie diese
den prekären kirchlichen und gesellschaftlichen Ort dieser My- Gruppen gegen ihren Willen ausgegrenzt werden, sieht, daß es
st'k überzeugend heraus, und sein Buch vermittelt weit über sein immer wieder das Engagement einzelner Außenstehender ist. die
eigentliches Thema hinaus einen Einblick in die Stellung der mit- den Personen und Gruppen einen Raum in der Gemeinschaft er-
lelalterlichen Frau. Diese Ausrichtung bedingt - und ich halte halten, sieht schließlich auch, welche positiven Impulse von sol-
das für einen Gewinn-einen Verzicht darauf, aus jeder Mystike- chen Außenseitern kommen können. Das. und nicht das Ab-
■in eine systematische Theologie zu rekonstruieren. In einer Aus- struse, macht die Beschäftigung mit der mittelalterlichen Mystik
*ahl auch umfangreicherer Texte sprechen die Quellen direkt wichtig,
und gew innen Profil.

Zuweilen läßt sich der Autor von der Sicht der Quellen zu sehr Reutlingen Jörg Rup|<e
einfangen. Mystik wird nicht nur verfolgt; sie rechtfertigt und ermuntert
auch Disziplinarmaßnahmen der Kirche. Ketzerverfol- , , ~, ■

Sung d Heidenbekämpfung blutigen Stils. Kritik fehlt nicht. ^S^fSÄÄ^
Seht aber oft in „mystischer Metaphonk unter (insbesondere Herder Taschenbuch. Texte zum Nachdenken. 1694. Kart. DM
"ei Katharina von Seina). Der (sicher richtige) Versuch, „seine" 10.90.
Mystikerinnen vordem Häresieverdacht zu retten, läßt Beyer ungenau
werden, läßt ihn fürandere, in Konflikt mit der Kirche ste- In der Reihe „Texte zum Nachdenken" erscheint das 72. Heft,
"enden Gruppen. Freigeister. Begharden und „andere Beginen" Diese Texte erheben keinen wissenschaftlichen Anspruch; sie
('72). zu schnell die Sicht der Inquisition übernehmen. wollen „das Bewußtsein weiten und verändern, die Seele wan-