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Ausgabe:

1991

Spalte:

588-590

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Fischer, Irmtraud

Titel/Untertitel:

Wo ist Jahwe? 1991

Rezensent:

Waschke, Ernst-Joachim

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 8

588

Plädoyer für den „demokratischen Rechtsstaat" als „das dem
Menschen gemäßeste System" (115); Der Pluralismus als gesellschaftliche
Leistung; Entwicklungen des Pluralismus in der Bundesrepublik
Deutschland; Der Primat der Mechanismen (d.h.
der differenzierten Auseinandersetzungen und Entscheidungen
in einem offenen, nicht-totalitären, menschenwürdigen
System).

Auf 124 Seiten kann nicht alles stehen, aber es steht darauf viel
Anregendes, Aufschlußreiches und des Nachdenkens Wertes,
wofür den Autoren, dem Herausgeber und dem Verlag zu danken
ist.

Berlin Karl-Wolfgang Tröger

Paden, William E.: Am Anfang war Religion. Die Einheit in der
Vielfalt. Aus dem Amerik. von H. u. G. Kipp. Gütersloh:
Mohn 1990. 224 S. 8°= GTB/Siebenstern, 787. Kart. DM
29,80.

Aus dem Amerikanischen übersetzt: Der amerikanische Titel
"Religions worlds. The comparative Study of Religion" trifft
etwas genauer; der deutsche Titel ist nicht ganz durch den Inhalt
gedeckt, aber in unserer Gesellschaft sind wohl die vermuteten
Verkaufschancen auch wichtig. Der Vf. ist Professor of comparative
religions an einer staatlichen Universität in den USA. wo die
Trennung von Staat und Religion eine lange Tradition hat, die
Religionswissenschaften aber an vielen Stellen ein neues Fach
sind.

Das Buch ist eine Einführung; das macht es ziemlich gut lesbar
. Es ist einer Religionsphänomenologie vergleichbar, denn es
behandelt keine einzelne Religion, sondern die Frage, worin die
Religionen vergleichbar sind. Im Ansatz unterscheidet es sich
von der älteren Religionsphänomenologie durch die Ausdauer,
mit der Neutralität und Distanz zum Phänomen behauptet wird,
und durch das Konzept der „religiösen Welten".

Dies Konzept ist wohl das Interessanteste am ganzen Buch.
Es hat den Vorteil, daß Religion nicht in einer Transzendenz
bzw. Hinterwelt angesiedelt werden muß. sondern im Zentrum
menschlicher Orientierung, die über die durch die Sinne vermittelten
Erfahrungen hinaus eben auf einen sinnhaften Gesamtentwurf
des Daseins - eine Welt - hindrängt. In diesem Konzept
kann man die Diesseitigkeit von religiösen Phänomenen gut unterbringen
und Ergebnisse und Fragestellungen der Wissenschaftstheorie
, der Sprachphilosophie und der Kulturanthropologie
verarbeiten.

Darüberhinaus findet man den Stoff, wie ihn auch andere Reli-
gionsphänomenologen behandeln. Das Kapitel über den Mythos
(84-112) betont die Kraft mythischer Sprache und mythischen
Denkens, mit der Weltordnung und Sinn erst gesetzt werden.
„Das Ritual und die Zeit" (113-147) behandelt die Phänomene
der ritualisierten Zeit; die Fragen des Raumes und Ortes in Religionen
bekommen kein eigenes Kapitel. Die „Götter" (148-176)
werden ziemlich knapp gehalten; eine Kategorie, die in diesem
Umfang neu ist. ist „Systeme der Reinheit" (172-194). Zur
Standortbestimmung verwendet der Autor erhebliche Mühe, die
sich vor allem um Distanz zur christlich beeinflußten Bewertung
anderer Religionen bemüht, was ihn nicht hindert, sich einen
„vergleichenden Theologen" zu nennen (204/205).

So könnte man dies Buch als Einführung jedem Interessenten
empfehlen, wenn es nicht erkennbare Mängel hätte.

Da sind Fehler in der Übersetzung, die stören: Theismus S.39 und 44
muß Deismus heißen: S. 109 zweiter Absatz, vorletzte Zeile fehlt ein „in".
Ferner haben die Übersetzer es sich mit orthographischen Fragen leicht gemacht
, sie schreiben von Parsee (125) statt Parsi. von Hasidic (110) statt
chassidisch, von Temple of the Tooth statt vom Tempel der Zahnreliquic
(127) u.a.m.

Ob man alle Schwachstellen den Übersetzern anlasten kann? Ich denke-
der Verlag hat ebenfalls einiges versäumt; nur zwei Beispiele: „Heute nehmen
fast alle Jugendlichen daran teil" (141) - gemeint ist die Jugendweihe
in der DDR. Das Buch erschien 1990. Das andere Beispiel ist der w issenschaftliche
Apparat, der so gut wie ausschließlich amerikanische Literatur
verwendet, und bei den deutsch schreibenden Autoren (Freud. Otto. Cassi-
rer, Chantepie de la Saussaye und anderen) erfährt man. wer sie ins Engl''
sehe übersetzt hat. nicht aber, wie die deutsche Ausgabe heißt. Dann wäre
dem Verlag doch zu raten, die Fußnoten des Originals fotomechanisch zu
reproduzieren, das ist billiger und hilft dem Leser ebensoviel zur weiteren
Arbeit.

Oder stammen manche der unbefriedigenden Wendungen vom Autor
selber? Dem Rezensenten scheint das der Fall zu sein. „In der Wissenschaft
wird die Mythologie als eine archaische vorlogische Stufe der
menschlichen Erkenntnis angesehen" - was soll das genau heißen? (85)-
„Die westliche Bibel" (98) - ? - „Im westlichen Pietismus wurde die Heilige
Stadt Jerusalem das geographische Zentrum" (106) - ?-

Jeder Leser kann weitere Stellen finden, an denen irgendetwas
nicht stimmt; und an etlichen Stellen kann er den gemeinten Sinn
selber formulieren. In Summa: Zwar ärgerliche Schwachstellen-
aber brauchbar.

Erlangen-Nürnberg Niels-Peter Moritzen

Altes Testament

Fischer, Irmtraud: Wo ist Jahwe? Das Volksklagelied Jes 63.7-
64,11 als Ausdruck des Ringens um eine gebrochene BeziC"
hung. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1989. VI, 326 S. gr. 8 - Stuttgarter
Biblische Beiträge, 19. Kart. DM 39,-.

In der von J. Marböck betreuten und 1988 an der Universität
Graz angenommenen Dissertation untersucht I. Fischer einen
Text der tritojesajanischen Sammlung, der bisher außerhalb der
Kommentarliteratur und der Predigtmeditationen nur wenig Beachtung
gefunden hat. Erst in jüngerer Zeit mehren sich wieder
Untersuchungen zu Tritojesaja und anderen Texten der exilisch-
nachexilischen Zeit. So gesehen ist eine grundlegende und eingehende
Untersuchung zu dem Volksklagelied Jes63,7-64,11
durchaus an der Zeit und sinnvoll.

Die Vfn. versucht, den hinsichtlich seiner Herkunft problematischen
und in seinem Aufbau und in seiner Intention schwer zu
erklärenden Text „in seinem literarischen, theologischen und historischen
Kontext zu orten" (V). Die Untersuchung selbst ist in
acht Punkte gegliedert. Der „Übersetzung" (1-4) folgt die „Textkritik
" (5-26), in der nur jene Lesarten diskutiert werden, die
den Sinngehalt des Textes verändern.

Dabei ist nach Meinung der Vfn. nur zweimal der Konsonantenbestand
des masoretischen Textes (MT) geringfügig zu ändern. In 63.15 liest sie anstelle
der suffigierten Präposition ac/das Demonstrativpronomen 'cllach.
und in 64,4b wird für die Verbwurzel jäsä die Wurzel pästX bzw. räsd als
ursprünglich angenommen. An zwei Stellen (63.18:64.4b) sind die masoretischen
Akzente zu verschieben, und 64,2b wird mit den meisten Auslegern
als Glosse betrachtet. Im Blick auf die vielfältigen Schwierigkeiten dieses
Textes handelt es sich um äußerst geringfügige Änderungen, womit schon
angedeutet ist. welchen hohen Wert an Authentizität die Vfn. der masoretischen
Textüberlieferung beimißt.

Die Vorsicht gegenüber voreiligen Konjekturen und weitreichenden
literarkritischen Hypothesen wird durch die „Textgraphik
" (27-75) und die folgenden Untersuchungen bestätigt. Mit
Hilfe der Textgraphik versucht sie. „ein Vielfaches an kleinen
Methodenschritten in einem Arbeitsgang zu leisten" (27). Durch
den Aufweis von Leitworten, Leitmotiven und Leitlinien läßt
sich ihrer Überzeugung nach die Struktur des Textes genauer erfassen
, und die Textgraphik bietet darüberhinaus „eine stilistische
Aufschlüsselung des Textes, da gewisse Stilfiguren durch die
Schreibweise visualisiert werden können" (ebd.).