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Ausgabe:

1991

Spalte:

585-587

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Der neue Fundamentalismus 1991

Rezensent:

Tröger, Karl-Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 8

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Schon von der Anlage als Ringbuch her ist auch dieser Band nomie menschlicher Vernunft und Sittlichkeit", in der „Abwehrein
Werk eigener Art. Der Adressatenkreis, auf den die besondere haltung gegen die moderne Wissenschaft" und eine Politik und
Konzeption und Methode zielt, will bedacht sein, wenn man dem soziale Verhaltensweise, die den „geoffenbarten Normen zuwi-
Werk gerecht werden will. Aber nicht nur als Pfarrer, sondern derlaufen" - das alles unter „Berufung auf ein vermeintlich Zeiten
überall dort, wo es um die gründliche und zugleich praxisre- los gültiges Glaubens- und Lebensmodell aus der Vergangen-
levante Ausbildung von Religionslehrern - nicht zuletzt in den heit..., das man aus irrtumslosen geoffenbarten Texten herleiten
neuen Bundesländern - geht, wird man zu diesem Tafel-Werk zu können glaubt" (47). Die einzelnen Abschnitte sind der Gekeifen
, mit dessen Anlage und Darstellungsweise man schon schichte und dem jüngsten Aufschwung fundamentalistischer
v°rher durch das verbreitete „Atlas-Tafel-Werk zu Bibel und Kir- Tendenzen im Islam, den Überzeugungen und Haltungen islami-
chengeschichte". 1979-83. desgleichen Vf.s vertraut war. scher Fundamentalisten sowie den Ursachen der Massenwirk-
Hier ist ehrlich Geschichte geschrieben bis in die Gegenwart samkeit des F. im zeitgenössischen Islam gewidmet. Dieser
"'nein, ohne die ganze Ebene der Wirkungsgeschichte auch in Beitrag versorgt den Leser nicht nur mit notwendigen Informa-
'hren belastenden Dimensionen auszublenden. tionen, sondern führt ihn auch auf den Grund der Probleme und

läßt ihn das Denken und Verhalten der Muslime - auch in der

Greifswald Günther Kchnschcrpcr Weltpolitik - besser verstehen.

„F. und Antimodernismus im Christentum" ist der Beitrag
von Klaus Kienzier überschrieben, der im Anschluß an begriffliche
und historische Darlegungen zunächst auf „Grundzüge des
klassischen F." in Amerika und Europa und sodann auf die ka-

enzler. Klaus [Hg.]: Der neue Fundamentalismus. Rettung thoiische Variante des F.: .Antimodernismus'" eingeht. Dazu

K K£; ff uTMeSeJlSCAac Un^RCK?i0/?wtrf8eH,T gehören auch Überlegungen zu „fundamentalistischen Tenden-

Menzler. H. Mandt. A. Schmidt. M. Toch. R. Wielandt, H. & . . „. , , . , „ , ... _.. ,

F- Zacher. Düsseldorf: Patmos 1990. 124 S. 8°= Schriften der zen mf fder Klrcne heute (Autorität des Papstes statt der Bibel.

Kath. Akademie in Bavern. 136. Kart. DM 26.80. Schnftfundamentalismus. Traditionalismus, fundamentalistische
Moraltheologie). Am Schluß zitiert der Vf. die bemerkens-

^er sich mit den Erscheinungsformen des „Fundamentalis- werten Charakterisierungen von „Traditionalisten" und „Profus
" befaßt, sollte diese Publikation nicht übersehen. Sie enthält gressisten" des Bischof Stecher von Innsbruck.
vorträge. die im Mai 1989 auf einer Tagung gehalten wurden, zu Sehr bedenkenswert ist, was Hella Mandt über „Fundamentaler
die Katholische Akademie in Bayern gemeinsam mit der listische Versuchungen - Destabilisierung der politischen Kultur
Akademie der Diözese Augsburg Wissenschaftler, Religions- und in der Bundesrepublik" schreibt. Verstanden wird hier F. „als
Kirchenvertreter sowie Politiker eingeladen hatte. „Fundamen- eine Absage an die Politik oder als eine Kapitulation, eine Resi-
'alismus in allen Formen", heißt es im Vorwort von Klaus Kienz- gnation auch vordem Sisyphoscharakter der Politik" (93).
'er- „stellt eine radikale Herausforderung an jede Weltordnung Genau das ist es, was den F. ausmacht und seine Ignoranz und
dar. die auf Würde und Freiheit der Person und auf Humanität Intoleranz, Dialogfeindschaft und Aggressivität begründet - wel-
und Toleranz gegründet ist. an das demokratische Staatsver- che oft verständichen Ursachen das auch haben mag. Freilich,
ständnis. an die Religionen insgesamt und nicht zuletzt an die diese Ursachen gilt es stets mit zu bedenken. Daher weist H.
Christen und ihre Kirchen" (8). Das dokumentieren die sechs Mandt zu Recht daraufhin, daß der F. die Funktion hat, Orien-
^eiträge. die hier vorzustellen sind. tierungsverluste aufzufangen und zu kompensieren. Das lenkt

Alfred Schmidt beschreibt „ Das Phänomen des Fundamenta- unsere Aufmerksamkeit noch einmal zurück auf den Artikel über
'isrnus in Geschichte und Gegenwart" unter den Gesichtspunk- den islamischen F. Dort wird als Funktion des F. die Vermittlung
ten: Begriff. Geschichte, theologische Hintergründe; Aus der eines Sicherheitsbedürfnisses für „hochgradig verunsicherte
Parteipolitischen Geschichte: Übernatürliche Offenbarung und Menschen" als Folge des „Verwestlichungsprozesses" genannt.
Vernunft - ein historischer Rückblick; Zeitgenössische Ansätze Er ist-scheinbar-ein „Fluchtweg aus der Verunsicherung durch
Zur Erforschung des F. Von besonderer Aktualität ist der 2. Ab- den tiefgreifenden und zum Teil überstürzten sozialen und kultu-
Schnitt. der u.a. auf die Argumente des „Revisionisten" Bern- rellen Wandel, den der Einfluß der europäischen Zivilisation aussein
gegen Grunddogmen von Marx und Engels (Effizienz der gelöst hat", eine Möglichkeit zur Überwindung der „tiefen Iden-
P'anwirtschaft; der ursprünglich gute, aber durch das Privat- titätskrise" und zur Rückgewinnung des gebrochenen kulturellen
e'gentum korrumpierte Mensch) und auf fundamentalistische Selbstwertgcfühls" (vgl. 57ff). Aber er ist eben nur eine „Schein-
Erscheinungsformen des Marxismus eingeht. alternative"!

Michael Toch. „Der religiöse F. im Judentum und seine Her- Am Schluß des Bandes steht der Beitrag von Hans F. Zacher
ausforderung im Staatsleben Israels", setzt beim jüdischen Bibel- über „Notwendigkeit und Last des Pluralismus", in dem es be-
verständnis ein. nennt als „wohl einzige Erscheinung, die im Ju- sonders um die für das Gemeinwesen und den einzelnen bedeut-
dentum die ungeteilte, aber nicht erschöpfende Bezeichnung,F.' samen Wertvorstellungen geht: „Den Einzelnen machen sie
verdient. den Karaismus" bzw. die Karäer und fragt dann nach etwas von dem Sinn aus, den es für sie hat, in dem Gemeinwesen
»F- in Israel heute", wo der Begriff als „Schimpfwort des übe- zu leben. Sie machen das Gemeinwesen denen zur Heimat, die
ralen und linken Lagers für die religiöse Siedlerbewcgung im seine Werte teilen"! Das berührt die Frage der Toleranz ebenso
sPeziellen und für die religiöse Orthodoxie im allgemeinen" ge- wie die der Verantwortung eines jeden für das Ganze. Daher sind
braucht wird (400. Im letzten Abschnitt geht es um „fundamen- „Extreme" wie „radikaler Individualismus, der den Menschen
'alistische Tendenzen in politisch-religiösen Gruppen", etwa um die Gemeinschaft bringt" genau so abzulehnen wie F.. Interim
Chassidismus. gralismus, Kollektivismus oder Totalitarismus, die den Men-

Im dritten Beitrag „Zeitgenössischer islamischer F. - Hinter- sehen um seine Individualität bringen. Trotz aller Schwächen ist

gründe und Perspektiven" geht Rotraud Wielandt der zur Zeit „Pluralismus die einzige Weise, auf die vermieden werden kann,

am meisten diskutierten und strapazierten Spielart des F. nach. daß der Mensch dem Menschen Gewalt antut" (102-104). Die

Obwohl christlicher und islamischer F. „nicht in jeder Hinsicht weiteren Abschnitte führen diese Erkenntnisse und diesen An-

^ergleichbar" sind, stimmen sie doch in „vielen zentralen Struk- satz auf vielfältige Weise aus und weiter: Homogenität als Sein -

'Urmerkmalen überein" (46), so in der Frontstellung gegen die Homogenität als Sollen; Der pluralistische Auftrag des Staates

Säkularisierung und den aufklärerischen „Gedanken der Auto- und des Rechts; Pluralismus und moderner Verfassungsstaat (ein