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Ausgabe:

1991

Spalte:

580-582

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Oecumenica et patristica 1991

Rezensent:

Winkelmann, Friedhelm

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 8

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lismus noch mit taktischer Anpassung an gerade herrschende
Ideologien wird ihr gedient. Die von allen Christen verlangte unbedingte
Hinwendung zu den Menschen, wo und wie sie sich gerade
befinden, erkennt Krusche als in Jesus Christus selber begründet
. Wer in seiner Nachfolge versucht, „Diener Gottes" zu
sein, ist damit zugleich zum „Diener der Menschen" berufen
(vgl. 189ff).

Christen und Kirchen in der damaligen DDR ermuntert Krusche
, die ihnen aufgegebene Diaspora-Situation zu bejahen (vgl.
94ff). Die Kirchen in der DDR waren erst durch den in der Gesellschaft
herrschenden marxistisch-ideologischen Druck aus der
früher auch dort herrschenden volkskirchlichen Situation in die
Diaspora-Situation hineingeraten, blieben aber belastet durch
eine Vielzahl von aus volkskirchlichen Zeiten stammenden
Rechtsverpflichtungen, die nicht von heute auf morgen abzustoßen
waren. Trotz der empfindlichen und offen bezeichneten Einschränkungen
der kirchlichen Bewegungsfreiheit erkennt Krusche
auch positive Möglichkeiten der Diaspora-Situation. Dazu
gehörte nach seiner Meinung vor allem die besonders notwendige
Konzentration auf die christlichen Grundaussagen, aber auch
das bewußte Ergreifen der vom DDR-Staat den Kirchen gelassenen
sozialdiakonischen Aufgaben, namentlich an geistig und körperlich
Schwerbehinderten. Der damit dem kirchlichen Bemühen
gewiesene „Zug nach unten" entspricht nach Krusche den
wesentlichen Grundaussagen des Evangeliums, ebenso wie der
bewußte Machtverzicht. Vor Selbstüberschätzung wie vor Resignation
warnt Krusche gleichermaßen. Der universale Sendungsauftrag
Jesu Christi gilt uneingeschränkt auch für die zur Diaspora
gewordene Kirche.

Von besonderem Interesse ist auch heute, wie Krusche das Verhältnis
der Kirche zum damaligen SED-Staat ansieht. Ein Kompromiß
mit der im Staat herrschenden marxistischen Ideologie
wird von ihm ausgeschlossen und umgekehrt auch nicht vom
Staat erwartet. Dennoch warnt Krusche nicht nur vor Servilität
gegenüber der herrschenden Doktrin, wie sie damals vielen nahelag
, sondern auch vor einer selbstgerechten kirchlichen Abschlie-
ßung. Krusche möchte das Hauptargument der damaligen staatlichen
Kritik an der Kirche auch innerhalb der Kirche ernst
genommen sehen. Dazu gehörte vor allem der Vorwurf, über der
„Jenseitshoffnung" würden die im „Diesseits" bestehenden sozialen
Aufgaben vernachlässigt. Auch positive soziale Bemühungen
des Staates sollten nach Krusche unbefangen auch in der Kirche
anerkannt werden. Aufgabe der Christen sei es namentlich,
Anhängern der marxistischen Ideologie deutlich zu machen, weshalb
es vom Evangelium her nicht möglich sei, den humanistischen
Optimismus der im Staat herrschenden Ideologie zu bejahen
, in der von einer fortschreitenden Besserung der sozialen
Verhältnisse eine fortschreitende Vermenschlichung erwartet
wurde. Haupthindernis bleibt hier nach Krusche für den Christen
, was im Evangelium über die niemals vom Menschen her zu
bewältigende Frage von Schuld und Sünde gesagt wird. Sehr
wichtig ist es Krusche, daß Christen im Dialog mit Vertretern der
offiziellen Staatsideologie nicht dabei stehen bleiben, auf deren
Schuld hinzuweisen, sondern offen die eigene Schuld einzugestehen
. Hier sieht Krusche auch einen Mangel an westlichen kirchlichen
Schuldbekenntnissen nach dem Zusammenbruch des 3.
Reiches, auch am Stuttgarter Schuldbekenntnis vom Oktober
1945. Zu wenig konkret sei von der deutschen Schuld an den Ostvölkern
geredet worden, namentlich im Blick auf das Leiden von
Millionen Menschen in der UdSSR.

Unter den Erniedrigten, Entrechteten und Schwachen, denen
der Dienst der Kirche besonders gilt, nennt Krusche auch die
„Opfer der mißbrauchten Macht" (195). Damit hängt sicher zusammen
, daß Krusche schon vor der politischen Wende dafür
eintrat, die Türen zu den Fürbittgottesdiensten, wie sie damals
verbreitet angeboten wurden, weit zu öffnen, auch für solche, die

sonst wenig Kontakt zur Kirche hatten. Ebenso äußert er im gle1'
chen Zusammenhang die Überzeugung, daß Liebe sich heute
nicht nur in personalen Relationen, sondern auch in gesellschaftlichen
und politischen Bereichen zu äußern habe. Das gelinge
freilich nicht ohne Sachkenntnis.

Mit Nachdruck betont Krusche wiederholt, daß aus dem Bekenntnis
zu Jesus Christus ein klares Nein ohne jedes Ja zum Einsatz
von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungsmittel11
und damit auch zu deren Herstellung und Bereitstellung selbst zu
bloßen Abschreckungszwecken folge (79). Solche entschiedene
Stellungnahme wurde vermutlich auch von den damalige11
Machthabern in der DDR nicht gern gehört. So sehr Krusche
sonst nachdrücklich für Toleranz gegenüber andersdenkenden
Menschen eintritt, schließt für ihn der Wahrheitsanspruch Jesu
Christi ein, keinesfalls Toleranz zu üben „gegenüber einer Praxis
und Doktrin, die darauf hinausläuft, sich die eigene Sicherheit
mit dem Massenelend der 3. Welt zu erkaufen, indem für die Rüstung
die finanziellen Mittel und das Intelligenzpotential verbraucht
werden, die zum Kampf gegen das Weltelend gebraucht
würden" (80).

Ich bin überzeugt, daß Krusches Aussagen aus der Zeit vorder
politischen Wende in der DDR auch für den Weg der Kirchen im
Osten und im Westen Deutschlands in Zukunft eine wesentliche
Orientierungshilfe darstellen. Im Grunde hat sich ja an der Minderheitssituation
der Kirche innerhalb der Gesellschaft nichts
geändert. Auch im Westen geraten wir zunehmend in sie hinein-

Namentlich in den neuen östlichen Bundesländern schließt die
von Krusche geforderte Dialogbereitschaft auch mit Andersdenkenden
heute auch diejenigeenenn ein, die vor der politischen
Wende die damalige Staatsideologie teilten und sie vielleicht bis
heute innerlich nicht wirklich überwunden haben, wohl aber
heute ohne Macht sind. Auch ihnen gilt der zum Evangelium gehörende
„Zug nach unten". Auch sie gehören heute zu den „Opfern
der mißbrauchten Macht".

Trotz des inzwischen militärisch siegreich beendeten Golfkriegs
scheinen mir auch Krusches Äußerungen eines klaren
Nein gegenüber allen Massenvernichtungswaffen nach wie vor
bedenkenswert zu sein. Die eigentlich im Nahen Osten anstehenden
Probleme sind durch den Golfkrieg ja in keiner Weise erledigt
. Und nach wie vor bleibt es bedrückend, wie auch abgesehen
vom Golfkrieg mit Selbstverständlichkeit ungeheure Summen
für die militärische Rüstung aufgebracht werden, während der
Einsatz für den Kampf gegen Hunger und Verelendung, namentlich
in der 3. Welt, denkbar bescheiden geblieben ist.

Vor allem bleiben Krusches Äußerungen darin wegweisend,
auch über den deutschen Bereich hinaus, daß jede Auseinandersetzung
mit der Schuld anderer unfruchtbar und vergeblich
bleibt, wo nicht die Erkenntnis und das offene Bekenntnis eigenen
Versagens und eigener Schuld den Ausgangspunkt bildet.
Hier wäre besonders an Jesu drastisches Doppelgleichnis von
Splitter und Balken (Mt 7,3) zu erinnern.

Stuttgart Gerhard Heintze

[Schneemelcher, Wilhelm:] Oecumenicaet Patristica. Festschrift
für Wilhelm Schneemelcher zum 75. Geburtstag, hg. von D.
Papandreou, W. A. Bienert, K. Schäferdiek. Stuttgart - Berlin
(West) - Köln: Kohlhammer 1989. 405 S., 1 Porträt gr.8! Pp-
DM 59,-.

Eine beachtenswerte Festschrift, die den Schwerpunkten des
wissenschaftlichen Wirkens des Jubilars gewidmet ist: Neutesta-
mentliche Apokryphen, Patristik. ökumenische Belange. Aus
Platzgründen muß sich die Rezension auf die ersten beiden Bereiche
und selbst bei dieser Begrenzung nur auf kurze Hinweise
beschränken.