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Ausgabe:

1991

Spalte:

547-548

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Peter, Anton

Titel/Untertitel:

Befreiungstheologie und Transzendentaltheologie 1991

Rezensent:

Althausen, Johannes

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 7

548

fängnis" und der „Leiblichen Aufnahme" nicht akzeptiert wird;
daß sie als solche ein ökumenisches Hindernis darstellt, wird
nicht reflektiert. Im Artikel „Aufnahme. 4. die Rezeption der Definition
" wird die Reaktion der nicht-katholischen Kirchen mit
keinem Wort erwähnt!

Die beiden vorliegenden Bände des Marienlexikons spiegeln
also ein unwahrscheinlich starkes römisch-katholisch marianisches
Selbstbewußtsein wider. Es mag für viele ökumenisch aufgeschlossene
katholische Christen hierzulande nicht repräsentativ
sein, aber es gehört sicherlich zum Bild der römisch-katholischen
Kirche heute.

Bensheim Reinhard Fricling

Peter, Anton: Befreiungstheologie und Transzendentaltheologie.
Enrique Dussel und Karl Rahner im Vergleich. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1988. XIV. 625 S. gr. 8- Freiburger theologische
Studien. 137. Kart. DM 89,-.

Manchmal hat man den Eindruck, als habe erst die Instruktion
der Kongregation für die Glaubenslehre über einige Aspekte der
„Theologie der Befreiung" (1984) die Theologie der Befreiung in
voller Breite und Tiefe zu einem Gesprächspartner von Praktikern
, Publizisten und nun auch von wissenschaftlichen Theologen
im deutschsprachigen Raum gemacht. Sicher ist, daß die hier
vorzustellende Dissertation. Luzern 1987. erschienen in der hervorragend
renommierten Reihe der „Freiburger theologischen
Studien" als Band 137 (!). jedenfalls ein Beitrag von einigermaßen
grundlegender Bedeutung ist.

Natürlich müßte in dem Gespräch zuerst und eigentlich vor allem eine
Begegnung mit dem Kontext erfolgen bzw. mit den Herausforderungen, in
denen wir uns angesichts der Theologie der Befreiung vorfinden. Es ist
deutlich, daß der Vf. in dieser spannenden Begegnung lebt und arbeitet. In
der vorliegenden Arbeit tritt das aber in den Hintergrund zugunsten strenger
wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden vor allem an Texten.
Schade, daß er diese Distanz selbst am Ende noch konsequent einhält. Die
Ergebnisse seines Vergleichs zwischen Dussel und Rahner. Unterschiede.
Gemeinsamkeiten und Konvergenzen, werden vorgestellt. Die Frage, was
das austrägt, scheint nicht mehr zu interessieren.

Der Vf. hat das in drei Jahrzehnten entstandene literarische
Werk des argentinischen Mexikaners Enrique Dussel (im Literaturverzeichnis
62 Titel) sorgfältig studiert. Das ergibt zwar die
Denkgeschichte nur eines Vertreters der Theologie der Befreiung
in Lateinamerika. Doch hat sie paradigmatischen Charakter. Immerhin
umgreift das Schrifttum die gesamte Zeit seit dem 2. Vatikanischen
Konzil, seit Rom seine Kirchenpolitik in Lateinamerika
änderte und den Weg auch zu theologischer Neuorientierung
öffnete. Das Interesse des Vf.s richtet sich allerdings nicht so sehr
auf diese Entwicklungslinien. Er möchte die philosophischen
Wurzeln des Denkens von Dussel erforschen. Dazu tut er vor
allem drei Schritte. Nach der ausführlichen Darstellung fügt er
das gewonnene Bild in den Rahmen abendländischer Philosophie
- und Theologiegeschichte besonders der Neuzeit ein. Abhängigkeit
und Eigenständigkeit des Lateinamerikaners werden
dadurch noch um einiges deutlicher konturiert. Die Ausgangsfrage
nach dem Verhältnis der Theologie der Befreiung Dussels
zur Transzendentaltheologie ist eigentlich damit schon beantwortet
. Trotzdem wendet sich der Vf. dann noch der besonderen
Gegenüberstellung Dussels mit Rahner zu. Das ist um so wichtiger
, als Rahner zu den ersten namhaften Theologen gehörte, die
der Theologie der Befreiung besondere Aufmerksamkeit schenkten
(Vgl. meine Besprechung eines Berichts- und Interpretations-
bändchens von ihm in ThLZ 104. 1979. 455). Wichtiger noch
scheint in diesem Zusammenhang der Hinweis, daß es nicht geringe
Impulse Rahners gegeben hat. die in der Theologie der Befreiung
aufgenommen worden sind. Der Vf. erwähnt ausdrücklich
die zentrale Bedeutung des Begriffs „ Freiheit" in der Theologie
Rahners. Ebenso ist aber auch daran zu erinnern, daß der Versuch
Rahners fasziniert hat, den Glauben an Gott als radikalst
möglichen „Wesensvollzug menschlicher Existenz" zu beschreiben
, „weil der Mensch durch ihn überhaupt erst wahrhaftig zu
sich selbst kommt" (so Peter auf S. 417).

Die Transzendentaltheologic ist nach Peter bei Rahner als „ Er-
füllungstheologie" zu verstehen (537). Denn „eine theologische
Aussage soll dem heutigen Menschen, der durch Glaubensnot
und faktisches Nichtankommenkönncn des biblisch bezeugten
und kirchlich überlieferten Gotteswortes bedroht ist, in ihrer existentiellen
Bedeutsamkeit dadurch verständlich gemacht werden
, daß gezeigt wird, daß er von seiner eigenen Existenzverfassung
her auf das mit einer solchen Aussage Gemeinte innerlich
hingeordnet ist." (5360 Dem steht ein grundsätzlich anderer
Denkansatz Dussels gegenüber. An der abendländischen Philosophie
der Neuzeit sei vor allem die Tatsache zu kritisieren, daß
„sich das Denken zu einer alles umfassenden Totalität mit sich
selbst, zu einem, sich in sich selbst schließenden Kreis' (Hegel. J-
A.)" zusammenschließt. (144) Solcher transzendentalen Ontotogie
möchte Dussel das konsequente Denken vom anderen her
entgegensetzen. Der dialektischen Methode, in der sich nicht
mehr als eine Bewegung zwischen der Identität und der Nicht-
identität abspielt (159). stellt er die Analektik entgegen, „die
Methode der Ähnlichkeit von Ähnlichem und Unähnlichem als
zwei verschiedenen Wirklichkeiten" (ebd.). Theologisch führt
dieser Ansatz zu Aussagen, die denen Karl Barths sehr verwandt
sind. Peter summiert: „ Der biblisch bezeugte Gott ... ist nur in
dem Maße erschließbar, wie er sich von sich selbst her offenbart
und zugänglich macht. Bezogen auf den Erkenntnis- und Verfügungsanspruch
des sich selbst und das andere setzenden Ich bedeutet
die Wirklichkeit Gottes absoluten Bruch, radikale Diskontinuität
, totale Andersheit und Entzogenheit." (208) Indem
Dussel seine metaphysische Denkmethode, wie er sie auch nennt,
nun kontextuell anwendet, wird der Arme zum Interlocutor der
Offenbarung Gottes für den Menschen unserer Tage. Er ist der
andere, der auf die Spuren Gottes, des anderen Gottes aufmerksam
macht.

Über die systematisch-theologischen und philosophischen Ergebnisse
der Arbeit hinaus sind nun aber auch einige mehr historisch
aufgewiesene Zusammenhänge erwähnenswert. Dussel ist
Schüler des jüdischen Pariser Philosophen Levinas. dessen Familie
im Holocaust der Nazizeit ums Leben gekommen ist. Die
Philosophie nach dem Holocaust, die von Levinas entworfen
wird, ist aus dem Erlebnis des Gottesglaubcns der Thora. des
Glaubens an den anderen, gegen die im Hellenismus gegründete,
ontologische Totalität transzendentalen Denkens gerichtet, die
den Ausschluß des anderen bewerkstelligt hat. Dussel hat nach
gründlichen Feldstudien im Vorderen Orient und in Griechenland
darin eine Ausführung seiner eigenen Entdeckungen und Erkenntnisse
gesehen und wird in direkter Fortsetzung Levinas
zum Befreiungsphilosophen Lateinamerikas. Diese Beobachtung
ist gerade in Verbindung mit der Nähe zum Denken Barths ein
Beweis für die tiefen historischen Zusammenhänge in der Geschichte
des Geistes während des 20. Jh.s. Wenn es noch nötig
wäre, gäbe dies der Theologie der Befreiung noch einmal mehr
den Charakter einer Herausforderung an die europäische Theologie
des ausgehenden Jh.s. Dies aber eben auch nicht nur, weil
sie eine kontextuelle Theologie ist. über deren Definition man
streiten kann, sondern wegen ihrer erkenntnistheoretischen Wurzelverflechtungen
in den revolutionierenden und erneuernden,
im biblischen Glauben verankerten Kräften unserer Zeit. Darauf
klar und überzeugend hingewiesen zu haben, scheint mir das eigentliche
Verdienst dieser in vieler Hinsicht lesenswerten Untersuchung
zu sein.

Berlin Johannes Althauscn